Menschen, die übermäßig empfindlich auf bittere Lebensmittel reagieren, infizieren sich seltener mit dem Coronavirus. Das klingt absurd, doch Forscher vermuten einen Zusammenhang.
Lässt sich anhand eines Geschmackstests herausfinden, wer anfälliger für Corona-Infektionen ist? Das lässt zumindest eine US-Studie vermuten, die jetzt in JAMA erschienen ist. Darin analysierten Barham et al. fast 2.000 Patienten und fanden heraus, dass sogenannte „Supertaster“ – also Personen, die übermäßig empfindlich auf einige Bitterstoffe reagieren – weniger wahrscheinlich positiv auf das Virus getestet wurden. Wenn diese Assoziation zutrifft, könnte das bedeuten, dass Menschen, die Brokkoli nicht allzu bitter finden, zu einer höheren Risikogruppe für schweres COVID-19 gehören.
Diese Assoziation erscheint auf den ersten Blick ziemlich abwegig. Doch Supertaster stehen schon länger im Fokus von Medizinern. Man schätzt, dass etwa 25 % der Menschen Supertaster sind, weitere 25 % sind "Non-Taster", also Menschen, die kaum Bitterstoffe wahrnehmen. Die restlichen 50 % registrieren zwar Bitteres, sind aber nicht so empfindlich wie die Supertaster. Der Grund dafür ist, dass Supertaster bis zu vier Mal mehr Geschmacksrezeptoren auf der Zunge haben verglichen mit den 50 %, die normal auf Bitterstoffe reagieren.
Bitterstoffe in bestimmten Lebensmitteln werden von Typ-2-Geschmacksrezeptoren erkannt, die von einer Familie von Genen namens T2R gebildet werden. Das T2R38-Gen gehört zu den am besten untersuchten dieser Gene. Variationen in der Struktur des T2R38-Proteins, für das das Gen kodiert, korrelieren mit der Toleranz einer Person gegenüber Bitterstoffen wie Phenylthiocarbamid und Propylthiouracil. Diese Stoffe sind reichlich in Gemüsesorten wie Brokkoli, Kohl und Rosenkohl vorhanden.
Wie sich schon in der Vergangenheit zeigte, haben Supertaster ein höheres Risiko für Darm-Polypen. Das wiederum ist ein Risikofaktor für Kolonkarzinome, der mit einer verringerten Aufnahme der oben genannten bitteren Gemüsesorten assoziiert ist.
Doch ein Supertaster zu sein, kann auch Vorteile haben: Nicht nur greifen diese Menschen seltener zu Alkohol und Zigaretten. Auch bei der Immunabwehr scheint sich das Supertasting auszuzahlen. Die T2R38-Geschmackszezeptoren finden sich nämlich nicht nur auf der Zunge, sondern auch in der Schleimhaut der Nase und oberen Atemwegen. In einer Studie fand man heraus, dass Sinusitis-auslösende Bakterien offenbar die T2R38-Rezeptoren aktivieren und damit die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) triggern – eine der ersten Verteidigungsmechanismen des Immunsystems gegen Eindringlinge. NO stimuliert dabei die Flimmerhärchen der Atemwege, die für die Selbstreinigung verantwortlich sind und Partikel und Erreger aus den Atemwegen befördern. Das könnte erklären, warum Supertaster seltener mit bakterieller Sinusitis zu kämpfen haben – und vielleicht auch seltener mit SARS-CoV-2 infiziert sind?
In der Studie von Barham et al. wurden 1.935 Erwachsene untersucht, von denen 266 positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Non-Taster hatten dabei eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit als "Normal-Taster" und Supertaster, positiv auf SARS-CoV-2 getestet zu werden, nach der Infektion ins Krankenhaus eingeliefert zu werden und länger an Symptomen zu leiden. 86 % der Personen mit schwerem COVID-19, die einen Krankenhausaufenthalt benötigten, waren Non-Taster. Weniger als 6 % der Supertaster wurden positiv auf SARS-CoV-2 getestet.
"Das ist eine sehr interessante Studie, die nahelegt, dass Bitter-Rezeptoren auf unserer Zunge auch mit unserer Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen wie COVID-19 verbunden sein könnten", sagt David Aronoff, Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten am Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, der nicht an der Studie beteiligt war. Allerdings sollten die Ergebnisse der Studie auch nicht überinterpretiert werden. Dazu ist die Studie zu klein und weist zu viele Limitationen auf. Aronoff erklärt: “Menschen, die Brokkoli hassen, sollten sich trotzdem impfen lassen.”
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