Die Biotech-Branche stagniert, und aus der pharmazeutischen Industrie kommen nur noch wenige Innovationen. Ein zentraler Grund ist die schwierige Finanzierungssituation. Jetzt suchen Firmen nach neuen Wegen der Kapital-Akquise – in vielen Fällen mit Erfolg.
Moderne Arzneimittel sind Hightech-Produkte, die Krankheiten zielgerichtet therapieren. Und Hightech ist in allen Stadien der Forschung erforderlich – vom simulierten Drug Targeting am Computer über Synthese und High-Throughput-Screening bis hin zu vorklinischen und klinischen Studien. Die wirtschaftliche Bilanz: Jedes neue Medikament schlägt durchschnittlich mit 1,0 bis 1,6 Milliarden US-Dollar zu Buche. Gehen Forscher von einem Pool mit 5.000 bis 10.000 Substanzen aus, rechnen sie mit einer einzigen Zulassung nach rund 13,5 Jahren. Grund genug für Hersteller, neue Finanzierungsmodelle auszuloten. Einige Optionen:
Patientenselbsthilfe-Organisationen setzen mit ihren Geldern vergleichsweise früh in der Wertschöpfungskette an. Sie finanzieren Projekte, damit Krankheitsbilder letztlich im eigenen Interesse schneller erforscht werden. Zwei Beispiele: Um neue Impulse bei Augenerkrankungen zu liefern, hat die PRO RETINA-Stiftung zur Verhütung von Blindheit zwei Stiftungsprofessuren implementiert. Am Universitätsklinikums Regensburg wurde eine grundlagenwissenschaftliche Forschungsprofessur für die Entwicklung neuer therapeutischer Ansätze bei erblichen und altersbedingten Netzhautdegenerationen eingerichtet. Hinzu kam eine klinische Forschungsprofessur an der Universitätsaugenklinik Bonn. Deren Ziel: die Entwicklung und Durchführung von neuartigen Therapien bei Menschen mit erblichen oder altersbedingten Netzhautdegenerationen. Ein Ergebnis ist der Ret-Chip zur Diagnostik erblicher Netzhauterkrankungen. Andere Organisationen ziehen nach. So vergibt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) alle zwei Jahre Fördergelder in Höhe von 200.000 Euro, um innovative Ansätze zu unterstützen.
Genossenschaftliche Modelle bieten ebenfalls die Chance, Projekte aus der Medikamentenentwicklung zu finanzieren. AMD Therapy aus Reutlingen wollte 60 Millionen Euro einsammeln und in die Wirkstoffforschung stecken. Ihre Vorgehensweise: 20.000 Genossenschaftsanteile zu je 3.000 Euro ausgeben. Als Rendite winkte Patienten mit AMD der Erhalt des eigenen Augenlichts und die Beteiligung an Verkaufserlösen. Interessante Rendite oder Totalausfall – Freud´ und Leid stehen sich bei Arzneimittelzulassungen sehr nahe. Unternehmensberater weisen auf die immens hohen Risiken hin. AMD Therapy ist durch Verschmelzung mit einer anderen GmbH jedenfalls von der Bildfläche verschwunden.
Als mögliche Gründe sehen Experten starr festgelegte Einlagen und die lange Laufzeit. Grund genug, über flexiblere Modelle der Förderung nachzudenken. Gerade bei medizintechnologischen Innovationen setzten kleine Firmen auf Crowdfunding. Jetzt gelang der Sprung in den pharmazeutischen Bereich. Die Riboxx GmbH hat über diesen Kanal bis Mitte Januar 2015 insgesamt eine Million Euro an Land gezogen. Knapp 1.000 Investoren sind mit im Boot. Ihr Ziel lautet, RIBOXXIM weiterzuentwickeln – ein Pharmakon, das darauf abzielt, Rückfälle bei Krebserkrankungen durch immunologische Ansätze zu vermeiden. „Science“ kürte Immuntherapien bei Krebs zum „Durchbruch des Jahres 2013“. Aktivierte Komponenten des Immunsystems werden zur tödlichen Waffe gegen maligne Zellen. Kein Einzelfall: Die NeuroProof GmbH, ein Dienstleistungsunternehmen, präsentiert Technologien, um Medikamente gegen neurologische Krankheiten schneller und kostengünstiger zu entwickeln. Jetzt plant die Geschäftsführung weitere Expansionen – und sucht drei Millionen Euro in Form von Nachrangdarlehen.
Um noch größere Ziele zu erreichen, Stichwort vernachlässigten Krankheiten, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Das Erfolgsmodell: öffentlich-private Partnerschaften (Public-private-Partnerships, PPP). Die Player: öffentliche, private, akademische und philanthropische Institutionen. Im Jahr 2000 haben Akteure weltweit eine „TB Alliance“ gegründet, um Forschung und Entwicklung neuer Tuberkulose-Medikamente zu beschleunigen. Rund 20 Projekte befinden sich derzeit in Arbeit. Und seit 1999 existiert „Medicines for Malaria Venture“. Zwei Medikamente aus der PPP kommen bereits gegen Malaria zum Einsatz.
Erfolgreiche Finanzierungsmodelle dieser Art eignen sich nicht für alle Krankheitsbilder. „1% für die Zukunft – Innovation zum Erfolg bringen“ – mit dieser Forderung sorgte Ernst & Young (EY) im letzten Jahr für Schlagzeilen. Ihre Idee: Legen private und institutionelle Investoren bis zu einem Prozent ihres Vermögens in offene Hightech- und Highrisk-Eigenkapitalfonds an, sollten sie von der Kapitalertragsteuer befreit werden. Ähnliche Forderungen kommen von BIO Deutschland. Beim Branchenverband der Biotechnologie-Industrie bringen Experten mehrere Maßnahmen in das Gespräch: eine Befreiung von der Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte, Unterstützung via „INVEST – Zuschuss für Wagniskapital“, einen neuen Innovationsfonds nach französischem Vorbild sowie Steuergutschriften für kleine und mittelständische Unternehmen. Ökonomen fordern von der Regierung, sich stärker einzubringen. Davon profitieren alle Beteiligten: der Staat von neuem Wirtschaftswachstum, Investoren von Anreizen und Unternehmen von Wegen aus der Finanzierungsfalle.