Welches Prüfungsformat bereitet besser auf den ärztlichen Beruf vor? Das versuchte Stefan Müller, Medizinabsolvent aus Jena, in einer bundesweiten Umfrage unter Medizinstudenten herauszufinden. Wir befragten ihn zu den ersten Ergebnissen seines Promotionsprojektes.
Nur ein Kreuz, aber fünf Antwortmöglichkeiten – das ist eine der Hauptbeschäftigungen im Medizinstudium. Die Multiple-Choice(MC)-Prüfung ist die häufigste unter den medizinstudentischen Prüfungsformen. Neben der klassischen Variante „Kreuzen Sie die richtige Aussage an“ gibt es auch die negative Auswahl „Kreuzen Sie die falsche Antwort an“ und die Kollektivauswahl „Welche der folgenden Aussagen sind falsch/richtig“. MC-Fragen sind leicht auswertbar, kostengünstig, höchst objektiv und eignen sicht gut, um Faktenwissen abzufragen. Gleichzeitig haben sie den – aus medizindidaktischer Sicht – schlechten Ruf, dass nicht das Verständnis, sondern nur Fußnotenwissen abgefragt würde. Zudem würden durch bekannte Altklausuren manche Prüfungen zur Farce. Demgegenüber stehen die Objective Structured Clinical Examinations(OSCEs) – eine klinisch-praktische Prüfung von Fähigkeiten und Fertigkeiten in Rollenspielsituationen, meist mit Schauspielpatienten. OSCEs sind jedoch nicht ganz so objektiv wie MC-Prüfungen und zudem sehr personalaufwendig und somit teuer. Sie sollen statt reinem Faktenwissen eher Verständnis und Prinzipien abprüfen, die sich am ärztlichen Alltag orientieren. Stefan Müller, mittlerweile fertiger Arzt und Absolvent der Friedrich-Schiller-Universität Jena, hat sich den beiden Prüfungsformaten in einer Umfrage gewidmet. 1.150 Medizinstudenten haben innerhalb von 11 Wochen ihre Meinung zu zahlreichen Items in Bezug auf MC- und OSCE-Prüfungen abgegeben. Mittlerweile ist die Erhebung abgeschlossen und Stefan kann von ersten Ergebnisen berichten: DocCheck: Stefan, wer gewinnt das Duell? Multiple-Choice(MC)-Fragen oder Objective Structured Clinical Examinations(OSCEs)? Stefan Müller: Es gibt der Umfrage nach zwar keinen KO-Sieg, aber nach Punkten gewinnen die OSCEs klar: Die Studierenden haben deutlich mehr Spaß und sind viel motivierter, für die OSCEs zu lernen. © Stefan Müller DocCheck: Entscheidender Punkt Deiner Umfrage zu den Prüfungsformaten ist ja die Abfrage von deren Eignung in der „Vorbereitung auf die spätere Berufstätigkeit“... Stefan: Auch hier werden die OSCEs deutlich besser bewertet als MC-Fragen. Im Durchschnitt sehen sich Medizinstudierende besser durch OSCEs, denn durch eine MC-Prüfung auf ihre spätere Tätigkeit als Arzt oder Ärztin vorbereitet. Die Studierenden glauben, dass ihnen OSCEs eher ihre Stärken und Schwächen im ärztlichen Handeln aufzeigen und sie mit medizinischen Behandlungsmethoden und Prinzipien vertrauter werden. Auf manch andere Items, wie beispielsweise die Wahl der späteren Facharztweiterbildung, scheint das Prüfungsformat nur einen geringen Einfluss zu haben. DocCheck: Gibt es noch weitere Vorteile, die Studierende den OSCEs zuschreiben? Stefan: Ja – die wahrgenommene Vorbereitungszeit für OSCE-Prüfungen ist deutlich kürzer als für MC-Klausuren. Für OSCEs beträgt sie im Mittel etwa 30 % weniger als für MC-Klausuren. DocCheck: Bevor Studierende in die Berufstätigkeit einsteigen, muss ja erstmal das 2. und 3. Staatsexamen bestanden werden. Kann Deine Studie eine Aussage dazu treffen, welches Format besser vorbereitet? Stefan: Nein, das ist nicht abgefragt worden. Aber die Vermutung liegt nahe, dass sobald das Prüfungsformat, wie im mündlichen Staatsexamen, sich der ärztlichen Tätigkeit annähert, OSCEs darauf besser trainieren. Auf das zweite Staatsexamen bereiten dementsprechend wahrscheinlich MC-Fragen besser vor. Unsere Studie hat aber den Fokus auf das spätere Berufsleben gelegt. DocCheck: Welches Medizinstudenten ja eigentlich noch nicht richtig einschätzen können, oder? Stefan: