Eine zweite Dosis für Johnson&Johnson-Impflinge halten immer mehr Experten für sinnvoll. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt? Sollte mit mRNA-Vakzin geboostert werden? Und wie sieht es rechtlich für Ärzte aus? Wir haben Experten gefragt.
Er ist der Exot unter den Impfstoffen: Ad26.COV2.S (auch Janssen COVID-19 Vaccine) von Johnson & Johnson. In den USA wurden laut Our World in Data über 12,29 Millionen Dosen des J&J-Vakzins verabreicht, in Deutschland sind es etwa 1,88 Millionen. Im Gegensatz zu allen anderen Corona-Impfstoffen muss er nur ein einziges Mal verabreicht werden, um einen vollständigen Impfschutz zu gewährleisten.
Bis dato liegen zu diesem Corona-Vakzin am wenigsten Informationen vor, wenn man die Datenlage mit der zu den Impfstoffen von AstraZeneca und Biontech vergleicht. Was wissen wir bisher über den Impfstoff und welche Infos brauchen wir dringend?
„Es ist ein spannendes Vakzin, das nochmal etwas anders aufgebaut ist als die vektorbasierten Impfstoffe von AstraZeneca oder Sputnik“, erklärt Prof. Dr. Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität, im Gespräch mit der Redaktion. „Beim Vektor-Vakzin von AstraZeneca wird ein unmutiertes Spike verwendet, bei den mRNA-Impfstoffen ein mutiertes Spike – die 2P-Mutation stabilisiert das Spike in einer bestmöglichen räumlichen Anordnung, die besonders gut ist, um eine Antikörperbildung zu provozieren“, so Weber.
„Das Ganze kann man noch ein bisschen mehr forcieren, in dem man eine zusätzliche Mutation in die Furin-Spaltstelle einführt. Und das kenne ich so nur von Johnson & Johnson, das war ziemlich clever. Die Forscher haben den Vergleich mit der 2P-Mutation gemacht und es stellte sich heraus, dass sie einen Zusatznutzen hat. Dadurch konnte bei J&J eine Immunantwort erzielt werden, die so gut ist, dass sich ein immunologisches Gedächtnis aufbaut, wo bei den anderen Impfstoffen eine Zweitimpfung notwendig ist – sowohl bei mRNA- also auch bei anderen Vektor-Impfstoffen“, fasst der Virologe zusammen.
Ähnlich sieht es Dr. Anke Huckriede, Professorin für Vakzinologie am Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Groningen in den Niederlanden. „Der J&J-Impfstoff ist technisch gesehen dem AstraZeneca-Impfstoff sehr ähnlich, allerdings gibt es auch einige Unterschiede. AstraZeneca macht beispielsweise Gebrauch von einem Schimpansen-Virus, J&J von einem humanen Adenovirus. Ein weiterer Unterschied liegt in der Form des Spike-Proteins, im AstraZeneca-Vakzin ist die Protein-Sequenz identisch mit der im SARS-Virus, im J&J-Vakzin hat man eine stabilisierte Form des Spike-Proteins verwendet, so wie es auch für die mRNA Vakzine verwendet wurde. Diese Unterschiede können sich durchaus in der Menge des verfügbaren Proteins nach Impfung und somit im Immunresponse und im Schutz auswirken.“
Nun zu den ungeklärten Fragen. „Ganz oben auf der Liste steht natürlich die Frage: Wie gut schützt das Vakzin gegen Delta? Außerdem wären Real-Life-Daten, so wie wir sie bereits zu den anderen Impfstoffen von AstraZeneca und Biontech zur Verfügung haben, langsam ganz gut“, so Weber.
Derzeit wirke der Impfstoff von Johnson & Johnson auch in Hinsicht auf neue Varianten gut, so Huckriede. „Ich denke, dass kurzfristig das J&J Vakzin durchaus einen guten Schutz bietet, auch gegen die Beta- und die Gamma-Varianten, zur Delta-Variante sind mir keine abgeschlossenen Studien bekannt. Für diese letzte Variante wissen wir aus einer englischen Studie, dass eine erste Impfung mit dem Biontech- oder dem AstraZeneca-Impfstoff nur gut 30 % Schutz bietet, der aber mit einer zweiten Impfung auf mehr als 80 % (Pfizer), bzw. ca 60 % (Astra) steigt. Der Schutz gegen ernste Erkrankungen ist für beide Vakzine nach der zweiten Impfung über 90 %.“
Noch ist die Datenlage zu Johnson & Johnson in Hinsicht auf die Delta-Variante sehr dünn. Zwar veröffentlichte der Hersteller vor wenigen Tagen einen Pressebericht, in dem auf eine Effektivität von 85 % gegen schwere und kritische Verläufe und gutem Schutz vor Hospitalisierungen und Todesfällen hingewiesen wurde. Doch diese Aussage bezieht sich auf zwei Preprints, deren Probandenzahl insgesamt 28 Personen (20 und 8) ergibt. Von Aussagekraft kann man hier eigentlich nicht sprechen.
