Deutschland sucht den Impfpass total gerne – zumindest scheinen sich viele nicht vom Heftchen trennen zu wollen. Ist der digitale Nachweis eine gute Idee oder nicht? Das erörtere ich in 7 Schritten.
Erinnern Sie sich noch an die BZgA-Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“? Eine witzig gemachte Aktion – Menschen halten hinter dem Schrank, unter dem Sofa oder in der Waschmaschine Ausschau nach ihrem gelben Heftchen.
Die Idee ist originell, reflektiert aber zeigt eben auch, wo Deutschland steht. Im Jahr 2021 durchwühlen wir alles, um ein Stück Papier aufzustöbern, das eher den Nimbus gesammelter Rabattmarken aus den 1980er-Jahren hat. Danach geht es zur Corona-Impfung.
Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Europa will elektronische Nachweise für Impfungen oder für überstandenes COVID-19 einführen; Deutschland arbeitet an der nationalen Umsetzung. Vor Ort wird der QR-Code mit einer speziellen Prüf-App gescannt und mit einer Datenbank abgeglichen. Zusätzlich ist ein Ausweis erforderlich.
Dieser Vorstoß geht vielen Menschen, die sich nun über die Jahre an den Pass gewöhnt haben, zu weit. An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass die digitale Erfassung das Blättchen nicht komplett ersetzt – auch der gelbe Pass wird weiterhin gültig sein. Wie schnell sich digitale Technologien wie diese also tatsächlich durchsetzen, hängt von der Gesellschaft ab. Was sind denn mögliche Vor- und Nachteile eines digitalen Nachweises? Gehen wir sie Schritt für Schritt durch.
Ob Bürger digitale Zertifikate gut oder schlecht finden, ist einerlei, sobald Druck von außen kommt. Kontrollen können in der Gastronomie, bei Geschäften, beim Sport oder am Flughafen schnell zur Pflicht werden. Wer kein Zertifikat hat, kommt nicht rein – und wird sich womöglich schnell für digitale Lösungen entscheiden. Ob private Veranstalter gelbe Heftchen akzeptieren, die nicht im Geringsten mit automatisierten Einlasskontrollen kompatibel sind, erscheint mir fraglich.
Ein weiteres Argument für digitale Tools: Die App passt zu unseren alltäglichen Gewohnheiten. Vor Corona hatten wir Flugtickets, Konzertkarten, Kinokarten oder die Reservierung für unser Restaurant auf dem Smartphone. Das Gerät ist immer mit dabei und damit ideal für digitale Corona-Anwendungen.
Nicht zuletzt bieten digitale Zertifikate deutlich mehr Fälschungssicherheit als gelbe Heftchen. Wer selbst mal einen Impfpass ausgefüllt hat, weiß: Man greift sich den erstbesten Stift; es gibt keine Vorgaben. Schnell ist der Name manipuliert. Digital sind die Hürden zumindest höher.
Dennoch wird es beim digitalen Zertifikat Hürden geben. Um in Deutschland ein Health-IT-Projekt abzuschießen, reicht das Zauberwort Datenschutz. Auch die elektronische Gesundheitskarte verzögerte sich dadurch um Jahre. Jetzt stehen die Zeichen wieder auf Sturm.
Lutz Hasse, Landesdatenschutzbeauftragter von Thüringen, hat sich Vorgänge beim digitalen Zertifikat angesehen. „Wenn beispielsweise der Gastwirt den QR-Code abscannt, wird eine Verbindung zu einem Server in der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen hergestellt“, sagt Hasse. „Wir haben bisher keinen Anlass anzunehmen, dass die Speicherung unsicher ist, aber diese Datenflüsse sind an sich nicht vorgesehen.“ Unklar sei auch, warum die Art des Impfstoffs mitgeteilt werde. Dem Gastwirt oder dem Konzertveranstalter kann das egal sein. Warten wir auf die erste Klage.
Auch der Faktor Zeit spricht gegen ein baldiges Ende gelber Heftchen. EU-weit soll am 1. Juli das „digitale grüne Zertifikat“ starten. Spahn bleibt vage; er nennt den Beginn der Sommerferien für Deutschland.
Dann wird der Ansturm richtig losgehen. Wie sollen Ärzte, Impfzentren (die es vielleicht schon bald nicht mehr geben wird) und Apotheken in kurzer Zeit Millionen elektronischer Nachweise ausstellen? Das bleibt ein Rätsel. Vor allem: Der Sommer naht, und Menschen wollen in den Biergarten, zum Sport – und nicht zuletzt in den Urlaub. Sobald Spahn das System ausrollt, werden Health Professionals überrollt.
Nicht jeder will dafür Schlange stehen und muss es auch nicht tun. Klar ist: Das digitale Zertifikat ist derzeit ein freiwilliges Angebot. Zur App wird niemand gezwungen. Und aus Gewohnheit werden viele Menschen ihrer Tradition treu bleiben und mit dem gelben Heftchen reisen.
Auch die Technik kann Schwierigkeiten machen. Wer unterwegs ist und kein Netz oder keinen Akku hat, kommt schnell in Schwierigkeiten. Ähnlich tragisch endet jeder Diebstahl des Geräts. In Deutschland mag der Schaden überschaubar sein; im Ausland ist Stress vorprogrammiert. Klar, man kann sich vor Ort testen lassen. Das kostet Geld – und der Flieger wird kaum warten. Wer auf Nummer Sicher gehen will, packt den analogen Impfpass auch mit ein.
Sicher ist, dass digitale Impfzertifikate kommen werden. Wie es mit ihnen perspektivisch weitergeht, muss sich zeigen. Ab 2022 soll nämlich ein digitaler Impfpass als Teil der elektronischen Patientenakte an den Start kommen.
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