Das stimmt grundsätzlich schon. Wir glauben aber, dass Medizinstudierende durch Praktika, Famulaturen oder den Unterricht am Krankenbett schon einen guten Einblick davon bekommen, was sie im späteren Berufsleben erwartet und was von ihnen erwartet wird. DocCheck: Dennoch bleibt die Studie eher eine Meinungsumfrage. Die tatsächliche Evidenz, ob OSCEs tatsächlich MC-Fragen in der Berufsvorbereitung überlegen sind, könnte doch eigentlich nur eine langfristige Studie bringen, die zum Beispiel Assistenzärzte im ersten Jahr ihrer Weiterbildung vergleicht, oder? Stefan: In der Tat erfasst die Umfrage nur einen persönlichen Eindruck. OSCEs sind in Deutschland noch ein relativ junges Prüfungsformat. Dementsprechend wird man, wie du beschrieben hast, die Evidenz für die Überlegenheit von OSCEs erst in in einigen Jahren bringen können. Zurzeit gibt es einfach noch zu wenig Erfahrung damit: An den 37 deutschen Medizinischen Fakultäten gibt es eine große Schwankungsbreite in der Anwendung von OSCEs. DocCheck: Welche ist denn zurzeit die OSCE-Hauptstadt in Deutschland? Stefan: Von „Hauptstadt“ würde ich bei keiner Uni in Deutschland sprechen. Allerdings gibt es einige Vorreiter: Heidelberg und Göttingen tun sich unter anderem hervor, Witten-Herdecke und Berlin haben OSCEs in ihre physikumsäquivalente Prüfung eingebaut. Die Zahlen der OSCEs im Medizinstudium schwankt allerdings stark. DocCheck: Welche Vor- und Nachteile hat denn Deine Umfrage zu MC-Prüfungen aufgedeckt? Stefan: MC-Prüfungen werden vor allem als nervig empfunden und als nicht wirklich sinnvoll betrachtet, da sie nicht die Kenntnisse prüfen, die man im späteren Berufsleben braucht. Sie motivieren nicht zum Lernen, machen weniger Spaß und benötigen mehr Zeit in der Vorbereitung. Sie werden jedoch als ähnlich anspruchsvoll wie die OSCE-Prüfungen wahrgenommen. DocCheck: Haben die Studierenden auch etwas Positives zu MC-Prüfungen bemerkt? Stefan: Ja, beim Abprüfen von theoretischem Wissen sehen die Studierenden die MC-Prüfung vorne. DocCheck: Nun gibt es ja ganz unterschiedliche Lerntypen unter den Medizinstudenten. Wird das in irgendeiner Weise bei Deiner Umfrage in der Präferenz für das Prüfungsformat abgebildet? Stefan: Wir haben keine Aufgliederung nach Lerntypen durchgeführt, allerdings gibt es natürlich auch Teilnehmer, welche die MC-Prüfung favorisieren. Angst scheint hierbei eine große Rolle zu spielen. Die Ergebnisse bestätigen, dass im Schnitt die Studierenden mehr Angst vor OSCE- als MC-Prüfungen haben. DocCheck: Worin liegt diese Angst vor OSCEs Deiner Meinung nach begründet? Stefan: Aus meiner Erfahrung schließend, haben die Studierenden vor allem Angst vor der Gesamsituation: Die Schauspielpatienten und die Prüfer, eventuell andere Kommilitonen. Es wird befürchtet, sich vor vielen Leuten zu blamieren. Außerdem ist die Situation natürlich näher am späteren Beruf und damit an den entscheidenen Fähigkeiten. Bei der MC-Prüfung sitzt jeder für sich allein im Hörsaal und macht seine Kreuzchen. Hier sind einem Fehler weniger peinlich. DocCheck: Du machst Deine Promotion eigentlich in der Allgemeinchirurgie. Wie bist Du denn auf ein solch medizindidaktisches Thema gekommen? Stefan: Meine Betreuerin, Frau Prof. Dahmen ist in der Weiterentwicklung der Lehre sehr engagiert. In diesem Sinne macht sie gerade ihren Master of Medical Education (MME). Ich wollte meine Promotion gerne in der Sozialforschung machen und so hat es sich ergeben, dass ich ihr dieses Thema vorgeschlagen und ein Konzept dazu ausgearbeitet habe. Meine Motivation für das Thema kam vor allem aus eigenen Erfahungen. Bei einem Großteil von MC-Prüfungen im Studium habe ich mich gefragt, wie sinnvoll das ständige Abfragen von Faktenwissen eigentlich ist und ob ein anderes Prüfungsformat nicht das Lernverhalten ändern würde. So wurde dieses Promotionsthema geboren.