Schmerzen lassen sich bei Bedarf gut vortäuschen. Sogar Ärzte mit viel Erfahrung fallen sporadisch darauf herein. Umgekehrt tun sich Patienten vor Gericht oft schwer, chronische Schmerzen nachzuweisen. In den USA sind erste Diagnostikfirmen mit fMRT-Daten erfolgreich.
Es geht mitunter um erhebliche Summen, die für ein Schmerzgefühl gezahlt werden. Nicht immer erscheinen die Aussagen von Schmerzensgeld-Klägern vor Gericht glaubwürdig. Auf der anderen Seite verursacht eine kleine Unfallverletzung zuweilen heftige Schmerzen, die ein ganzes Leben lang anhalten und mit Geld nur teilweise zu kompensieren sind. Wie viel leichter täte sich ein Gericht, wenn sich der Schmerz nicht nur auf einer subjektiven Skala dokumentieren ließe, sondern auf objektiven Messdaten beruhte. Besonders dann, wenn der Auslöser chronischer Schmerzen schon viele Jahre lang zurückliegt, stehen Beweise oft auf wackeligen Füßen. Und noch immer haben Frauen weniger Chancen auf eine angemessene Entschädigung, denn psychische Beeinträchtigungen sind weniger wert als Schmerzen nach einer Körperverletzung. Aber nicht nur vor Gericht hängt die Beurteilung des undefinierbaren, aber leidbringenden Gefühls von der Persönlichkeit und der Überzeugungskraft des Klienten ab. „Hysterische“ Patientinnen haben es auch beim Arzt schwerer, an Medikamente oder andere geeignete Therapien zu kommen. Kein Wunder, dass sich Gutachter immer dringlicher eine leicht ablesbare maschinengenerierte Messskala für die Intensität des Schmerzes wünschen.
Dabei sind die Forscher inzwischen schon soweit, dass Schmerzen sowohl im EEG als auch mit funktionaler Kernresonanz (fMRI) auf dem Bildschirm sichtbar werden. Meistens. Denn jeder Schmerz ist anders – nicht nur was die Lokalisation und die Qualität betrifft. Die Signale von aktivierten Hirnregionen hängen auch von der Umgebung und der Situation ab, in der sich der Proband gerade befindet. Dennoch konnten Neurologen wie Tor Wager von University of Colorado in Boulder in kleineren Studien zeigen, dass es trotz aller Variablen genug Gemeinsamkeiten gibt, um mit einer über 90-prozentigen Genauigkeit Schmerzpatienten zu erkennen. Vania Apkarian aus Chicago untersuchte Rückenschmerzpatienten schon kurz nach dem auslösenden Ereignis. Bei jenen 50 Prozent der Patienten, bei denen aus dem akuten ein chronischer Schmerz wurde, veränderte sich das Kernspin-Bild. Während zuerst die Nervenzentren in der Insula aktiv waren, verlagerte sich der Schwerpunkt viele Monate später in den Präfrontalen Kortex und die Amygdala, also die Zentren für kognitives Verhalten und Emotionen. Oft ist gerade chronischer Schmerz mit einer starken psychischen Komponente verbunden. Depressionen sind häufig mit ihm verbunden und beide Komponenten befördern sich gegenseitig. Kein Wunder, dass chronische Schmerzen zuweilen gut auf Antidepressiva reagieren.
In den USA hat sich – vor dem Hintergrund eines Gesundheitssystems, das mit hohen Schadensersatzforderungen bei Gerichtsprozessen konfrontiert ist – in den letzten Jahren damit eine Marktchance für innovative Diagnostikfirmen aufgetan, die sich auf die Lieferung von Beweismitteln für solche Prozesse spezialisiert haben. Mit verschiedenen fMRT-Analysesystemen versuchen sie, chronischen Schmerzpatienten zu ihrem Recht zu verhelfen. So sagt etwa ein Sprecher von Millenium Magnetic Technologies aus Birmingham, Alabama, dass es dank der Daten aus dem Scan zu mehr als zehn außergerichtlichen Einigungen bei Schmerzensgeldprozessen gekommen sei. Mit 92-prozentiger Genauigkeit in der Vorhersage chronischer Schmerzen wirbt die kalifornische Firma „Chronic Pain Diagnostics“. Die Kosten für solche Scans liegen bei rund 4.000 bis 6.000 US-Dollar. Aber auch Universitätsinstitute wie dasjenige für fMI-Forschung an der New Yorker Columbia University machen bei dem anscheinend lukrativen Geschäft mit.
