Zusätzlicher Stress erhöht den Kortisolspiegel im letzten Schwangerschaftsdrittel, so eine Studie, die mit einem Haartest den Stresslevel von Schwangeren bestimmte. Welche Folgen erhöhter Stress der Mütter auf ihre Kinder unmittelbar und langfristig hat, ist aber noch unklar.
Unter Stress produziert der menschliche Körper vermehrt das Hormon Kortisol, das sich auch in den Haaren einlagert. Durch eine Konzentrationsmessung des dort befindlichen Kortisols lässt sich die Stressbelastung rückwirkend über mehrere Monate zuverlässig ermitteln. Diese Methode wurde vor wenigen Jahren von Wissenschaftlern der Universität Dresden entwickelt und bietet eine gute Alternative zur Kortisolbestimmung im Speichel. Zusammen mit Kollegen der Universität Ulm konnten die Dresdner Wissenschaftler nun im Rahmen einer klinischen Studie [Paywall] zeigen, dass dieses Verfahren auch geeignet ist, die Stressbelastung von Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel zu messen. Wie das Forscherteam um Dietrich Rothenbacher und Clemens Kirschbaum in der Fachzeitschrift Psychoneuroendocrinology berichtete, führten verschiedene Risikofaktoren zu einer signifikanten Erhöhung des Kortisolspiegels in den Haarproben der Probandinnen. An der Studie nahmen 970 schwangere Frauen teil, die alle im Zeitraum von rund einem Jahr am Universitätsklinikum Ulm ihr Kind zur Welt brachten; die Beteiligungsrate betrug 49 Prozent.
Die Forscher erfassten mit einem Fragebogen sowohl die familiäre und persönliche Situation als auch die gesundheitliche Verfassung der werdenden Mütter. Direkt nach der Entbindung ihres Kindes wurden ihnen jeweils zwei Haarsträhnen entfernt. Für die Bestimmung der einzelnen Kortisonkonzentrationen schnitten die Forscher die zuletzt gewachsenen drei Zentimeter jeder Haarprobe ab und analysierten diese mithilfe der HPLC-Massenspektrometrie. „Da die Haare pro Monat rund einen Zentimeter wachsen, erhalten wir so auf relativ einfacher Weise Informationen über die Stressbelastung der Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel“, erklärt Rothenbacher, Direktor des Instituts für Epidemiologie und Biometrie der Universität Ulm. „Die Kortisolmessung im Haar ist für diesen Zweck eindeutig der Kortisolmessung im Speichel überlegen, da letztere nur tagesaktuelle Werte liefert und es damit nur unter sehr großem Aufwand möglich wäre, einen ähnlich guten Überblick über einen längeren Zeitraum zu gewinnen.“ Einige Frauen schieden aus der Studie aus, weil sie Kortikosteroide während der Schwangerschaft eingenommen hatten oder ihre Haarproben keine aussagekräftigen Ergebnisse lieferten. Insgesamt 768 Frauen blieben für eine statistische Analyse übrig. Die Forscher um Rothenbacher stellten dabei fest, dass die Kortisolkonzentrationen bei rauchenden, übergewichtigen oder adipösen Frauen im Vergleich zur Referenzgruppe signifikant erhöht waren.
