BEST OF 2021 | In der Causa Astra-Impfung und Sinusvenenthrombosen gibt es zwei neue Hinweise. Es geht um eine völlig neue Erklärung für das Phänomen. Auch Verunreinigungen wurden nachgewiesen.
Frankfurter Forscher wollen eine neue Erklärung für den Auslöser der seltenen Sinusvenenthrombosen mit Thrombozytopenie nach der Gabe von Vektor-Impfstoffen gefunden haben. Sie sind dabei löslichen Spike-Proteinen auf der Spur. Eine andere Forschergruppe ist derweil auf Verunreinigungen in einigen Chargen des Vaxzevria-Impfstoffes gestoßen. Auch hier vermuten die Wissenschafter einen Zusammenhang mit den seltenen Nebenwirkungen. Was steckt hinter beiden Thesen?
Forscher vom Uniklinikum Ulm haben zahlreiche Verunreinigungen im AstraZeneca-Impfstoff nachgewiesen. In ihrer Arbeit von Anfang Mai schreiben sie, dass sie sowohl humane, als auch virale Proteine gefunden haben, die nicht Teil des Schimpansen-Adenovirusvektors sind. Insgesamt hätten sie knapp 1.000 verschiedene humane Peptide ausfindig machen können. Dabei war ein hoher Anteil Hitzeschockproteine (HSP), mit die häufigsten Proteine im Zytosol. Vermutlich stammen sie aus den Zellkulturen, in denen die Adenovirus-Vektoren mitsamt der viralen genetischen Information angezüchtet werden.
„Extrazelluläre Hitzeschock-Proteine sind bekannt dafür, dass sie angeborene und erworbene Immunantworten modulieren und bestehende Entzündungsreaktionen verstärken können. Sie wurden zudem auch schon mit Autoimmunreaktionen in Verbindung gebracht“, erklärt Studienleiter Prof. Stefan Kochanek.
Möglicherweise sind die Protein-Verunreinigungen an der Immunkaskade im Rahmen der selten auftretenden Vakzin-induzierten immunogenen thrombotischen Thrombozytopenien (VITT) beteiligt. Darüber hatten Anfang April Greifswalder Wissenschaftler erstmals berichtet. Nach deren Analysen sollen Antikörper gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) eine Immunkaskade auslösen, die zur Thrombosebildung mit Thrombozytopenie führen (lest hier mehr dazu). Unklar ist aber nach wie vor, welcher Bestandteil oder Verunreinigung im Fall einer Impfung mit PF4 letztlich einen Komplex bilden könnte. Das müssen laut der Ulmer Forscher weitere Untersuchungen zeigen.
Eine andere Hypothese ist, dass die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht. Das würde erklären, warum auch nach der Impfung mit dem Vektor-Impfstoff von Johnson & Johnson die seltenen Sinusvenethrombosen auftraten, nicht aber nach mRNA-Impfungen.
Doch wie genau der adenovirale Vektor die Nebenwirkungen triggert, konnte man bislang auch noch nicht klären. Wissenschaftler um Dr. Eric Kowarz von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main könnten dem Auslöser nun auf die Schliche gekommen sein. Achtung, jetzt wird es molekularbiologisch und bedarf ein wenig Erklärung:
SARS-CoV-2 besteht aus einer einzelsträgigen RNA, die für eine Reihe von Proteinen kodiert. Darunter das Spike-Protein, das für die Bindung und den Eintritt in die Wirtszelle verantwortlich ist. Hat das Virus eine Zelle infiziert, dann wird die RNA im Zytosol der Zelle abgelesen und vervielfältigt. Wichtig ist, dass diese Prozesse nicht im Zellkern, sondern im Zytosol stattfinden. So läuft das auch bei den mRNA-Impfstoffen ab, nur dass hier statt der kompletten Virus-RNA nur die Bauanleitung für das Spike-Protein, verpackt in einem Lipid-Nanopartikel, injiziert wird.
Bei Vektorimpfstoffen kommt hingegen als Träger ein viraler Vektor zum Einsatz. Bei Vaxzevria von AstraZeneca ist das ein harmloses Adenovirus von Schimpansen, das sich nicht mehr selbstständig vervielfältigen kann. Die Bauanleitung für das Spike-Protein liegt hier nicht als RNA vor, sondern befindet sich in Form von DNA im Genom des Adenovirus. Daraus ergeben sich folgende wichtige mechanistische Unterschiede zur mRNA-Technologie:
Nach Verabreichung der Impfung entlädt der virale Vektor seine DNA ins Zytosol. Diese wandert anschließend in den Zellkern, wo die Information für das Spike-Protein abgelesen und in prä-mRNA übersetzt wird. Die prä-mRNA heißt so, weil sie im Zellkern noch einige Prozesse durchlaufen muss, bis sie als fertige mRNA aus dem Zellkern hinausgeschleust werden kann. Mithilfe dieser fertigen mRNA wird anschließend – wie auch bei den mRNA-Impfstoffen nur mit zusätzlichen Schritten – das Spike-Protein hergestellt, gegen das der Körper dann Antikörper bildet.
