Sich zu übergeben ist unangenehm – Emetophobiker fürchten sich so sehr davor, dass sie ihr ganzes Leben danach ausrichten: Sie tragen ständig Medikamente gegen Übelkeit bei sich und meiden öffentliche Veranstaltungen. Die Emetophobie hat sie voll im Griff.
Obwohl die Emetophobie von den Betroffenen als extrem quälend empfunden wird, ist sie erstaunlich wenig erforscht. Diagnostisch wird sie in der ICD-10 zu den spezifischen Phobien gezählt und als F40.2 kodiert. Im englischsprachigen Raum findet man die Abkürzung SPOV für „Specific Phobia of Vomiting“. Im Jahr 2006 haben die Psychologen David Veale und Christina Lambrou vom King's College London ein Survey [Paywall] zur Emetophobie durchgeführt. An der Studie nahmen 209 junge Menschen teil, wobei 100 Teilnehmer an einer Emetophobie und 28 Teilnehmer an einer Panikstörung litten. 81 Teilnehmer waren gesund und dienten als Kontrollteilnehmer. Meistens sind Mädchen und Frauen von der Emetophobie betroffen – in dieser Studie waren 97 % der Teilnehmer weiblich. Die Emetophobie begann bei den meisten Betroffenen im Alter von 9,8 Jahren und wurde mit 11,6 Jahren zum Problem. Die Dauer der Phobie betrug zwischen vier und 65 Jahren, im Durchschnitt 25,9 Jahre.
Schon leichteste Übelkeit ruft bei den Betroffenen Panik hervor. Sie sind sich sicher, dass ihre Übelkeit unausweichlich zum Erbrechen führen wird. Obwohl den Betroffenen in dieser Studie häufiger übel war als den Teilnehmern der Kontrollgruppe, unterschieden sich die beiden Gruppen nicht in der Häufigkeit des Erbrechens. Die Emetophobiker dieser Studie fürchteten sich deutlich mehr vor dem eigenen Erbrechen als vor dem Erbrechen anderer. Ähnlich wie Menschen mit einer sozialen Phobie versuchen sie, öffentliche Veranstaltungen zu meiden. Davie Veale und Kollegen veröffentlichten im Jahr 2012 auch eine Studie [Paywall] zum Essverhalten der Emetophobiker. An dieser Studie nahmen 94 Emetophobiker teil. 32 von ihnen engten sich aufgrund der Furcht vor dem Erbrechen in ihrer Nahrungsaufnahme ein. 8,5 % der Teilnehmer wiesen einen BMI von weniger als 18,5 auf. Die sich einschränkenden Patienten waren häufiger von pathologischem, abnormalem Essverhalten betroffen. Somit ist der Weg zur Magersucht häufig nicht mehr weit.
Doch welche Therapie erhalten Emetophobie-Patienten? In dem Survey von Veale und Lambrou suchten 70 % der Emetophobiker Hilfe bei ihrem Hausarzt. 67 % der Patienten wurden schließlich zu einem Psychologen oder Psychiater überwiesen. Die erhaltene Therapie bewerteten die Studienteilnehmer als weitgehend ineffektiv. 35 % aller Teilnehmer ließen sich mittels Hypnose behandeln, was als leicht effektiv bewertet wurde. Etwas weniger als die Hälfte aller 209 Teilnehmer erhielten Antidepressiva oder Medikamente gegen Übelkeit, was ihnen jedoch nur etwas half. Der australische Psychologe Mark J. Boschen, Griffith University (Australien), veröffentlichte im Jahr 2007 einen Überblick [Paywall] über wichtige, bis dato veröffentlichte Therapiestudien. Zu den Therapieformen, die Emetophobiker erhalten, zählten Erregungsmanagement, Ablenkungstraining, Expositionstraining und kognitive Restrukturierung. Zur Behandlung der Emetophobie gibt es bis heute nur wenige Fallberichte oder kleine Therapiestudien. Der Psychologe Johan Ahlen und Kollegen der Uppsala-Universität, Schweden, veröffentlichten im Jahr 2014 eine Studie [Paywall] über eine speziell für Emetophobiker entwickelte Gruppenpsychotherapie. 23 Patienten nahmen an dieser Studie teil. Die spezielle kognitiv-behaviorale Gruppentherapie erwies sich dabei als effektiv. Auch drei Monate nach dem Ende der Therapie ging es den Patienten deutlich besser und die Studienteilnehmer bewerteten die Therapie als zufriedenstellend.
Aus psychoanalytischer Sicht hängt die Emetophobie mit den Themen Weiblichkeit und Sexualität eng zusammen. Auffallend ist der Beginn der Symptome zu Beginn der Pubertät. Unbewusste sexuelle Erregung und Phantasien können demnach zu „hysterischem Erbrechen“ führen. Auch bei der Magersucht spielen sexuelle Themen eine Rolle: Viele Mädchen wollen es unbewusst vermeiden, eine Frau zu werden und so zu werden wie die Mutter. In einer Studie von Joshua D. Lipsitz et al. [Paywall] wurden 50 Frauen und 6 Männer mit Emetophobie befragt. In diesem Survey kam heraus, dass die Hälfte der betroffenen Frauen es vermied, schwanger zu werden – aus Angst vor dem Erbrechen. Die Emetophobie korreliert eng mit Ekel. Mark van Overveld und Kollegen der Maastricht-Universität, Niederlande, zeigten an einer Studie (2008) [Paywall] mit 172 Emetophobikern und 39 Kontrollteilnehmern, dass die Emetophobiker sich rasch ekeln und eine erhöhte Sensibilität für Ekel haben. Die Neigung zu Ekel wiederum ist nach traumatischen Erfahrungen erhöht (z. B. Studie von Jessica Bomyea und Nader Amir, 2010). Aus psychoanalytischer Sicht ist die Emetophobie also als Teil vieler Probleme zu betrachten und somit auch zu behandeln. Hier ist auf weitere Studien zu wirksamen Therapieoptionen zu hoffen.