Der Anruf meines Arztes trifft mich wie ein Schlag: Die Krebsstudie, von der ich mir als Patientin so viel erhofft hatte, läuft jetzt ohne mich. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ein kleines Wunder passieren wird.
„Nella, ich habe jetzt das Ergebnis aus Philadelphia. Sie können leider nicht an der Studie teilnehmen.“ Pause. „Hallo, hören Sie mich?“Ja, natürlich hatte ich meinen Oberarzt aus der Charité gehört. Klar und deutlich. Ich war nur stumm vor lauter Fassungslosigkeit.
Was würde jetzt aus mir? Gibt es jetzt überhaupt noch eine erfolgversprechende Therapie für mich? Alle hatten doch gesagt, das würde sicher funktionieren. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich passte doch genau in die Gruppe, auf die diese Studie zugeschnitten war. Ich war sportlich, unter 55 Jahre alt, hatte kein Ansprechen auf eine Chemotherapie gezeigt und, und, und. Und jetzt das, ich war in der Screening-Phase der Studie rausgefallen.
„Wo sind Sie denn gerade?“, hörte ich ihn fragen. „Ich laufe meine tägliche Runde.“ Meine Stimme war leise, aber sie war wieder da. „Das ist aber nicht der Standard“, spricht er mit hörbarem Lächeln in unsere Verbindung. Mir war das Lächeln absolut vergangen. „Laufen Sie jetzt mal nach Hause, wir telefonieren heute Abend noch einmal.“ „Okay.“ Aufgelegt.
Da stand ich nun, hatte weiche Knie und fühlte nichts mehr. Mein Körper war eine seelenlose Hülle. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin, aber ich erinnere mich noch genau, dass ich bereits auf dem Heimweg dachte: Gut, alles klar, so ist das nun. Es muss jetzt eine andere Lösung her. Jan (ich nenne ihn meinen Onko-Cousin) hatte ja gesagt, die Forschung ist so schnell und alle drei Monate komme etwas Neues auf den Markt.
Also wird es auch für mich noch eine Alternative geben. Es muss!
Von welcher Studie ich konkret spreche, fragst du dich sicher. Bei mir ging es damals, Mitte 2016, um die Teilnahme an der CAR-T Studie, die inzwischen als Therapie zugelassen wurde und in mehreren deutschen Universitätskliniken zum Einsatz kommt.
Die Ärzte hatten festgestellt, dass meine T-Zellen zwar reichlich vorhanden, aber leider nicht scharf gestellt waren, sozusagen. Die autologe Stammzelltransplantation wäre auch eine Option gewesen, von der sie sich aber damals in meinem Fall nicht viel versprachen. „Dann stehen Sie in drei Jahren wieder auf der Matte und das wollen wir alle nicht“, so die Aussage.
Nach dem Therapieversagen – so nannten es die Ärzte – war die mögliche Aufnahme in diese Studie für mich die einzige Rettung, so schien es damals. Die Option dafür ergab sich so plötzlich, dass sie meine gesamte Familie vor eine riesige Herausforderung stellte. Es war Juni 2016, ich hatte meine Reha schon hinter mir, und ich sollte mal wieder stationär aufgenommen werden.
Noch in der Lobby kam Dr. Svenson aufgeregt auf mich zu und berichtete mir, dass der deutsche Standort an der Uniklinik Köln für die CAR-T-Studie noch einen offenen Platz habe. Um die Chance auf die Teilnahme wahrzunehmen, müsste ich gleich morgen dort vorstellig werden und mich dafür bewerben. Das genaue Prozedere und die Hintergründe sowie die gesamte Aufklärung würde über die Uniklinik in Köln laufen. „Was meinen Sie, Nella, wollen Sie es versuchen? Sie können mich jederzeit aus Köln anrufen, wenn Sie noch Fragen haben, aber fahren sollten Sie heute, damit Sie morgen noch aufgenommen werden und die dafür notwendigen Untersuchungen stattfinden können.“
Ich drehte mit meinem Rollkoffer eine beherzte Kurve und rief meinen Mann an, der noch auf dem Krankenhausparkplatz stand. Er mag Köln, die rund 600 Kilometer vergingen wie im Flug. Zwischendurch die Kinder in Dortmund bei den Großeltern geparkt, wenigstens das klappte.
