Vollständig geimpft und trotzdem infiziert: In einem Pflegeheim kam es zu Corona-Ausbrüchen und einigen schweren COVID-Fällen. Jeder zehnte 70-Jährige wies keine Antikörper auf. Woran das liegt, zeigen jetzt zwei deutsche Studien.
Schon öfter gab es Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen, obwohl alle Bewohner schon vollständig geimpft waren. In zwei zusammenhängenden Arbeiten bestätigt Forschungsteam der Charité jetzt, was Mediziner anhand ihrer Erfahrung mit anderen Impfstoffen schon vermutet hatten: Das Immunsystem von alten Menschen reagiert nicht ganz so effizient auf die Impfung wie das von jüngeren.
Die Impfung von Kontaktpersonen ist laut der Forscher deswegen enorm wichtig, um die gefährdete Risikogruppe bestens schützen zu können. Auch Auffrischungsimpfungen seien für ältere Personen denkbar.
Für eine der zwei Untersuchungen arbeiteten die Forscher zunächst einen Ausbruch in einer Berliner Pflegeeinrichtung auf, der im Februar bemerkt worden war. Dabei hatten sich – neben 11 Pflegekräften ohne vollständigen Impfschutz – auch 20 Bewohner mit SARS-CoV-2 angesteckt. Bis auf vier von ihnen waren alle vollständig mit dem Biontech-Vakzin geimpft.
Während die vier Ungeimpften so schwer erkrankten, dass sie in einem Krankenhaus behandelt werden mussten, zeigte nur rund ein Drittel der Geimpften Krankheitszeichen wie Husten oder Atemnot. Durch eine Bestimmung der Virusmenge in den Abstrich-Proben stellte das Team fest, dass Geimpfte tendenziell weniger Virus im Rachen aufwiesen als Ungeimpfte.
Bei ihnen wurde das Virus zudem über einen deutlich kürzeren Zeitraum nachgewiesen, im Schnitt über knapp 8 statt 31 Tage. Vier weitere geimpfte Heimbewohner steckten sich trotz Exposition während des Ausbruchs nicht mit SARS-CoV-2 an. Weitere Übertragungen in andere Bereiche der Einrichtung wurden durch Hygienemaßnahmen verhindert.
Dennoch mussten zwei der 16 geimpften COVID-19-Patienten in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Dort starb eine Patientin nach einem starken Anstieg des Blutdrucks an einer Hirnblutung. Eine zweite Patientin starb im Heim, nachdem sie über zwei Wochen schon kein Virus mehr ausgeschieden hatte. Die beiden Verstorbenen hatten keine Atemwegssymptome entwickelt. Die Forscher gehen deshalb nicht von einem ursächlichen Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Infektion aus.
„Auf der einen Seite sehen wir an diesem Ausbruch, dass die Impfung die Bewohner des Pflegeheims insgesamt geschützt hat, denn ihre Krankheitsverläufe waren deutlich milder“, sagt Dr. Victor Corman, Stellvertretender Leiter des Konsiliarlabors für Coronaviren am Institut für Virologie der Charité und einer der drei leitenden Autoren der Studie in einer Pressemitteilung. Der Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ergänzt: „Die kürzere Virusausscheidung hat außerdem vermutlich weitere Übertragungen verhindert. Gleichzeitig wird durch die Häufung der Infektionen klar, dass die hohe Wirksamkeit der Impfung bei alten Menschen manchmal nicht voll zum Tragen kommt.“
Einen der möglichen Gründe dafür sehen die Wissenschaftler darin, dass der Ausbruch von der Alpha-Variante (B.1.1.7) ausgelöst worden war, die mit einer höheren Virusmenge im Rachen und einer größeren Übertragbarkeit einhergeht. Einen zweiten Grund fanden sie in der Immunantwort der Betroffenen auf die Impfung selbst. Das stellten sie in einer zweiten Untersuchung fest:
Darin verglich das Forschungsteam die Immunreaktion auf die BiontechImpfung bei über 70-jährigen Patienten einer Hausarztpraxis mit der von Charité-Beschäftigten, die im Schnitt 34 Jahre alt waren. Dabei zeigten Blutanalysen, dass schon drei Wochen nach der ersten Dosis etwa 87 % der Jüngeren Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet hatten, unter den Älteren waren es nur rund 31 %. Einen Monat nach der zweiten Dosis hatten fast alle jungen Impflinge (99 %) SARS-CoV-2-spezifische Antikörper im Blut, unter den älteren waren es rund 91 %. Zusätzlich reiften die Antikörper bei den Älteren langsamer, sie konnten das Virus also schlechter binden. Und auch der zweite wichtige Arm der Immunreaktion, die T-Zell-Antwort, fiel schwächer aus.
Privatdozent Dr. Florian Kurth, Mitautor der Studie von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, erklärt: „Zwar hat nach der vollständigen Impfung nur knapp jeder Zehnte der über 70-Jährigen keine Antikörper im Blut. Da wir aber derzeit keine Möglichkeit haben, die Personen mit geringem Impfschutz anhand einzelner Messwerte zu erkennen, können wir uns für den Schutz dieser besonders gefährdeten Risikogruppe nicht allein auf die Impfung verlassen.“
Stattdessen spiele zum jetzigen Zeitpunkt, wo große Teile der Bevölkerung noch nicht immun sind, Hygienemaßnahmen und Testungen noch eine wichtige Rolle, meint Dr. Kurth. „Insbesondere die Impfung des pflegerischen Personals sowie der Besucher ist immens wichtig, um Ausbrüche in Pflegeheimen zu verhindern. Mittelfristig kommt sicherlich auch eine weitere Auffrischimpfung für ältere Menschen infrage, um deren Impfschutz zu verbessern.“
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