Keine Frage, aus der Natur kommen hochpotente Arzneimittel. Auch viele Wirkstoffe, die pharmazeutisch-chemisch hergestellt werden, stammen vielfach oder basieren auf Substanzen aus der Natur: z. B. Acetysalicysäure (ASS), zahlreiche Antibiotika oder Chemotherapeutika, Hormonpräparate. Häufig werden auch im natürlichen Stoffwechsel vorkommende Botenstoffe genommen und die Moleküle als Arzneimittel verwendet oder so modifiziert, dass ihre Wirkung verstärkt oder blockiert wird. Außerdem gibt es Phytopharmaka, also pflanzliche Medikamente, deren Wirksamkeit sich in randomisierten placebo-kontrollierten Studien belegen lässt.
Und hier geht das Problem schon los. Pflanzliche Präparate, die als Nahrungsergänzungsmittel im Supermarkt oder in der Drogerie verkauft werden, können diesen Wirksamkeitsnachweis wahrscheinlich nicht erbringen, sonst wären sie apothekenpflichtige Arzneimittel. Diese Präparate dürfen rechtlich gesehen auch mit keinem Heilsversprechen beworben werden.
Sicherlich nicht.
Auch für Naturheilmittel gilt der Grundsatz, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen. Und wenn eine Therapie verspricht nebenwirkungsfrei zu sein, dann hat sie höchstwahrscheinlich auch keine Wirkung, die über einen Placeboeffekt hinaus geht. Der menschliche Organismus und sein Stoffwechsel sind zu komplex, als dass eine Substanz ausschließlich an einer und zwar der gewünschten Stelle ihren Effekt entfaltet. So kommen Botenstoffe an den unterschiedlichsten Stellen vor und bewirken dort unterschiedliche Dinge. Im Falle einer Therapie können das halt auch unerwünschte Nebenwirkungen sein. Und dass natürlich nicht in jedem Fall schonend und ungefährlich bedeutet, kann man allein schon daran erkennen, dass eine Reihe der potentesten Gifte aus der Natur kommen: Pflanzen (z. B. Eisenhut, Knollenblätterpilz), Tiere (z. B. Schlangengifte, Insektengifte, das Kugelfischgift Tetrodotoxin), Bakterien (z. B. Botulinumtoxin). Allergien gegen natürliche Inhaltsstoffe sind ebenfalls keine Seltenheit.
Ein weiterer Faktor, den es bei Phytotherapeutika zu beachten gilt, ist die Zusammensetzung. Während ein pharmazeutisch-chemisch hergestelltes Arzneimittel eine definierte Zusammensetzung hat, also eine vorgegebene, immer exakt gleiche Wirkstoffmenge plus klar anzugebende Hilfsstoffe, kann die Zusammensetzung von pflanzlichen Präparaten variieren. Einerseits sind neben dem eigentlichen Wirkstoff zwangsläufig eine mitunter unüberschaubare Menge natürlicher Begleitsubstanzen aus der Pflanze enthalten, was bei Allergikern durchaus problematisch sein kann. Andererseits kann die Wirkstoffkonzentration je nach Herkunft der Pflanzen, Reifegrad, Klima und der jeweiligen Ernte signifikant schwanken. Das Phänomen kennt jeder aus dem Alltag: Nicht jede Banane oder Erdbeere schmeckt gleich; die Qualität eines Weines kann sich je nach Jahrgang unterscheiden, auch wenn er von denselben Reben stammt. Natürlich versuchen die Hersteller eine möglichst gleich bleibende Qualität ihrer Produkte zu gewährleisten, aber Phytotherapeutika müssen mit dieser Ungewissheit leben. Dadurch kann es aber durchaus Schwankungen in der Stärke der Wirkung geben.
Fazit: Naturmedizin kann eine sinnvolle Alternative sein, ist aber nicht in jedem Fall besser und schonender als pharmazeutisch-chemische Produkte. Letztlich ist alles Chemie. Wichtig ist, dass auch Naturheilkunde nach den Regeln der evidenzbasierten Medizin bewerten werden soll. Aus diesem Grund ist Homöopathie auch keine Naturheilkunde sondern €soterik, denn ihre postulierte Wirkungsweise widerspricht naturwissenschaftlichen Gesetzen und eine gegen Placebo signifikant bessere Wirkung konnte noch nie in Studien überzeugend dargelegt werden.
Naturheilkunde ist eben auch ein Geschäft.