Konzerne investieren viel in orale Antidiabetika. Ihre Präparate scheitern aber häufig an der frühen Nutzenbewertung. Sprunginnovationen sind selten und der Mehrwert von Schrittinnovationen zeigt sich erst über die Jahre. Grund genug, restriktive G-BA-Entscheidungen zu kritisieren.
Seit Einführung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) geht es vielen Medikamenten buchstäblich an den Kragen. Hersteller müssen im Zuge der frühen Nutzenbewertung nachweisen, ob ein Mehrwert gegenüber etablierten Vergleichstherapien vorhanden ist. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) beziehungsweise der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ließen orale Antidiabetika besonders häufig durchfallen. Einige Beispiele aus der letzten Zeit:
Anfang Februar hat der G-BA Empagliflozin (Jardiance®) ausgebremst. Zielgruppe waren Patienten, die trotz Diät und Bewegung ihren Blutzucker nicht in den Griff bekommen beziehungsweise Metformin nicht vertragen. Die Gabe als Add-on zu Insulin war ebenfalls denkbar. Boehringer Ingelheim konnte Verantwortliche nicht vom Zusatznutzen überzeugen. Als Vergleichstherapien zog der G-BA Sulfonylharnstoffe, Sulfonylharnstoffe plus Metformin oder weitere Kombinationen heran. Laut IQWiG seien jedoch keine relevanten Daten vorgelegt worden. Ein ähnliches Schicksal ereilte Canagliflozin / Metformin (Vokanamet®). Von dieser Kombination sollten Patienten profitieren, die mit Metformin oder anderen Präparaten ihren Blutdruck nicht ausreichend kontrollieren. Dem G-BA zufolge gibt es in allen Untergruppen keinen Zusatznutzen – gemessen an Sulfonylharnstoffen plus Metformin oder an Humaninsulin plus Metformin. Fallen Präparate bei der frühen Nutzenbewertung durch, feilschen Hersteller und Krankenkassen über Erstattungspreise.
Versorgungsforscher lassen auch kein gutes Haar an einigen etablierten Präparaten. Mitte 2014 hat das Bremer Zentrum für Sozialpolitik in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) einen Bestandsmarktreport veröffentlicht. Die Fakten: Exenatid habe „wie andere GLP-1-Analoga positive Auswirkungen auf das Gewicht“. Allerdings seien „Therapiesicherheit und Einfluss auf harte Studienendpunkte unklar“, heißt es im Dokument. Das Präparat sei „teurer als die meisten anderen Antidiabetika, bei stark übergewichtigen Patienten eventuell wirtschaftlich vertretbar im Vergleich zu Insulin“. Und Liraglutid habe „wie Exenatid positive Auswirkungen auf das Gewicht, allerdings sind „Therapiesicherheit und Einfluss auf harte Studienendpunkte unklar“. Das Präparat ist ebenfalls „teurer als die meisten anderen Antidiabetika“, sei „bei stark übergewichtigen Patienten eventuell wirtschaftlich vertretbar im Vergleich zu Insulin“. Für TK-Versorgungsforscher bleibt Metformin Mittel der Wahl.
Immer häufiger kritisieren Ärzte und Apotheker dieses Vorgehen von Kassen und Ausschüssen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) spricht sogar von „Fehlentscheidungen des G-BA“: Keinem SGLT2-Hemmer wurde ein Mehrwert bescheinigt – obwohl entsprechende Wirkstoffe bereits in rund 40 Ländern therapeutisch verwendet werden. „Hier isoliert sich Deutschland international – und zwar nicht auf Grund evidenzbasierter Medizin, sondern durch strukturierte Nicht-Beachtung klinischer Evidenz, die an Tausenden von Patienten kontrolliert erhoben worden sind“, heißt es in einer Stellungnahme. Stein des Anstoßes sind Vergleichstherapien. „Hierdurch werden regelhaft große Studiensätze vom IQWiG aus methodischen Gründen überhaupt nicht berücksichtigt, und damit kommt es regelmäßig zu der Einschätzung, dass keine ausreichenden Daten vorliegen würden und damit kein Zusatznutzen bestünde.“
Dahinter steckt ein Fehler im System – vor allem bei Medikamenten gegen chronische Erkrankungen. Sprunginnovationen sind selten, und Schrittinnovationen zeigen oft erst nach Jahren ihr wahres Gesicht. „Wir haben extrem schlechte Bewertungsergebnisse nicht nur bei Diabetes, sondern im Prinzip bei allen Produkten, die zur Behandlung chronischer Erkrankungen eingesetzt werden“, sagt Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des G-BA. Zum Zeitpunkt der frühen Nutzenbewertung fehle es regelhaft am Vorhandensein einer Langzeitevidenz. Die Folgen: Einige Präparate sind auf dem deutschen Markt nicht oder nicht mehr erhältlich. Beste Beispiele sind die DPP-4-Hemmer Linagliptin und Vildagliptin, der SGLT-2-Hemmer Canagliflozin beziehungsweise der GLP-1-Agonist Lixisenatid. Hersteller scheiterten eigenen Angaben zufolge, aus ihrer Sicht angemessene Preise auszuhandeln. Auch setzen pharmazeutische Hersteller vermehrt auf Onkologika, hieß es beim „Expertenforum Diabetes“ von RS Medical Consult. In diesem Bereich lassen sich Vorteile, etwa hinsichtlich des Gesamtüberlebens, deutlich rascher belegen.
Doch zurück zu Typ-2-Diabetes: Momentan stellen Ärzte ihre Patienten besonders rasch auf Insulin um. Betroffenen drohen dadurch Hypoglykämien und negative Folgen für ihr Körpergewicht. „Neue Diabetes-Medikamente, die man als Tabletten einnehmen kann, würden helfen, mehr Patienten frühzeitig effektiv und sicher gut einzustellen, ohne das Risiko von Unterzuckerungen”, so Professor Dr. Stephan Matthaei von der Diabetes-Klinik in Quakenbrück. Evidenz oder Einsparung – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.