Keines der verwendeten Verfahren ist bisher wissenschaftlich validiert. Die Analysen funktionieren zwar ganz gut im Forschungslabor, jedoch fehlt in der realen Welt juristischer Auseinandersetzungen die Sicherheit, dass das Verfahren nicht auch auf vorgetäuschten Schmerz reagiert und unabhängig von den Interessen des Diagnostikers ist. Die andere Frage lautet: Reichen 90 Prozent Genauigkeit? Auch über die Stärke des Schmerzes lassen sich bisher nur relativ ungenaue Angaben machen. Die Befürworter argumentieren, dass wissenschaftliche Akkuratesse im Gerichtssaal wohl gar nicht notwendig sei, wenn die Daten nur einen Beitrag zu Wahrheitsfindung leisten und die Frage beantworten, ob die betreffende Person unter Schmerzen leidet oder nicht. Grafiken und Daten, die mit komplizierter Technik erstellt wurden, so argumentieren Gerichtsbeobachter, können etwa Schöffen mehr beeindrucken als mancher wortgewaltige Anwalt. Abgesehen von den Vereinigten Staaten haben die Scans bisher nur wenig Verbreitung im juristischen Bereich gefunden, ähnlich dem Lügendetektor auf Kernspin-Basis, der sich bisher nicht durchsetzen konnte.
Ein zweiter großer Bereich, in dem der Hirnscan zur Schmerzmessung vielleicht eher zum Routineeinsatz kommt, ist die pharmakologische Forschung, insbesondere die Entwicklung von Analgetika: Studien, die die subjektive Schmerz-Dokumentation der Teilnehmer durch Messdaten ersetzen, möglichst unbeeinflusst durch die aktuelle Gefühlslage und andere Einflüsse auf die Psyche, wären nicht nur für die Hersteller wünschenswert. Ein Beispiel wie so etwas gehen könnte, liefert ein Bericht [Paywall] von Eugene Duff vom Februar dieses Jahres in Science Translational Medicine. Sie und ihre Kollegen aus Oxford, Cambridge und Cardiff nutzten die Daten aus vorangegangenen Studien von ZNS-Wirkstoffen mit fMRI-Analyse, um daraus ein neues Studienprotokoll zu konstruieren, das sich auch in der Praxis in einem ersten Test bewährte. Wenn man allerdings bedenkt, dass Analgetika nicht nur die Schmerzempfindung, sondern auch Stimmung, Entscheidungsprozesse im Gehirn und sogar das Gefühl für die eigene Persönlichkeit beeinflussen, so kann man ermessen, wie kompliziert die Sache ist. Gerade in diesem Bereich gibt es viele völlig unterschiedliche Substanzen mit ganz ähnlicher Wirkung und umgekehrt.
Immer mehr verschwimmt die Grenze zwischen Schmerzen, die etwa von einer Verletzung herrühren und psychisch bedingten Schmerzen, die bisher nur unzureichend mit entsprechender Bildgebung studiert wurden. Schmerzen aufgrund psychischer Traumata bedeuten aber nicht, dass sich der Proband den Schmerz nur einbildet. Andererseits beweist aber auch ein fehlendes fMRI-Signal nicht, dass es den Schmerz, den der Patient spürt, nicht gibt. Weil aber auch umgekehrt mit Neurofeedback-Training die gewünschten Signale im Scanner produziert werden können, ist die Schmerzmessung mit den Daten aus dem Gehirn noch weit von der klinischen Routine entfernt, nicht nur aus ökonomischen Gründen. Große Gerichtsprozesse, die aber aufgrund gefälschter Beweise zu Fehlurteilen führen, würden der weiteren Entwicklung vom Forschungslabor in die Praxis einen gewaltigen Stein in den Weg legen. Dort, wo es wirklich darauf ankommt und teuer wird, dürften Daten mit verschiedensten technischen und subjektiven Messmethoden wohl noch am ehesten zu einem glaubwürdigen Ergebnis und dem entsprechenden Befund kommen. Der Wunsch und genauso der Bedarf an objektiven Messdaten für das äußerst komplizierte Gefühl „Schmerz“ wächst ständig. Aber sind wir auch bereit, für solche Ergebnisse Ungenauigkeiten und falsch-positive Resultate in Kauf zu nehmen?