Doch an dieser Stelle gibt es laut der Frankfurter Wissenschaftler ein Problem. „Das virale DNA-Stück – das von einem RNA-Virus stammt – ist nicht für die Transkription innerhalb des Zellkerns optimiert“, heißt es in dem Paper. Das erklären die Forscher so: Nachdem die DNA im Zellkern in prä-mRNA übersetzt wurde, kommt unter anderem der Prozess des Splicings zum Einsatz. Dabei werden bestimmte Teile der prä-mRNA herausgeschnitten und die entstehenden Stränge wieder aneinander geklebt – so entsteht die fertige mRNA.
Das Schneiden und Kleben erfolgt dabei normalerweise an genau definierten Stellen, die im genetischen Code vorgegeben sind. Doch bei der manipulierten DNA des Vektors, die die Information für das virale Spike-Protein enthält, sind diese Stellen nicht genau definiert. Das hat zur Folge, dass die prä-mRNA an willkürlichen Positionen geschnitten wird, wodurch genetische Information verloren gehen kann. Das widerum könnte dazu führen, dass unter anderem zusätzlich kürzere Spike-Protein-Varianten entstehen und zwar solche ohne „Membran-Anker“. Dass das tatsächlich passieren kann, haben die Forscher in ersten Labor-Experimenten bereits zeigen können. Sie spekulieren deshalb, dass diese löslichen Spike-Proteine eine besondere Rolle bei den Impfkomplikationen spielen.
Tatsächlich konnte schon beobachtet werden, dass lösliches Spike-Protein unter anderem Entzündungen des Endothels hervorruft. Dazu passt auch die Beobachtung, dass viele schwere COVID-19-Verläufe mit thromboembolischen Ereignissen einhergehen und gleichzeitig große Mengen an löslichem Spike-Protein im Blut gefunden werden können.
Mechanistisch könnte das laut der Wissenschaftler so ablaufen: Nach dem Impfen werden membranverankerte und lösliche Spike-Protein-Varianten produziert. Wenn das Immunsystem nun mit der Produktion von Anti-Spike-Antikörpern beginnt (nach 4 bis 16 Tagen), erkennen diese Antikörper sowohl die membranverankerten als auch die löslichen Spike-Proteine. Die lösliche Fraktion der Spike-Protein-Varianten wird jedoch im ganzen Körper verteilt und konzentriert sich an verschiedenen Stellen derjenigen Endothelzellen, die das ACE2-Oberflächenprotein exprimieren. Diese ACE-gebundenen Spike-Protein-Varianten werden zu Zielen der neu produzierten Antikörper und verursachen eine Entzündungsreaktion, an der mehrere Immunzellen beteiligt sind.
Die hochspezifischen Blutflussbedingungen im zentralvenösen Sinus des Gehirns könnten dort zu den seltenen Thrombosen nach der Vaxzevria-Impfung führen. Die Forscher haben auch eine Erklärung dafür, warum es nach Impfungen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson etwas seltener zu Sinusvenenthrombosen im Vergleich zu Vaxzevria kommt. Der genetische Code, der bei diesem Vakzin benutzt wird, bringt offenbar seltener lösliches Spike-Protein hervor. Auch das haben die Forscher in ihrem Paper zeigen können.
Doch warum ist die Nebenwirkung so selten, wenn lösliches Spike-Protein bei vermutlich jedem auftritt, der mit einem vektorbasierten Impfstoff geimpft wurde? Die Wissenschaftler nehmen an, dass dies an einer genetischen Veranlagung und der Abwesenheit von neutralisierenden Antikörpern liegt.
Neutralisierende Antikörper verhindern die Bindung von löslichen Spike-Proteinen an Endothelzellen, die ACE2 auf der Zelloberfläche exprimieren. Die Autoren schreiben, dass möglicherweise einige Geimpfte aufgrund spezifischer MHC-Kombinationen keine neutralisierenden Antikörper gegen das Spike-Protein bilden können. „Eine solche immunologische Situation in Kombination mit dem Vorhandensein von Autoantikörpern gegen PF4 könnte möglicherweise die eher geringe Inzidenz von zentralvenösen Sinusthrombosen – oder anderen thromboembolischen Ereignissen – erklären.“
Noch wurde das Paper nicht von unabhängigen Experten begutachtet und die Hypothese der Frankfurter Forscher nicht bewiesen. Doch sollte sie stimmen, dann ließe sich das Problem relativ einfach lösen – die genetische Information in den Vektorbasierten Impfstoffen dahingehend optimieren, dass keine löslichen Spike-Proteine entstehen.
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