Solvente Scheichs oder milliardenschwere Magnaten hereinspaziert. Längst haben Kliniken in Europa neue Zielgruppen für sich erschlossen. Woher deren Gelder kommen, hinterfragt niemand allzu genau. Doch die Branche gerät aufgrund der Lage in Russland unter Druck.
Schwere Zeiten für Schweizer Bankhäuser: Aufmüpfige Whistleblower und illegal entwendete Daten-DVDs lassen eines der wichtigsten eidgenössischen Geschäftsmodelle mehr und mehr scheitern. Doch Hilfe naht: Neben dem Kunstmarkt entpuppen sich Luxuskliniken als veritables Geschäftsmodell für Kunden aus aller Herren Länder.
Einige Häuser preisen ihre Services nicht nur in deutscher und englischer Sprache an. Russische und arabische Inhalte kommen mit hinzu. Das Konzept: „One client a time“. Interdisziplinäre Teams betreuen einen einzigen Patienten bei fast allen nur erdenklichen Krankheiten, oft aus dem psychosomatischen Bereich. „Wir behandeln Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Essstörungen, Spielsucht, Sex- und Liebessucht und Internetsucht. Die psychiatrischen Dienstleistungen beinhalten Persönlichkeitsstörungen, Depression, Angststörungen, Zwangsneurosen, Phobien und Traumata“, heißt es bei Kusnacht Practice. Paracelsus Recovery hat ähnliche Schwerpunkte. Und die Zurich Clinic preist „Human Enhancement“ an: im Beruf, im Sport oder im Privatleben. Über fehlende Patienten – wir sprechen besser über Klienten oder Kunden – macht sich hier niemand Kopfzerbrechen. Kürzlich ist auch das Universitätsspital Zürich eingestiegen. Mit staatlicher Förderung entsteht in den nächsten Jahren ein Hightech-Behandlungszentrum direkt am Flughafen. Genolier oder Hirslanden wollen auch ihr Stück vom Kuchen. Medizintouristen geht es aber nicht nur um exzellente Ärzte. Einrichtungen in der Schweiz garantieren Anonymität – vor allem bei Suchtkrankheiten oder Depressionen. Exklusive Services schlagen mit mindestens 300.000 Schweizer Franken pro Monat zu Buche.
Deutschland mischt beim Geschäft um Milliardäre und Magnaten kräftig mit. Um detailliertes Zahlenmaterial ist man nicht verlegen. Etwa 100.000 stationäre und 150.000 ambulante Patienten lassen sich Jahr für Jahr bei uns behandeln. Das Volumen: rund 1,2 Milliarden Euro. Doch es gibt große Unterschiede zur Schweiz. Standen hierzulande noch vor wenigen Jahren Medizintouristen aus dem mittleren Osten im Fokus, kommen jetzt rund doppelt so viele Menschen aus GUS-Staaten und aus dem Baltikum, verglichen mit arabischen Ländern. Jede zehnte Klinik widmet sich mittlerweile diesem Segment, und knapp neun von zehn Häusern verzeichnen steigende Patientenzahlen. Das Wachstum liegt bei acht Prozent. Doch nicht immer läuft alles nach Plan. Zwar hat sich Bonn zum Zentrum für Patienten aus dem arabischen Raum entwickelt. Simone Stein-Lücke, Bezirksbürgermeisterin von Bad Godesberg, will den Standort weiter ausbauen – vielleicht zur wichtigsten Anlaufstelle für Medizintouristen bundesweit. Sie sieht Vorteile für Betriebe und Arbeitsplätze für Bürger, räumt jedoch „einigermaßen ungeordnete Verhältnisse“ bei der Mietsituation ein. Teilweise werden Wohnungen unter der Hand an Medizintouristen vergeben, auch über dubiose Mittelsmänner. Kulturen prallen aufeinander, und Konflikte sind vorprogrammiert. Wirkliche Lösungen hat Stein-Lücke aber nicht. Viele Vermieter schätzen das schnelle Geld.
An monetären Fragen scheiden sich die Geister noch in anderer Hinsicht. Egal, ob Oligarchen aus Russland, Despoten aus Libyen, Königssöhnchen aus Kuwait oder Warlords aus afrikanischen Staaten: Wer Geld mitbringt, und sei es im Köfferchen, ist herzlich willkommen. Da will niemand wissen, ob es sich um hinterzogene Steuern, Drogengelder oder Kriegskassen handelt. DocCheck hat stichprobenartig einige Kliniken kontaktiert und in den meisten Fällen keine Antwort erhalten. Allenfalls kam der lapidare Hinweis, geltendes Recht werde „natürlich beachtet“, man sehe ansonsten den Zoll in der Pflicht. Zahlungen auf klassischem Wege per Rechnung gelten ohnehin als Problem. Mehrere Häuser berichteten auf Nachfrage von der teils schlechten Zahlungsmoral bis hin zu Zahlungsausfällen. In einer neurologischen Reha-Klinik verschwanden Patienten über Nacht. Der Schaden summiert sich auf zwei Millionen Euro. Juristen sehen kaum Chancen, auf gerichtlichem Wege entsprechende Gelder einzutreiben. Kein Wunder, dass sich so manche Verwaltungseinrichtung über Bares im Köfferchen freut – vor allem bei Russen. Die hat jedoch die Rubel-Krise schwer getroffen. Teilweise kommen Oligarchen nicht mehr an ihre Auslandskonten heran; vom Wertverlust gegenüber Euro und Schweizer Franken ganz zu schweigen. Verlieren Kliniken plötzlich eine ihrer wichtigsten Zielgruppen?
Kein Wunder also, dass die Angst groß ist. Neue Marketingstrategien bieten da vermeintliche Lösungsansätze. Kliniken werben deutlich aggressiver um solvente Kunden. Delegationen aus Deutschland oder aus der Schweiz besuchen Medizinkongresse, an denen auch Patienten teilnehmen. Einzelne Repräsentanten haben sich sogar in Talkshows gewagt, um Menschen vor Ort zu erreichen. Mehr Konkurrenz am Markt bleibt selten ohne Folgen. Ein Patientenvermittler, der seinen Namen lieber nicht im Web lesen möchte, sagte zu DocCheck, er rechne mit „deutlich sinkenden Preisen bei gleichbleibend hohem Leistungsumfang“.