TEIL 1 | Ist Heparin ambulant keine Option mehr gegen COVID-19? Was ist mit Budesonid und Fluvoxamin? Hausärzte wollen wissen, wie sie behandeln sollen. Ein Experte macht den Medikamenten-Check.
Obwohl die Pandemie schon seit über einem Jahr auch Deutschland im Griff hält, gab es für den Hausarzt bisher wenig Hilfestellungen, wie er seine COVID-19-Patienten mit einer spezifischen ambulanten Therapie versorgen kann.
Lediglich bei nicht antikoagulierten Risikopatienten (z. B. ältere Altenheimbewohner mit Begleiterkrankungen, die positiv getestet sind) wurde empfohlen, eine prophylaktische Therapie mit niedermolekularem Heparin (LMWH) erwägen. Dies hat sich jetzt mit der DEGAM S1-Handlungsempfehlung Version 18 vom 30.4.2021 geändert.
Die neue Version dieser S1-Leitlinie gibt nun die Empfehlung, dass bei alten und/oder vorerkrankten Patienten zur Prophylaxe eines schweren Verlaufs eine Budesonid-Inhalation von 2 x 800 µg/d für 7–14 Tage erfolgen kann.
Diese Empfehlung basiert auf zwei kürzlich publizierten offenen, randomisierten, kontrollierten Studien. In der STOIC-Studie wurden 146 Patienten im Alter von 19–79 Jahren innerhalb von 7 Tagen nach Auftreten von milden COVID-19 Symptomen mit 800 µg Budesonid-Trockenpulver (Turbohaler) bid vs Standardtherapie bis Verschwinden der Symptome behandelt. Besonders eindrucksvoll war die Reduktion des Parameters „notfallmäßiger Arztbesuch (auch Notaufnahme, Hospitalisierung)“ von 15 % auf 3 % (p = 0,009).
In der PRINCIPLE-Studie wurden 4.663 Risiko-Patienten (≥ 65 Jahre oder ≥ 50 Jahre mit Begleiterkrankungen) innerhalb von 14 Tagen nach Auftreten von COVID-19-Symptomen mit 800 µg Budesonid-Trockenpulver bid vs 800 µg Budesonid-Trockenpulver bid plus Standardtherapie vs Standardtherapie über 14 Tage behandelt. In einer jetzt publizierten Zwischenauswertung von 2.617 Patienten wurden verschiedene Parameter durch die Budesonid-Therapie verbessert: Dauer bis Genesung (3 Tage kürzer), Hospitalisierung/Intensivstation/Tod und Sauerstoffpflichtigkeit.
Diese kurzfristige Budesonidtherapie wurde erwartungsgemäß gut vertragen. Trotz vielversprechender Ergebnisse auch außerhalb der Risikogruppen ist die Beschränkung auf Risikopatienten sinnvoll, um die Versorgung von lungenkranken Patienten nicht zu aufgrund einer möglicherweise resultierenden Budesonid-Knappheit zu gefährden.
Bei alten und/oder vorerkrankten Patientinnen und Patienten kann bei SARS-CoV2-Infektion zur Prophylaxe eines schweren Verlaufs nun auch Fluvoxamin erwogen werden: Beginn mit 1 x 50 mg möglichst abends, für die nächsten 14 Tage 2 x 50–100 mg/d (je nach Verträglichkeit).
Die Empfehlung basiert auf einer randomisierten, doppelblinden placebo-kontollierten Studie von Lenze et. al. an 152 Patienten. Die Patienten erhielten innerhalb von 7 Tagen nach Symptombeginn 100–300 mg Fluvoxamin über 15 Tage. Fluvoxamin verringerte die Progression der Erkrankung definiert als Hypoxie mit < 92 % O2-Sättigung in Kombination mit Kurzatmigkeit oder Hospitalisierung von 8 % (6 von 72) unter Placebo auf 0 % (0 von 80) mit Fluvoxamin (p = 0,009). Diese Ergebnisse wurden durch eine offene, nicht-randomisierte Fall-Kontrollstudie von Seftel und Boulware unterstützt. Nach 14 Tagen hatten 0 % (0 von 65) der Patienten der Fluvoxamin-Gruppe noch Symptome im Vergleich zu 60 % (29 von 48) der unbehandelten Kontrollgruppe.
Trotz der eindrucksvollen Ergebnisse kann eine breite Anwendung von Fluvoxamin bei COVID-19 aufgrund der noch schmalen Evidenz und der Möglichkeit von Fluvoxamin-Neben- und Wechselwirkungen (noch) nicht empfohlen werden.
Die Bundesregierung hat für Deutschland 200.000 Dosen von monoklonalen Antikörpern gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 (Bamlanivimab und die Kombination aus Casirivimab und Imdevimab) für 400 Millionen Euro gekauft. In klinischen Studien zeigten sich Hinweise auf eine Reduktion von ärztlichen Konsultationen um ca. 50 % und von notwendigen Hospitalisierungen um ca 75 % bei guter Verträglichkeit (cave: geringes Risiko für anaphylaktischen Schock). Aufgrund verstärkt auftretender Virusvarianten soll auch Bamlanivimab zukünftig nur noch in Verbindung mit Etesevimab (in Beschaffung) als Kombinationstherapie angewendet werden.
Da es sich um eine antivirale Therapie handelt, muss sie in der Frühphase der Infektion eingesetzt werden, d. h. eine Infusion maximal 10 Tage nach Symptombeginn und idealerweise ≤ 3 Tage nach dem ersten positiven Testergebnis. Weitere Voraussetzungen sind ein bislang milder oder mäßig schwerer Verlauf mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf (z. B.: Alter über 60 Jahre, Immunsuppression, Adipositas, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Erkrankungen der Lungen, Leber oder Nieren).
Die Arzneimittel werden über damit beauftragte Krankenhausapotheken zur Verfügung gestellt. Die Anwendung kann stationär im Krankenhaus oder bei Einhaltung der Voraussetzungen auch ambulant oder in Pflegeheimen oder Behindertenheimen erfolgen. Es wird empfohlen, vor Einleitung einer Therapie die Falldiskussion mit erfahrenen Experten des Infektiologie-Beratungsnetzwerks des STAKOB in Kooperation mit den DGI-Zentren oder der nächstgelegenen Universitätsklinik zu suchen (Adressen siehe unten). Die DEGAM-Leitlinie empfiehlt nur einen Einsatz innerhalb von klinischen Prüfungen.
Für alle oben genannten Therapieoptionen liegt bisher keine Zulassung der europäischen Behörden vor. Somit muss die Anwendung im Rahmen eines individuellen Heilversuches mit entsprechender umfassender und dokumentierter Aufklärung erfolgen.
Quellen
Bildquelle: Karolina Grabowska, pexels