Die WHO hat jüngst erklärt, dass die Röteln nun in Nord- und Südamerika als ausgerottet gelten. Damit ist der amerikanische Doppelkontinent der erste weltweit, auf dem keine endemischen Röteln-Transmissionen mehr stattfinden. Deutschland ist davon weit entfernt.
Anlässlich eines gemeinsamen Treffens von World Health Organization (WHO) und Pan American Health Organization (PAHO) gab ein internationales Expertenkomitee am 29. April bekannt, dass Nord- und Südamerika nun frei von endemischen Röteln-Transmissionen seien. Die Röteln sind damit nach den Pocken (1971) und der Poliomyelitis (1994) die dritte Infektionskrankheit, die dort als ausgerottet gilt. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe war gut gewählt, fiel sie doch mit der diesjährigen „Vaccination Week in the Americas“ und der „World Immunization Week“ zusammen. Weltweit gibt es noch keinen anderen Kontinent, auf dem die Röteln als ausgerottet gelten, manche Länder wie Dänemark, Norwegen und Finnland scheinen es aber geschafft zu haben. In Deutschland dagegen kommt es immer wieder zu Röteln-Fällen: 2014 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 151 Fälle übermittelt, das entspricht einer Inzidenz von 1,8 pro 1 Million Einwohner. Bei dem überwiegenden Teil der gemeldeten Ereignisse handelte es sich um klinische Verdachtsfälle. Betroffen waren überwiegend Kinder und Jugendliche: Etwa ein Drittel der Erkrankten war 1 Jahr alt oder jünger, drei Viertel aller Erkrankten war nicht älter als 14 Jahre.
Röteln verlaufen bei Kindern und Erwachsenen für gewöhnlich selbstlimitierend und ohne erhebliche Beeinträchtigungen des Wohlempfindens; beim Übergang des Rubella-Virus von einer Schwangeren auf den Fetus kann es jedoch zur Rötelnembryopathie kommen, die zu einem Abort oder zum kongenitalen Rötelnsyndrom (congenital rubella syndrome, CRS) führen kann. Typisch für das CRS ist eine Symptomtrias aus angeborenem Herzfehler (häufig Ductus Botalli apertus), Innenohrschwerhörigkeit bzw. Taubheit und Katarakt. Einen wirksamen prophylaktischen Schutz vor einer Rötelninfektion bietet die aktive Immunisierung mit dem Kombinationsimpfstoff gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR), die schon im Kindesalter abgeschlossen werden sollte. Insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Alter sowie Personen mit regelmäßigem Kontakt zu Kindern oder Schwangeren empfiehlt sich eine Vervollständigung des Impfschutzes auch im Erwachsenenalter. Laut einer Studie des RKI lag die Impfquote für Röteln im Jahr 2011 in Deutschland jedoch nur bei 34,6 %. Der Anteil der geimpften Frauen war zwar deutlich höher als der Anteil der geimpften Männer, aber trotzdem noch zu niedrig: Nur 43,6 % der befragten Frauen gaben an, gegen Röteln geimpft zu sein, bei denen im Alter von 18-49 waren es immerhin 57,7 %. Doch auch wenn man beide von der STIKO empfohlenen MMR-Impfungen erhalten hat, kann es in Ausnahmefällen passieren, dass der Impfschutz nicht lebenslang anhält. Aus diesem Grund empfiehlt es sich grundsätzlich, drei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft den Röteln-Titer zu bestimmen.