Dann ging alles sehr schnell. Die Reise ins Ungewisse begann. Es folgten zahlreiche Gespräche und Untersuchungen, darunter auch zwei ziemlich aufwändige Biopsien. Ich war in der Zeit in einer Art Dauertrance. Aber in nicht einer Sekunde gab es einen Zweifel, dass ich nicht an der Studie teilnehmen konnte. „Letzte Chance“, meinte einer der Ärzte in Köln. Das gesamte Prozedere bis hin zur niederschmetternden Absage zog sich über sechs Wochen. 42 Tage zwischen Bangen, Warten und Hoffen.„Ich bin raus!“ – und jetzt?
Jetzt stand ich vor unserem Haus und lief schweren Schrittes die Stufen zu unserer Wohnung hoch. Mein Mann sah mir sofort an, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?“ „Ich bin raus.“ „Wie, du bist raus? Wo denn raus?“ „Aus der Studie! Ich passe nicht rein.“ Ich brach schluchzend zusammen. Mein Mann stand hilflos daneben und streichelte wortlos meinen Kopf. Abends sprachen wir dann mit Dr. Svenson, der wirklich außerordentlich entzückend war. „Egal was ist, wir sind immer an Ihrer Seite und werden weiter nach Wegen suchen, um Ihnen zu helfen.“ Gott sei Dank kam es dann ja so, wie es mein Cousin prophezeit hatte, nur wusste das zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Einige Wochen später zeigte sich, was ärztliche Heilkunst vermag und eine auf meinen Fall zugeschnittene Immuntherapie auf Nivolumab-Basis wurde angewendet, die in ähnlich gelagerten Fällen jüngst kleine Erfolge hervorgebracht hatte.
Dr. Svenson hatte sich meine Zellen noch einmal ganz genau unter dem Mikroskop angeschaut und eine, aus der Situation heraus betrachtet, verwegene Therapie vorgeschlagen. Wieder stand ich, standen wir vor einer großen Entscheidung. Die mangelnden Alternativen waren Argument genug. Mein Mann und ich nickten uns wortlos zu und ich stimmte zu. Ein kleines Wunder geschah und dieses Experiment ging auf. Der Weg zur absichernden allogenen Stammzelltransplantation und damit der zur Heilung war geebnet.
Erst viel später habe ich verstanden, dass die CAR-T-Studie für mich wahrscheinlich gar nicht so vielversprechend gewesen wäre, wie alle zunächst dachten. Vielleicht war mein Pech sogar mein Glück. Das wird keiner je wissen können. Diese Tage in Köln und den immensen Kraftakt danach werden meine Familie und ich nie vergessen. Auch die enorme Hilfsbereitschaft von mir bis dahin völlig unbekannten Menschen, die uns zum Beispiel ihre Wohnung in Köln für die Zeit der Untersuchungen in der Uniklinik anboten, werde ich immer in meinem Herzen tragen.
Was bedeutet es eigentlich genau, an einer Studie teilzunehmen? Damit du den Wert und die wichtigen Eckpunkte einer Studienteilnahme nachvollziehen kannst, habe ich dir hier meine Rechercheergebnisse zusammengestellt, die eine Grundlage für ein Gespräch mit deinem Arzt bilden können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Also, versuchen wir, der ganzen Studiensache mal auf den Grund zu gehen.
Was es bedeutet, an einer Studie teilzunehmen, hatte ich vorher nur theoretisch aus Erzählungen und über meine Projektarbeit für das Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (KPOH) ansatzweise gewusst, durchdrungen hatte ich das Thema aber lange nicht. Was ich wusste, war, dass Kinder und Jugendliche, die an Krebs erkrankt sind, sehr viel häufiger in Studien eingebunden sind als Erwachsene. Das liegt daran, dass Krebserkrankungen an sich nur 1 % der gesamten Erkrankungen in dieser Altersstufe ausmachen.
