Nicht nur Bakterien oder Viren können von Mensch zu Mensch übertragen werden, auch Traumata sollen ansteckend sein. Aktuellen Studien zufolge können Erkrankungen wie die Posttraumatische Belastungsstörung auf andere „überspringen“ oder sogar vererbt werden.
Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine massive psychische Entgleisung, die nach schockhaften Erlebnissen auftreten kann. Die Beschwerden treten meist erst Wochen bis Monate nach dem belastenden Ereignis auf. Diese zeitliche Trennung führt häufig dazu, dass der Betroffenene Krankheitssymptome und die psychische Belastung aus der Vergangenheit nicht in Verbindung bringen kann. Die unspezifischen Beschwerden wie Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Aufmerksamkeitsstörungen werden dann nicht selten bagatellisiert. Erst wenn sogenannte Flashbacks auftreten, also das Trauma in sich aufzwängenden Erinnerungen immer wieder neu durchlebt wird oder die belastenden Bilder in Träumen auftauchen, knüpft der Betroffene einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden und dem damals Erlebten. Später kann sich außerdem ein Gefühl des Betäubtseins und der emotionalen Stumpfheit einstellen. Es kommt zu Teilnahmslosigkeit, Rückzug aus der gewohnten Umgebung, psychosomatischen Beschwerden und der Vermeidung von Aktivitäten, die an das Erlebte erinnern könnten. So werden beispielsweise Bahnschienen, Flughäfen oder Autobahnen gemieden, wenn vergleichbare Geräusche und Erlebnisse zur Traumatisierung beigetragen haben. „In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses“, so heißt es in der PTBS-Leitlinie, die zur Zeit aktualisiert wird.
Therapeuten berichten, dass Partner oder Familienangehörige von Soldaten mit PTBS häufig selbst Symptome der Störung zeigen. Selbst wenn diese nie selbst im Militär gedient haben. Jaideep Bains und sein Team am Hotchkiss Brain Institute (HBI) an der Cumming School of Medicine fanden heraus, dass Stress, der von anderen übertragen wird, das Gehirn genauso verändern kann wie echter, selbst erlebter Stress. In ihrer Studie untersuchte das Forschungsteam die Auswirkungen von Stress bei Paaren von männlichen und weiblichen Mäusen. Sie entfernten eine Maus aus jedem Paar und setzten sie einem milden Stress aus, bevor sie diese an ihren Partner zurückgaben. Dann untersuchten sie die Reaktionen der Gehirnzellen. Es stellte sich heraus, dass beide Mäusehirne neuronale Veränderungen und eine Übertragung des Stresses zeigten. „Die Neuronen, die die Reaktion des Gehirns auf Stress kontrollieren, zeigten Veränderungen bei unbelasteten Partnern, die mit denen identisch waren, die wir in den gestressten Mäusen gemessen haben“, so die Autoren. Durch selbst erlebten Stress wurde ein „Alarmpheromon“ freigesetzt, das den Partner dann ebenfalls alarmiert. Bemerkenswert ist, dass eine Entspannungsphase nur bei weiblichen Mäusen zu einer cerebralen Regeneration führte, nicht aber bei Männchen. Weitere Studien müssen aber zeigen, ob diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. Die meisten Wissenschaftler bejahen die Frage, ob eine PTBS an die Nachkommen weitergegeben werden kann. Daten aus einzelnen Untersuchungen sprechen für eine Weitergabe, allerdings sind die konkreten Mechanismen noch unklar. Einige Forscher gehen von (epi-)genetischen Mechanismen aus, andere ziehen vor allem die Sozialisation und entsprechende Lernprozesse in Betracht.