Auch wenn die Impfquote bei den jüngeren Frauen deutlich höher liegt als bei den älteren, hinkt sie den Erwartungen deutlich hinterher. Trotz der STIKO-Empfehlung, dass beide MMR-Impfungen bis zum Ende des 2. Lebensjahres erfolgt sein sollten, hatten 2013 nur 92,4 % der Schulanfänger die zweite Impfung erhalten. Auch bestanden deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern: Während Sachsen mit 87,5 % am schlechtesten abschnitt, lag Mecklenburg-Vorpommern mit 95,7 % an der Impfquoten-Spitze, gefolgt von Brandenburg mit 95,1 %. Diese beiden Bundesländer sind somit die einzigen, welche die von der WHO angestrebte Impfquote von 95 % erfüllen. Bereits seit 1980 empfiehlt die STIKO die trivalente MMR-Impfung für Jungen und Mädchen, und schon seit 1991 gibt es die Empfehlung für eine zweite MMR-Impfung. Seitdem gilt es, diese Impfempfehlung konsequent durchzusetzen. Doch da sich Viren nicht an Landesgrenzen halten, sind Röteln nicht nur ein deutsches, sondern ein globales Problem. Manche europäische Länder hatten noch bis 2009 ihre Röteln-Impfkampagnen auf Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter ausgerichtet – mit weitreichenden Folgen. Im Zeitraum von 2011 bis 2012 verzeichnete Rumänien eine Röteln-Epidemie mit mehr als 24.000 Fällen, 2012-2013 wurden aus Polen sogar knapp 45.000 Röteln-Fälle gemeldet. Bei einem Großteil der Erkrankten handelte es sich um ungeimpfte junge Männer im Alter von 15-29 Jahren, die nicht im Fokus der nationalen Impfkampagnen standen. Doch auch eine hohe landesweite Impfquote schützt nicht vor einzelnen Ausbrüchen, wie man zuletzt in Schweden feststellen musste. Das Land wähnte die Röteln schon ausgerottet, als es im Sommer 2012 in der kleinen Stadt Järna südwestlich von Stockholm zu einem Ausbruch kam – die Stadt ist das Zentrum der anthroposophischen Bewegung in Schweden, die sich zu großen Teilen gegen die Impfung von Kindern ausspricht. Gemeldet wurden zwar nur insgesamt 48 Fälle, doch die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, da die Erkrankung in der Regel mild oder sogar asymptomatisch verläuft, und viele Eltern sich zudem eine Ansteckung ihrer ungeimpften Kinder sogar wünschten.
Groß angelegte Impfkampagnen wie die jährliche „Vaccination Week“ erfreuen sich großer Beliebtheit auf dem amerikanischen Doppelkontinent und haben dort maßgeblich zur Ausrottung der Röteln beigetragen. In Europa setzt man dagegen eher auf Routineimpfungen. Im Rahmen des jüngsten Masernausbruchs in Berlin sind in Politik und Medien zudem wieder Forderungen nach einer Impfpflicht laut geworden. Zu den Verfechtern gehören sowohl Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe als auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. „Die eigenen Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen, ist verantwortungslos. Auf die Impfung zu verzichten, ist auch verantwortungslos gegenüber der gesamten Gesellschaft“, erklärte Montgomery Ende Februar. Seiner Meinung nach spreche aus medizinischen Gründen alles für eine Impfpflicht. In den USA und vielen anderen nord- und südamerikanischen Staaten ist es zumindest Pflicht, öffentlichen Kindergärten und Schulen eine Bescheinigung über den Impfstatus des Kindes vorzulegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich auch jedes Kind impfen lassen muss. Beispielsweise sind in allen US-amerikanischen Bundesstaaten medizinisch begründete Ausnahmen erlaubt, z. B. wenn eine Allergie gegen eine Komponente des Impfstoffs vorliegt. Zusätzlich sind in den meisten US-Bundesstaaten jedoch auch religiös begründete Ausnahmen zulässig, manche lassen auch persönliche, philosophische oder Gewissensgründe gelten. Den Nachweis einer ärztlichen Impfberatung vor der Aufnahme eines Kindes in eine deutsche Kita hält BÄK-Präsident Montgomery allerdings für nicht ausreichend, eine Impfpflicht bringe da mehr. Ob eine Verpflichtung zum Impfen aber wirklich der richtige Weg zur Eradikation von Röteln, Masern und Co. ist, bleibt fraglich. „Versteht man die Ablehnung der Impfung auch als eine Ablehnung von Staatlichkeit, könnte eine Impfpflicht kontraproduktiv wirken“, erläutert Prof. Uwe Groß, Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Göttingen. Seiner Meinung nach ist Aufklärung das A und O, um Impfgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Zu einer funktionierenden Demokratie gehört eben auch Freiheit, auch die Freiheit der eigenen Entscheidung. Aufklärung ist der Ansatz, der am meisten Erfolg verspricht, will man die Herdenimmunität erhöhen. Aufklärung ist alles, und durch gute Aufklärung kann man sehr viel erreichen.“