Bakteriophagen sollen auch in Deutschland als Alternative zu Antibiotika etabliert werden. Ein Forscherteam nimmt nun den Kampf gegen multiresistente Erreger auf.
Bakterien sind Anpassungskünstler: Resistenzentwicklungen nehmen immer weiter zu und sind weltweit bereits ein Problem. Die Gefahr durch multiresistente Erreger (MRE) oder panresistente Bakterien wird dabei massiv unterschätzt. Die WHO hat 2019 in einem Bericht nochmals verstärkt davor gewarnt, dass, wenn nichts unternommen werde, jährlich 10 Millionen Tode bis 2050 verzeichnet werden könnten, die durch resistente Erreger verursacht werden. „Antibiotikaresistenzen sind eine der größten Bedrohungen, denen wir als globale Gemeinschaft ausgesetzt sind“, so Amina J. Mohammed, stellvertretende UN-Generalsekretärin.
In ihrem jährlichen Review hat die WHO potenzielle antibakterielle Kandidaten gegen MRE vorgestellt, darunter auch Bakteriophagen. Im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime haben sich im Rahmen des deutschen Projekts Phage4Cure das Fraunhofer-Institut ITEM, das Leibniz-Institut DSMZ, die Charité Berlin, sowie die Charité Research Organisation zusammengeschlossen. Ziel ist es, Bakteriophagen als arzneimittelrechtlich zugelassene Medikamente zu etablieren.
Bakteriophagen wirken spezifisch innerhalb einer Bakterienspezies. Sie lösen die Lyse der Bakterienzelle aus, können dabei aber nichts mit den menschlichen Zellen anfangen. Darüber hinaus regulieren sich Phagen am Infektionsort durch Selbstvermehrung, solange der passende Erreger vorhanden ist. Somit entfällt auch die Nebenwirkung von Breitband-Antibiotika. Jedoch können sie Antibiotika nicht komplett ersetzen, aber komplementär dazu wirken.
Als erstes Ziel sollte ein inhalierbarer Wirkstoff aus Bakteriophagen gegen Pseudomonas aeruginosa entwickelt werden, der den internationalen Qualitätsrichtlinien für Arzneimittel entspricht. In präklinischen und klinischen Studien sollte dies überprüft werden.
Das Fraunhofer ITEM suchte zu Beginn geeignete Bakteriophagen, die Pseudomonaden zerstören können. Im nächsten Schritt sollte ein inhalatives Arzneimittel hergestellt werden, welches den internationalen GMP genügt. Dabei sollte das Arzneimittel so gestaltet werden, dass nur geringe Veränderungen zur Anpassung an andere Phagen unternommen werden müssen. Sobald ein erster Wirkstoff zur Verfügung stand, wurde dieser für präklinische Studien an das ITEM Hannover und an die Charité weitergegeben.
Dort folgten Studien nach GLP und Untersuchungen zur Toxikologie, Wirksamkeit und Verträglichkeit. Die Daten wurden sowohl im Tiermodell als auch in vitro erhoben. Diese Schritte wurden im Jahr 2020 abgeschlossen, sodass ursprünglich in diesem Jahr die Ersttestung am Menschen folgen sollte. „Pandemiebedingt konnte die avisierte Studie nicht wie geplant im Jahr 2021 beginnen. Derzeit planen wir den Studienbeginn im Jahr 2022“, sagt Professor Martin Witzenrath, Stellvertretener Klinikdirektor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité und Leiter der präklinischen und klinischen Untersuchungen von Phage4Cure.
Zur tatsächlichen Erfolgsrate einer Phagentherapie verwies Witzenrath auf „die Abhängigkeit von vielen Faktoren wie Erreger, Ort der Infektion, zeitlicher Verlauf der Infektion (akut vs. chronisch), Applikationsweg und individuelle Patienteneigenschaften“, was auch ebenso bei einer Antibiotikatherapie zu berücksichtigen sei. Des Weiteren sei auch die Datenlage zu Verträglichkeit und Nebenwirkungen zurzeit nicht ausreichend belastbar und Gegenstand der aktuellen Forschung. Zwar seien bisher keine schwerwiegenden und unerwarteten Nebenwirkungen erfasst worden, jedoch fehlen aussagekräftige Studien.
Die Resistenzentwicklung spielt auch bei der Phagentherapie eine große Rolle. Derzeit werde der Einsatz von mehreren Phagen gegen ein Bakterium bevorzugt, um einer möglichen Resistenzentwicklung vorzubeugen. Sollte eine Resistenz dennoch auftreten, gehen die Forscher davon aus, dass sich ein einzelner Phage zügig ersetzen ließe, mit Verweis auf eine sogenannte Phagenbank. Dieser Wechsel gelinge dadurch schneller, als die Suche nach einer neuen antimikrobiellen Substanz.
In Ländern wie Georgien oder dem EU-Mitgliedsstaat Polen wird die Phagentherapie bereits gegen resistente Keime durchgeführt, vorausgesetzt die Patienten sind einverstanden. Witzenrath machte dabei deutlich, dass diese Therapien größtenteils empirisch seien und in weiten Teilen auf Einzelfallberichten basieren. Es fehlen somit Daten aus standardisierten klinischen Studien, die unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt wurden und die Sicherheit und Wirksamkeit nachweisen.
Auch in Deutschland gab es vereinzelt individuelle Anwendungen von Bakteriophagen „im Rahmen von nicht unumstrittenen Heilversuchen“. Eine Fallstudie konnte erste Erfolge mit einer Phagentherapie in einem lungentransplantierten 12-jährigen Jungen mit zystischer Fibrose erfassen. Der Patient erhielt zweimal die Phagen-Therapie gegen Achromobacter xylosoxidans, nachdem kein Antibiotikum gegen die Lungeninfektion wirkte. Die Besiedlung hielt an, bevor sie zurücktrat. Auch 2 Jahre nach Beendigung der Therapie trat keine Wiederbesiedlung auf.
Bisher gibt es noch keinen Rechtsrahmen für die Verwendung der Phagen in der EU und somit keine Rechtssicherheit für Forscher, Hersteller, Ärzte und Patienten. Wenn erst einmal diese rechtliche Grundlage geklärt ist, müsse sich ein Phagenpräparat in klinischen Studien bezüglich seiner Sicherheit und Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben, damit eine Zulassung erfolge, erklärte der Professor. Ob sie in der Therapie von Infektionskrankheiten in Deutschland eine Rolle einnehmen werden, sei derzeit nicht einschätzbar.
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