Noch werden ältere Menschen vorrangig gegen COVID-19 geimpft. Ich finde: Wer dann aber beim Impfstoff wählerisch ist, sollte sich wieder hinten anstellen müssen.
Anfang April bekamen Bürger zwischen 60 und 69 Jahren die Chance, sich früher als erwartet impfen zu lassen – dem AstraZeneca-Vakzin sei Dank. Und was tun Menschen mit ihrer Chance? Nichts, denn sie wollen generell keinen Vektorvirus-Impfstoff.
„Auch ich, als Älterer, lehne AstraZeneca und auch Johnson & Johnson ab“, schreibt ein User auf Twitter. „Ich habe mit 67 alle denkbar zutreffenden chronischen Vorerkrankungen, die mir keinerlei Risiko erlauben.“ Andere nehmen ihren Termin wahr, aber: „AstraZeneca morgen. Habe Schiss. Trotz allem.“ So denken viele Menschen.
Das mag auch daran liegen, dass Deutschland in Pandemiezeiten zu einer Nation aus Virologen, Neurologen, Angiologen und Phlebologen geworden ist. Alle Welt scheint sich beim Thrombose-mit-Thrombozytopenie Syndrom (TTS) auszukennen. Jeder Fall ist schlimm, das steht außer Frage.
Nur sind bei 6.789.168 Erstdosen plus 202.796 Zweitdosen von Vaxzevria® bislang 77 Fälle einer TTS aufgetreten, Stand 10. Mai 2021. Die meisten Patienten waren in der Altersgruppe zwischen 20 und 59 Jahren (30 Frauen, 23 Männer). Das bedeutet: TTS tritt extrem selten auf – und noch seltener bei Menschen ab 60 Jahren. Andererseits ist ein höheres Alter neben Vorerkrankungen der wichtigste Risikofaktor für schweres COVID-19. Nur darüber zu berichten ist weniger spektakulär als einzelne TTS-Fälle oder Todesfälle herauszugreifen.
Und es kam, wie es kommen musste: Anfang April nahmen beispielsweise in Hessen 50 Prozent aller Menschen ihren Impftermin nicht wahr, weil sie auf Moderna oder Biontech warten wollten. Und erst nach der Drohung, mRNA-Vakzine nicht auszuliefern, konnten in Mecklenburg-Vorpommern Vektor-Vakzine unter das Volk gebracht werden.
Das heißt aber auch: Seit Januar 2021 haben Jüngere zurückgesteckt und Älteren – wenn auch gezwungenermaßen – den Vortritt gelassen. Medizinisch und ethisch gab es daran nichts zu rütteln. Dass sie jetzt einem Impfstoff ablehnen und nicht zu Terminen erscheinen, ist für mich kaum nachvollziehbar. Im schlimmsten Fall müssen vorbereitete Spritzen entsorgt werden, sollten sich auf die Schnelle keine anderen Impflinge finden. Dennoch werden Menschen der priorisierten Altersgruppe nicht ausgeschlossen.
Das Verhalten sorgt bundesweit für Unmut, etwa beim Satiriker und Autoren Sebastian Hotz. Auf Twitter schreibt er als El Hotzo: „oh to be 60 Jahre alt und frisch mit Biontech geimpft, nachdem ich AstraZeneca abgelehnt habe und jetzt nach 14 Monaten HomeOffice überlege, an der Promenade welches Ostseebads ich bald Fischbrötchen fresse, meine Rente ist sicher und der Klimawandel kickt erst nach meinem Tod.“
Will heißen: Vielen ist nicht bewusst, wie gut es ihnen geht. Sie sind undankbar angesichts der Möglichkeiten, die sie haben, um sich gegen COVID-19 zu schützen.
Kommen Erleichterungen, können Geimpfte, sprich Ältere, wieder Kultur, Sport oder Shopping genießen. Genau das will El Hotzo sagen. In den Branchen arbeiten Personen unter 60, die größtenteils ungeimpft sind.
Umso ärgerlicher, dass hochpriorisierte Menschen Astra und J&J nicht wollen, ihren Platz in der Warteschlange nicht verlieren. In der Community sorgt das für reichlich Ärger. „Wer die Impfung ablehnt, um zu warten, der ist für mich auch nicht mehr in der #Priorisierung dran, sondern dann ist der Nächste dran, der den Impfstoff nicht abgelehnt hat“, so DocCaro auf Twitter. Und eine andere Userin erklärt: „Wenn ich meinen Platz in irgendeiner Warteschlange verlasse muss ich mich auch wieder hinten anstellen!“
Jüngere haben dafür kein Verständnis. „Als ich meine Bescheinigung für Prio 2 bekommen hatte, war nur Astrazeneca verfügbar und ich hatte gebettelt, dass ich den Impfstoff bekommen und einen Termin buchen darf. Das wurde mir verwehrt, weil ich zu jung bin […]“, so ein weiterer Kommentar.
Zu viel Mitspracherecht für alle?
Was mich bei der Misere erstaunt: Warum macht die Bundesregierung aus ihrer Impfkampagne das große Wunschkonzert? GKV-Versicherte haben bei sonstigen Impfstoffen oder bei generisch verfügbaren Medikamenten nur Wahlmöglichkeiten innerhalb der Rabattverträge.
Doch auch ohne Wehklagen wird sich das Blatt bald wenden. Wieder einmal greift Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in seinen großen Zauberhut. Er hat angekündigt, dass alle Priorisierungen bei SARS-CoV-2-Impfungen zum 7. Juni enden werden. Das betrifft sowohl Arztpraxen als auch Impfzentren. Betriebs- und Privatärzte sollen spätestens ab diesem Zeitpunkt ebenfalls eingebunden werden.
Meine Vermutung: Dann wird ein Hauen und Stechen um Termine beginnen – vielleicht zum Nachteil von Senioren, die bislang Vektorimpfstoffe abgelehnt haben.
Bildquelle: Franck Michel, flickr