Der Kunde will ein Asthmaspray ohne Rezept? Ich ahne, worauf das hinausläuft: Budesonid. Für das, was folgt, muss ich sehr geduldig sein.
„Kann ich dieses Asthmaspray auch ohne Rezept kaufen?“, fragt mich ein Kunde und hält mir eine selbst ausgedruckte Seite des Lungeninformationsdienstes entgegen. Es geht natürlich um Budesonid, spätestens seit Karl Lauterbachs Gefühslausbruch auf Twitter DAS angefragte Mittel schlechthin.
Denn wenn derselbe Kunde dann auch noch ebendiesen Beitrag von Lauterbach findet, der Budesonid einen „Game Changer“ nennt, dann ist praktisch egal, was ich als kleine Apothekenangestellte dazu zu sagen habe. Dann will er das auch haben, koste es was es wolle. Die vielen Berichte zu angeblich hilfreichen Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 überfordern unsere Kundschaft immer wieder. Und um jedes neu entdeckte Heilsversprechen gibt es dann einen Hype, denn jeder Kunde möchte es für den „Fall der Fälle“ gerne schon einmal Zuhause vorrätig halten. Man weiß ja nie.
Zurück zum Ausdruck von meinem Kunden. Darin wird von einer nicht verblindeten und nicht placebokontrollierten Studie aus Oxford berichtet, an der 146 Menschen teilgenommen hatten, die symptomatisch an COVID-19 erkrankt waren. Die Erkrankten wurden in zwei gleichgroße Gruppen aufgeteilt, von der eine Hälfte die normale Standardbetreuung erhielt, während die andere ein Budesonid-Spray bis zum Abklingen ihrer Symptome zweimal täglich anwenden sollte.
Der Effekt bei der Anwendung des Asthmasprays war laut dieser Studie, dass die mit Budesonid behandelte Gruppe eine schnellere Genesung und weniger schwere Verläufe zu verzeichnen hatte. Obwohl seitens des Lungeninformationsdienstes explizit darauf hingewiesen wurde, dass die Ergebnisse dieser Studie in weiteren Studien erst nochmals überprüft werden sollten, reicht ein solcher Artikel aus, um die Menschen zu verunsichern. Weder können die meisten Laien etwas mit dem Ausdruck „placebokontrolliert“ anfangen, noch wissen sie, wie wenig überzeugend eine Studie mit gerade einmal knapp unter 150 Teilnehmern sein kann.
Neben meiner Sorge um verwirrte Kunden ist meine Angst dabei, dass wir demnächst wieder einmal vor leeren Schubladen – oder in unserem Fall vor leeren Regalfächern in unserem Komissionierautomaten – stehen, wenn ein Asthmatiker sein Spray benötigt. Zu gut erinnere ich mich noch an den Hype um Paracetamol im März letzten Jahres, als der französische Gesundheitsminister die Behauptung aufstellte, dass Ibuprofen eine Coronainfektion verschlimmern könnte, Paracetamol dagegen aber im Falle einer Erkrankung bedenkenlos eingenommen werden kann. Die Argumentation war damals ähnlich wie heute beim Budesonid: Es ist relativ günstig, überall zu bekommen, benötigt keine neue Zulassung, da es sich bereits auf dem Markt befindet und ist nebenwirkungsarm.
Plötzlich war quasi über Nacht das Allerweltsmedikament Paracetamol bei unseren Großhändlern ausverkauft. Gesundheitsminister Spahn forderte daraufhin vor einem Jahr in einem Brief an die Branchenverbände der Hersteller, des Großhandel und der Apotheker, dass dieses Schmerzmittel nur noch in absolut notwendigen Mengen in einem akuten Behandlungsfall abzugeben sei, wenn es keine geeigneten therapeutischen Alternativen gibt. So kam es also tatsächlich zu Lieferengpässen bei paracetamolhaltigen Arzneimitteln, wer hätte das gedacht? Bei uns waren damals sogar die Kinderzäpfchen ausverkauft.
Der große Vorteil bei Budesonid ist, dass es nicht frei verkäuflich ist und erst einmal durch einen Arzt verordnet werden muss. Doch wie groß ist diese Hürde eigentlich, in Zeiten, in denen man sich einfach legal online bei einem Internetarzt durchklicken kann, um sich das gewünschte Arzneimittel anschließend per Versanddienst liefern zu lassen? Es wird im Netz bereits fleißig dafür geworben, was ich mehr als bedenklich finde.
Die COVID-19-Taskforce der EMA hat sich nun zum Einsatz von inhalativen Kortikoiden bei Coronakranken geäußert. Den Angehörigen der Gesundheitsberufe wird mitgeteilt, dass es derzeit keine ausreichenden Beweise dafür gibt, dass inhalierte Kortikosteroide für Menschen mit COVID-19 von Vorteil sind. In den Studien wurden vor allem Menschen beobachtet, die bereits an Asthma litten. Möglicherweise hatte die signifikante Verbesserung ihres Gesundheitszustands bei der Therapie mit Budesonid auch damit zu tun. Die EMA rät daher zur Vorsicht beim Einsatz dieser Medikamente bei Patienten ohne Asthma, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass inhalative Kortikoide bei Menschen mit COVID-19, die normale Sauerstoffwerte haben, Schaden anrichten könnten.
Was mache ich nun mit meinem Kunden und seinen Internetrecherchen? Da das RKI inzwischen für viele Patienten eine feste Größe geworden ist, dessen Urteil man vertraut, hilft es, sich auf deren Website zu informieren. Dort gab es kürzlich eine gemeinsame Stellungnahme der Fachgruppe COVRIIN, des STAKOB und der DGI zum Einsatz von inhalativen Steroiden bei ambulanter SARS-CoV-2-Infektion. Es wurde sehr klar Folgendes kommuniziert:
„Für hospitalisierte Patienten mit COVID-19 gibt es keine neuen Daten und es besteht weiterhin keine Indikation zur inhalativen Budesonid-Therapie. Von einem Off-Label-Einsatz von Budesonid und anderen inhalativen Kortikosteroiden bei COVID-19 ist auch unter dem Aspekt der möglichen Engpässe in der Versorgung mit diesen Arzneimitteln abzuraten.“
Der Kunde hat sich damit von seinem Kaufwunsch abbringen lassen, auch nachdem ich ihm klargemacht hatte, dass er durch einen Kauf mit dazu beiträgt, dass ein wichtiges Medikament, das von Asthmatikern dringend benötigt wird, auf diese Weise vermutlich nur in irgendeiner Schublade verstaubt. Im tatsächlichen Fall einer Coronainfektion wäre es dann auch sein ganz persönliches Risiko, ein Medikament off label einzusetzen, und sich damit im schlimmsten Fall selbst zu schaden.
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