Zur Infektiosität von Corona-Infizierten gibt es jetzt neue Daten. In der Charité-Studie geht es vor allem um die Rolle von Asymptomatischen und Kindern.
Die Übertragung von Infektionskrankheiten wie COVID-19 ist stark individuell abhängig und nicht allein über den R-Wert zu definieren. Insbesondere wenn die Übertragungen häufig prä-symptomatisch, asymptomatisch oder mild symptomatisch (PAMS) erfolgt, ist es schwierig, sich auf einen Wert zu beziehen, der lediglich das Verständnis der Krankheitsdynamik in der Bevölkerung wiedergibt.
Jedoch bleiben insbesondere bei SARS-CoV-2 viele Fragen zur Infektiosität offen: Welche Unterschiede gibt es in der Infektiosität der PAMS-Probanden in Bezug auf Alter und Impfstatus? Wie sieht der zeitliche Verlauf und die Entwicklung der maximalen Infektiosität aus in Abhängigkeit zum möglichen Auftreten von Symptomen? Und welche Unterschiede gibt es in der Infektiosität in Hinblick auf Virusvarianten?
Das Journal Science veröffentlichte eine Studie des Forschungteams um Prof. Dr. Christian Drosten, Institutsdirektor der Virologie der Charité in Berlin und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF), in der auf genau diese Fragen eingegangen wird.
Dazu wurden PCR-Proben in mehr als 25.000 COVID-19 Fällen hinsichtlich der SARS-CoV-2-Viruslast ausgewertet, um daraus die Ansteckungsfähigkeit der positiv getesteten Personen abzuschätzen. Dabei lagen für mehr als 4.300 Fälle mehrere Proben vor, die eine Nachzeichnung der Entwicklung der Viruslast im Rachen ermöglichten, um so einen typischen Verlauf statistisch aufzuzeigen. Die Auswertung legte besonders Fokus auf die verschiedenen Altersgruppen zwischen 0-100 Jahren und auf die unterschiedliche Symptomschwere.
Die Daten zeigten eine kleine Gruppe von 8,8 % als hochinfektiöse Probanden auf, wobei mehr als ein Drittel dieser Gruppe lediglich keine oder milde Symptome aufwiesen. Dies bestätige mehrere Studien, die in den untersuchten Probanden aufzeigten, dass eine kleine Gruppe von etwa 10 % für 80 % der Übertragungen verantwortlich gewesen sei oder 8-9 % der Probanden 90 % der gesamten Viruslast trugen. Prof. Drosten betonte, „dass sich hierunter so viele Menschen ohne relevante Krankheitssymptome finden, macht klar, warum Maßnahmen wie Abstandsregeln und die Maskenpflicht für die Kontrolle der Pandemie so wichtig sind“.
Die Analyse der gesammelten Daten bestätige bereits frühere aufgestellte Hypothesen und Studien, dass Betroffene auch ohne Krankheitszeichen sehr hohe Viruslasten aufweisen können. Hospitalisierte Patienten mit COVID-19-Infektion wiesen im Vergleich zu anderen Getesteten zwar eine höhere Viruslast über den gesamten Verlauf auf, jedoch tragen Infizierte wahrscheinlich schon ein bis drei Tage vor Symptombeginn die höchste Viruslast im Rachen.
In Bezug auf die Altersgruppen wurden keine beachtlichen Unterschiede in der Viruslast bei COVID-19-Infizierten zwischen 20 und 65 Jahren festgestellt. Die Abstriche enthielten etwa 2,5 Millionen Kopien des SARV-CoV-2-Erbmaterials. Kinder und Jugendliche über 5 Jahren wiesen mit steigendem Alter etwa gleiche Werte auf. Die jüngste Gruppe zwischen 0 und 5 Jahren wies lediglich rund 800.000 Erbgutkopien auf und trugen somit die niedrigste Viruslast. Dies sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die für Kinder eingesetzten Tupfer kleiner sind und somit auch das aufgenommene Probenvolumen. Außerdem werde aufgrund von Schmerzen und mangelnder Kooperation selten nasopharyngeale Tupferproben bei kleinen Kindern entnommen, sondern lediglich Rachenabstriche, in denen sich meist weniger Virus finde.