Bereits in den 70er Jahren schlossen sich Kliniken bei der Durchführung multizentrischer klinischer Studien zusammen, um systematisch zuverlässige Behandlungsergebnisse aus größtmöglichen Patientengruppen mit der selben Krebserkrankung zu erfassen. Sie bilden die Basis für die Diagnostik und weiterer Therapiekonzepte im Rahmen nachfolgender Studien. Ein Zyklus dauerhaften Lernens also.
Was solltest du über eine Teilnahme an einer klinischen Studie wissen? Als ich in die Studie aufgenommen werden sollte, hatte ich keine Aussicht auf Heilung mehr. Alle kurativen Maßnahmen waren ausgeschöpft. Ich hatte große Hoffnungen an die Studienteilnahme geknüpft. Ich denke, dass geht vielen krebskranken Menschen so, die diese Option in Erwägung ziehen.Wenn du dich auch für eine Teilnahme an einer klinischen Studie interessierst, habe ich dir hier einmal das Wichtigste – aus meiner Sicht –zusammengestellt.
Die Phase-I-Studie
Diese widmet sich der Verträglichkeit sowie der Dosierung der eingesetzten Arzneimittel. Sollte sich hier zeigen, dass der neue Wirkstoff mehr schadet als nutzt, wird die Studie sofort abgebrochen. Die Gruppe der Probanden ist klein (meist 20 bis 80 Personen). Es geht rein um die Verträglichkeit und Sicherheit der Therapie.
Die Phase-II-Studie
Sie untersucht neben der Verträglichkeit und der Dosierung die Frage nach der Wirksamkeit bei den Patienten, für die das Arzneimittel entwickelt wurde. Hieran nehmen in der Regel 50–200 Probanden teil.
Die Phase-III-Studie
Hier werden die Ergebnisse aus der Phase-II-Studie präzisiert, in dem eine Kontrollgruppe (z. B. Standardtherapiegruppe) mit der Testgruppe (neues Medikament kommt zum Einsatz) verglichen wird. Hieran können bis zu 10.000 Probanden teilnehmen. Wenn sich aus der Phase-II- und der Phase-III-Studie (in seltenen Fällen sogar in Phase I) einen Vorteil für die Patienten ergibt, kann eine Zulassung des Arzneimittels erfolgen oder beantragt werden.
Die Phase IV-Studie
Diese Studie wird auch als „Post-Marketing Surveillance Trials“ bezeichnet und meint die Langezeitbeobachtung des Präparats. Erforderlich dafür ist die Zulassung des Medikamentes, das in der Therapie eingesetzt werden soll. Hier werden also die langfristigen Auswirkungen einer Behandlung ermittelt und seltene Nebenwirkungen beurteilt. Wichtig: Jede Phase der klinischen Studien wird von der Ethikkommission überwacht.
Selbstverständlich ist dieses Thema sehr komplex und ich kann nur meine persönlichen Erfahrungen schildern und dir einen kleinen Überblick geben. Denke auch immer daran, dass jeder Fall anders gelagert ist. Lass dich nicht von Stimmen außerhalb deines Teams (Ärzte, Angehörige, Partner, Lieblingsmenschen) verrückt machen. Jeder von uns hat im Laufe seiner Therapie so viel Wissen und Informationen angesammelt, dass das andere, die nicht mit der Materie vertraut sind, nicht beurteilen können.Je besser du dich informierst, nachfragst und am Ball bleibst, desto sicherer wirst du deine Entscheidung fällen und hinter ihr stehen können.
Die Begleitung durch deinen Arzt und eine große Portion Vertrauen in dein Behandlerteam sind zwingend erforderlich. Und schließlich: Eigenverantwortung ist in diesem Fall fast ein zu kleines Wort, aber es trifft es absolut.
Dieser Beitrag gehört zum Blog „Zellenkarussell. Mit der Krankheit dreht sich das Leben plötzlich schneller“.
Bildquelle: John Tuesday, unsplash