Der Testosteronspiegel eines Mannes kann verraten, wie hoch sein Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf ist. Entscheidend ist ein bestimmter Wert.
Männer mit einem niedrigen Testosteronspiegel haben offenbar ein höheres Risiko für schwere COVID-19-Verläufe. Das ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten US-Studie. Ausschlaggebend waren Testosteronwerte (Gesamt-Testosteron) deutlich unter 100 Nanogramm pro Deziliter: Männer mit so niedrigen Werten mussten signifikant häufiger auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden als Männer mit normalen oder nur leicht erniedrigten Testosteronwerten. Anders sieht es bei Frauen aus – hier wurde kein Zusammenhang zwischen dem Geschlechtshormon und der Schwere der Erkrankung gefunden.
Schon seit Beginn der Pandemie ist bekannt: Männer sind generell im Nachteil, was den Krankheitsverlauf bei COVID-19 betrifft. Sie erleiden häufiger schwere Krankheitsverläufe und versterben öfter als Frauen infolge ihrer Erkrankung. Schon früh rückte deswegen das Testosteron des Mannes in den Fokus. Ein möglicher Zusammenhang zwischen Testosteronwerten und der Schwere von COVID-Verläufen wurde bislang aber noch nicht ausreichend untersucht.
Die prospektive, monozentrische Kohortenstudie um Erstautor Sandeep Dhindsa und sein Team von der Washington University in St. Louis liefert dahingehend neue Erkenntnise. Die Forscher haben untersucht, wie die Konzentrationen von Serumtestosteron (Gesamt-Testosteron), Östradiol und dem insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) mit dem Verlauf von COVID-19 tatsächlich zusammenhängen.
Dafür analysierten sie die Blutwerte von 90 Männern und 62 Frauen (mittleres Alter: 63 Jahre), die sich von März bis Mai 2020 mit COVID-19 im Krankenhaus vorgestellt hatten. Ihre Hormonwerte wurden am Tag der Aufnahme sowie 3, 7, 14 und 28 Tage danach gemessen.
Das Ergebnis: Männer mit schwerem COVID-19 hatten im Vergleich zu Männern mit milderem Krankheitsverlauf etwa 65 % bis 85 % niedrigere Testosteronwerte. Und zwar unabhängig von anderen bekannten Risikofaktoren, wie z.B. Alter, BMI, Komorbiditäten oder Tabakkonsum.
Es konnte beobachtet werden, dass schon die bei der Klinikaufnahme gemessenen Werte mit dem weiteren Krankheitsverlauf zusammenhingen. Wer bereits mit sehr niedrigen Testosteronwerten von durchschnittlich 53 Nanogramm pro Deziliter aufgenommen wurde, hatte häufiger schwere Verläufe und musste intensivmedizinisch behandelt werden.
Studienautor Dhindsa: „Selbst die Männer mit COVID-19, die anfangs noch nicht schwer erkrankt waren, aber niedrige Testosteronwerte hatten, brauchten zwei bis drei Tage später häufiger eine intensivmedizinische Behandlung oder Intubation.“ Auf den Zustand des Patienten wirkte es sich auch ungünstig aus, wenn die Testosteronwerte während des Aufenthalts im Krankenhaus noch weiter absanken, so ein Ergebnis der Studie.
Und auch das Risiko zu versterben korrelierte mit dem Geschlechtshormon: Umso niedriger der Testosteronspiegel, desto höher war das Risiko infolge von COVID-19 zu sterben. Im Gegensatz dazu waren die Östradiol- und IGF-1-Konzentrationen bei Männern nicht mit dem COVID-19-Schweregrad assoziiert.
Unklar bleibt beim gewählten Studiendesign allerdings die alles entscheidende Frage nach Korrelation oder Kausalität: Bedingt ein schwerer COVID-19-Verlauf einen niedrigen Testosteronspiegel? Oder führt ein niedriger Testosteronspiegel zu schweren Krankheitsverläufen? „In unserer Studie konnte nicht festgestellt werden, ob Testosteron ein Marker oder ein Mediator im Zusammenhang mit dem Schweregrad von COVID-19 ist“, schreiben die Autoren.
Denn: Sie kannten die Testestoronwerte vor der Erkrankung nicht. Ihre Vermutung: „Da die Patienten, die ins Krankenhaus kamen, bereits symptomatisch waren, ist es wahrscheinlich, dass ihre Testosteronkonzentrationen bei der Aufnahme im Vergleich zu den Ausgangskonzentrationen bereits dramatisch gesunken waren“.
Es könnte aber nach auch möglich sein, dass die Männer, die schwere COVID-19 entwickelten, schon vor ihrer Erkrankung chronisch niedrige Testosteronspiegel hatten, so die Ansicht der Autoren. Die Muskelmasse und Kraft dieser Männer ist geringer, was zu einer verminderten Lungenkapazität beitragen kann.
Das wäre aus Sicht der Autoren zumindest eine mögliche Erklärung für einen nicht nur korrelativen Zusammenhang zwischen niedrigeren Testosteronkonzentrationen und schwer verlaufendem COVID-19. „Bisher gab es die vorherrschende Ansicht, dass Testosteron in der Pandemie eher negativ wirkt, aber wir haben jetzt bei Männern das Gegenteil festgestellt“, sagt Dhindsas Kollege Abhinav Diwan.
Die entsprechende Studie haben wir euch im Text und hier verlinkt.
Bildquelle: Anush Gorak, pexels