Die maximale Infektiösität wurde von Beginn des Ausscheidens bis zur maximalen Viruslast auf 4,3 Tage geschätzt. Die jüngste Altersgruppe erreichte in Bezug auf den Spitzenwert im Viruslastverlauf in einer Abschätzung etwa 80 % des Wertes der Erwachsenen. Schüler und Heranwachsende wiesen dabei ähnliche Werte wie Erwachsene auf. „Dies verdeutlicht, dass man Viruslasten nicht einfach proportional in Infektiosität umrechnen kann“, so Drosten. „Und auch diese datenbasierten Schätzungen der Infektiosität muss man noch mal nach oben korrigieren wegen der unterschiedlichen Probennahme bei Kindern. All dies fließt in eine klinisch-virologische Bewertung ein. Mein anfänglicher Eindruck einer ungefähr gleich großen Infektiosität aller Altersgruppen hat sich bestätigt, nicht nur hier, sondern auch in anderen Studien.“
Etwa 1.500 Patienten, die mit der Variante B.1.1.7 infiziert waren, wiesen im Vergleich zu Menschen, die mit wildtypischen SARS-CoV-2 infiziert waren und in denselben Einrichtungen untersucht wurden, eine etwa 10-fach erhöhte positive Viruslast auf. Die erhöhte Infektiosität der Variante wurde auf das 2,6-fache geschätzt. Dieser signifikante Unterschied sei wahrscheinlich nicht auf einen systematischen Unterschied in der Zeit der Probennahme zurückzuführen. Britische Studien implizierten bereits eine 5- bis 10-fach erhöhte Viruslast bei Infektionen mit B.1.1.7, wobei es sich dabei auch um Impfstoff- und Mortalitätsstudien handelte. „Auch wenn Laborversuche es bisher noch nicht abschließend erklären können: Das B.1.1.7-Virus ist infektiöser als andere Varianten", sagte Drosten.
Die virale RNA-Konzentration in Patientenproben gibt am besten Aufschluss über das Verhältnis zwischen SARS-CoV-2-Viruslast und Übertragung, da dieser Parameter am engsten mit der Übertragungswahrscheinlichkeit verbunden ist. Die Studie bietet aufgrund der statistischen Modellierungen und der gewählten Probandengröße einen aussagekräftigen Hintergrund. Trotzdem ist die Auswertung der Daten nicht ganz leicht zu interpretieren, da nicht bekannt war, wann die Proben während des Krankheitsverlaufs entnommen wurden und wie dies mit der Viruslast korreliert.
Auch wenn diese Erkenntnisse mit bisher veröffentlichten Studien und Vermutungen übereinstimmt, müssen weitere unabhängige, einheitlichere und ggf. Ländergrenzen überschreitende Studien folgen, um die Aussagekraft der Ergebnisse weiter zu bestärken und genauere Zusammenhänge zu erfassen. Jedoch sind die Labordaten und Auskünfte zu PAMS-Probanden nur begrenzt verfügbar, was die Anzahl der Studien zu Symptomatischen als auch zu PAMS-Patienten über den Verlauf von Infektionen bisher verringert.
Insgesamt zeigt sich, dass gesunde Gruppen zum Zeitpunkt der Erkennung voraussichtlich genauso infektiös sind wie Krankenhauspatienten. Diese Erkenntnis ist in der Hinsicht gravierend, da diese Personen in der weiten Gesellschaft zirkulieren und Ausbrüche auslösen oder verstärken können. Das Übertragungsrisiko kann nun auch in Bezug auf jüngere Altersgruppen besser abgeschätzt werden. Dies zeigt, dass soziale Distanzierung und das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes entscheidend dazu beitragen können, viele weitere Ausbrüche zu verhindern. In der Studie wurde darauf hingewiesen, dass solche Maßnahmen in allen sozialen Strukturen und Altersgruppen angewendet werden sollten, sofern eine potentielle Gefahr durch das Virus ausgeht.
Bildquelle: Robert Bye, unsplash