Frauen, die alleine ohne festen Lebenspartner leben, hatten eine höhere Kortisolkonzentration im Haar als die anderen Frauen. „Dieses Resultat deckt sich mit unseren Erfahrungen, dass alleinerziehende Mütter den meisten Stress haben,“ sagt Rothenbacher. Wie er und seine Kollegen in der Veröffentlichung schreiben, hätten alleinerziehende Mütter häufig weniger soziale Kontakte und bekämen seltener Unterstützung durch Freunde und Familie. Einen ähnlich großen Einfluss auf den Kortisolspiegel könnte die Art der Schulbildung haben: Mütter, die keinen Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss haben, wiesen höhere Werte auf als Mütter mit Abitur. Dagegen wirkte es sich auf die Höhe der Kortisolkonzentrationen nur wenig aus, wenn die Frauen mehreren Jobs nachgehen mussten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Interessanterweise hatten auch die Jahreszeit und die Art der Geburt Einfluss auf die Stressbelastung. So lagen die Kortisolwerte bei Schwangeren, die im Winter gebaren, deutlich unter denen von Müttern, die ihr Kind im Herbst oder Sommer auf die Welt brachten, und nach Kaiserschnitt waren die Werte niedriger als nach Spontangeburten. Warum es solch ausgeprägte saisonale Schwankungen der Kortisolwerte gab, darüber kann Rothenbacher nur spekulieren: „Vielleicht hängt dieser vom Sonnenstand oder auch von Kofaktoren der Vitamin D-Synthese ab, aber momentan kennen wir die genaue Ursache noch nicht.“
Nur ein Teil der schwangeren Frauen, die im Studienzeitraum ihr Kind im Universitätsklinikum zur Welt brachten, beteiligte sich an der Studie. Diese Tatsache müsste eigentlich die Aussagekraft der Ergebnisse einschränken. Doch Rothenbacher geht davon aus, dass gerade die besonders gestressten Frauen nicht an der Studie teilnahmen: „Somit sollten die beobachteten Effekte in der Gruppe aller schwangeren Frauen noch ausgeprägter sein“, findet der Forscher. Weitere Studien sollen nun klären, welche Folgen erhöhter Stress der Mütter auf ihre neugeborenen Kinder unmittelbar und langfristig hat. „Wir vermuten, dass die erhöhten Kortisolkonzentrationen eventuell die Entstehung von Neurodermitis, Asthma, Allergien oder Übergewicht bei Kindern begünstigen“, so Rothenbacher. Er verweist auf die gut durch Studien belegte Theorie der fetalen Programmierung. Diese besagt, dass bereits im Mutterleib der genaue Ablauf der verschiedenen Stoffwechselprozesse festgelegt wird. Zu hohe Kortisolspiegel könnten nun zu einer falschen Programmierung dieser Regelkreise führen und den Grundstein für spätere Erkrankungen legen. Um diesem Verdacht nachzugehen, wollen Rothenbacher und sein Team nun die neugeborenen Kinder aus dieser Studie über einen längeren Zeitraum weiter beobachten und zudem ihr Nabelschnurblut auf Entzündungsparameter analysieren.
Der Mitautor der Studie, Clemens Kirschbaum, befürchtet keine unmittelbaren Folgen für die Kinder von Müttern mit erhöhtem Kortisonspiegel: „Die Konzentration des Hormons steigt auch unter normalen Umständen bis zum Schluss der Schwangerschaft an“, sagt Kirschbaum, Inhaber des Lehrstuhls für Biopsychologie an der Technischen Universität Dresden. „Es fördert die Lungenreifung, damit das Neugeborene selbständig atmen kann.“ Allerdings, so der Wissenschaftler, könnten ungünstige Folgen für die Kinder nicht ausgeschlossen werden, wenn deren Mütter in der Schwangerschaft überdurchschnittlich erhöhte Kortisolspiegel aufwiesen. Zwar fehlen noch die Daten, die eventuell negative Folgen belegen würden, doch einen ersten Hinweis könnte eine frühere Studie von Clemens und seinem Team geben: In deren Rahmen hatten die Forscher untersucht, wie sich eine Kortisoltherapie bei schwangeren Frauen, denen eine Frühgeburt droht, auf deren Kinder auswirkt. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten die Kinder dieser Frauen eine erhöhte Stressreaktivität: „Sie können auf Stress nicht so gut reagieren wie gleichaltrige reifgeborene Kinder, deren Mütter keine Steroidbehandlung erhielten“, berichtet Kirschbaum.
Auch wenn sich die beiden Studien nicht direkt miteinander vergleichen lassen, da in der einen Studie der Kortisolspiegel künstlich erhöht wurde und in der anderen nicht, hält Kirschbaum es dennoch für sehr wichtig, das Gedeihen der Kinder aus der neuen Studie weiter zu verfolgen und in unterschiedlichen Bereichen zu schauen, welche Auswirkungen ein hohen oder auch ein niedriger Kortisolspiegel auf die Kinder hat. „Ließe sich der Zusammenhang von unerwünschten Entwicklungen bei den Kindern und zu hohen Kortisolkonzentrationen bei deren Müttern wissenschaftlich weiter untermauern“, so Kirschbaum, „müsste man Beratung der betroffenen Mütter verstärken und weitere präventive Maßnahmen ergreifen, um negative Konsequenzen zu vermeiden.“ Originalpublikationen: Determinants of maternal hair cortisol concentrations at delivery reflecting the last trimester of pregnancy [Paywall] S. Braig et al.; Psychoneuroendocrinology, doi: 10.1016/j.psyneuen.2014.12.006; 2014 Impact of antenatal synthetic glucocorticoid exposure on endocrine stress reactivity in term-born children N. Alexander et al.; J Clin Endocrinol Metab., doi: 10.1210/jc.2012-1970; 2012