Wenn man sich auf den epigenetischen Aspekt konzentriert, liefert eine berühmte Studie auf diesem Gebiet Anhaltspunkte: Die Dutch Hunger Families Study untersuchte die Auswirkungen auf die später geborenen Kinder des „Hungerwinters“ von 1944 in den Niederlanden. Die Nachkommen hatten im Alter von etwa 60 Jahren einen erhöhten BMI, ein größeres Risiko für Diabetes und die Sterblichkeitsrate war 10 Prozent höher als in vergleichbaren Gruppen, bei denen die Mütter nicht hungern mussten. In einer weiteren Studie von Elmar W. Tobi et al. aus diesem Jahr wurde bewiesen, dass eine DNA-Methylierung durch das Hungern von Schwangeren bei den geborenen Kindern zu einer erhöhten Inzidenz von Diabetes und weiteren metabolischen Erkrankungen führen kann. Gilt, was für den Hunger nachgewiesen wurde, auch für den Stress? Ob und wie stark epigenetische Veränderungen zu einer vermehrten Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol führen, sollen Untersuchungen mit Bundeswehrsoldaten zeigen. Die Studie wird derzeit von Dr. Ulrike Schmidt, Oberärztin der Traumaambulanz des Max-Planck-Instituts und ihrem Team durchgeführt. Es gibt bereits Studien, die schon bewiesen haben, dass Stress zu epigenetischen Veränderungen führt, jedoch wurden diese immer erst nach der Stressreaktion analysiert. Die Soldaten werden hierbei aber bereits vor dem Einsatz untersucht, um vergleichen zu können: Wenn sie nach der Rückkehr an PTBS leiden, kann nach Unterschieden im epigenetischen Muster gesucht werden. Zudem kann – dank neuer automatisierter Labortechnik – in sehr viel größerem Umfang als noch vor zehn Jahren das Blut analysiert werden. „Heute können wir mit Hochdurchsatz-Screening in jeder Probe gleichzeitig nach 450.000 epigenetischen Markern suchen“, sagt Ulrike Schmidt. Die Forscher hoffen, auch bisher unbekannte Moleküle zu finden, die an der PTBS beteiligt sind. So wollen sie die Erkrankung besser verstehen lernen – und im besten Fall einen Bluttest und eine Pille gegen PTBS entwickeln.
Brian Dias von der Emory University in Atlanta, Georgia untersuchte die epigenetischen Auswirkungen von Angst bei Mäusen. Im Experiment schnüffelten männliche Mäuse an Acetophenon, einer Chemikalie mit süßem, mandelähnlichem Geruch. Im Anschluss erhielten sie direkt einen schwachen Stromschlag an den Pfoten. Diese Prozedur durchliefen die Tiere drei Tage lang, jeweils fünfmal pro Tag. Die Mäuse erstarrten regelmäßig vor Angst, sobald sie Acetophenon rochen, auch wenn sie gar keinen Stromschlag erhielten. Allein diese Beobachtung ließe sich sicherlich mit dem Pawlow-Reflex erklären. Zehn Tage später durften sich die Mäuse dann mit nicht konditionierten Weibchen paaren. Viele der heranwachsenden Nachkommen reagierten nun tatsächlich auch empfindlicher auf Acetophenon, als auf andere Gerüche. Zudem erschraken diese Tiere eher vor einem unerwarteten Geräusch, während sie dem Duftstoff ausgesetzt waren. Auch ihr Nachwuchs, also die „Enkel“ der zuerst konditionierten Mäuse, verhielt sich nervöser, sobald er Acetophenon roch. Alle drei Generationen wiesen vergrößerte sogenannte M71-Glomeruli auf. In diesen anatomischen Strukturen kommen die acetophenon-empfindlichen Nervenzellen aus der Nase mit den Neuronen des Riechkolbens zusammen. Die Wissenschaftler erklärten die Ergebnisse mit epigenetischen Prozessen. Die DNA-Sequenz bleibt unverändert, aber „Verpackung“ und die Expression werden modifiziert. Das umfasst beispielsweise DNA-Methylierung und Histonmodifikationen.
Veronika Engert vom Max-Planck-Institut stellte sich mit ihrem Team auch der Frage, ob Stress übertragbar ist und sich entsprechende biochemische Parameter verändern. Es wurde untersucht, ob es Unterschiede bei der Übertragung zu fremden Personen oder Partnern gibt. Ein Proband wurde psychosozialem Stress ausgesetzt und der andere sah die Situation per Live-Videoschaltung. Beim fremden Zuschauer stieg der Spiegel des Stresshormons Cortisol deutlich an, er empfand also empathischen Stress. Wurde der Lebenspartner diesem Setting ausgesetzt, war die Cortisolfreisetzung noch erheblich stärker. Männer und Frauen reagierten gleich häufig mit empathischem Stress. Auf Fragebögen schätzten Frauen sich als empathischer ein, als Männer dies taten. Bisher konnte das jedoch noch in keinem Experiment, das objektive biologische Marker verwendete, nachgewiesen werden. Ist Stress also von Mensch zu Mensch übertragbar? Lautete die Antwort Ja, wären die möglichen negativen Auswirkungen von belastendem Stress auf die Gesellschaft noch viel gravierender als bisher angenommen. „Zukünftige Studien sollen zeigen, wie genau der Stress übertragen wird und was getan werden kann, um den negativen Einfluss von Stress auf die Gesellschaft zu verringern“, so Engert.