Aufgrund fehlender Delta-Daten könne man im Moment nur Vermutungen aufstellen. „Es ist vorstellbar, dass der Impfschutz gegen Delta geringer ist als bei Biontech und AstraZeneca, aber nicht wesentlich und wie gesagt, auch das ist zum jetzigen Zeitpunkt spekuliert.“
Früher oder später dürfte ohnehin für die meisten Menschen eine Auffrischungs-Impfung anstehen, davon gehen zumindest viele Experten aus. In der Medizin wird deshalb schon seit längerem über das Boostern nachgedacht und seit des Aufkommens der Delta-Variante gewinnt das Thema an zusätzlicher Relevanz – besonders an Orten der Welt, an denen die Impfquote (noch) nicht besonders hoch ist.
Dementsprechend stellt sich die Frage: Womit soll bei J&J-Impflingen aufgefrischt werden, wenn es so weit ist? Mittlerweile gibt es mehrere unterschiedliche Daten, die für eine Miximpfung von AstraZeneca und Biontech sprechen. Die jüngste Studie der Uni Saarland legt sogar nahe, dass der durch Astra-Biontech erziehlte Impfschutz noch stärker ist als die Doppelimpfung mit einem mRNA-Vakzin. Wäre es aufgrund der Vergleichbarkeit der Vakzine von AstraZeneca und Johnson & Johnson also ratsam, die J&J-Impfung mit einem zweiten Shot eines mRNA-Vakzins zu kombinieren, um einen möglichst guten Impfschutz zu haben? Diese Frage wird unter Experten bereits in den sozialen Medien diskutiert.
„Wenn du die Möglichkeit zum Mix-and-Match-Modell hast, sieht die Lage besser aus, das ist etwas, das Immunologen schon seit Jahrzehnten wissen“, wird Danny Altmann, Professor für Immunologie am Imperial College London in einem Artikel von Bloomberg zitiert. „Ich würde mein Haus auf die Hypothese wetten, dass es machbar ist und eine Immunität produziert, die mindestens so gut, wenn nicht besser ist“, so Altmann über die Miximpfung im Vergleich zum gängigen Impf-Prozedere.
„Es besteht kein Zweifel, dass Menschen, die das J&J-Vakzin erhalten haben, weniger gegen die Krankheit geschützt sind als jene, die zwei Dosen eines anderen Impfstoffs bekommen haben“, wird Dr. Michael Lin von der Stanford University von Reuters zitiert. „Nach dem Prinzip, kleine Schritte zu tun, um wirklich Schlechtes zu verhindern, ist das [Boostern] hier wirklich ein No Brainer“, also eine Selbstverständlichkeit, ist der Experte sicher.
Noch gibt es seitens der CDC keine Empfehlung für Boosterungen, dafür gebe es zu wenig Evidenz. US-Immunologe Anthony Fauci sagte aber diesen Monat gegenüber NPR, dass die Regierung sich bereits darauf vorbereite, Menschen künftig Boosterungen zu verabreichen. „Wir wissen aber noch nicht genau, zu welchem Zeitpunkt wir dies tun müssen. Gerade führen wir klinische Untersuchungen durch, um unterschiedliche Booster-Optionen zu bestimmen“, so der Experte.
„Auch ohne Booster vermittelte die J&J-Immunisierung einen robusten Immunschutz, der zumindest in Affen 6 Monate hält. Aber das waren eben Affen und keine Menschen“, so Weber. Aktuell wird in einer Studie untersucht, wie sich verschiedene zweite Impfstoff-Verabreichungen auf die menschliche Immunisierung auswirken. Verglichen wird zwischen der zweimaligen Verimpfung von J&J und einem Booster mit den mRNA-Vakzinen von Biontech und Moderna. Auch Johnson & Johnson selbst testet die Option von zwei Impfungen mit J&J im Rahmen der ENSAMBLE-2 Studie.
„Die eingangs erwähnte Studie aus England legt nahe, dass auch für das J&J-Vakzin, das sich vom AstraZeneca-Vakzin nicht sehr unterscheidet, eine zweite Impfung wünschenswert, bzw. nötig ist, um einen langfristigen Schutz auch gegen Varianten aufrecht zu erhalten“, erklärt Huckriede. Auch Dr. Weber kann sich dieses Szenario durchaus vorstellen.
Noch stehen aber Studienergebnisse aus und es gibt keine Empfehlung für J&J-Impflinge. Doch nicht jeder will so lange warten, wie man dem bereits erwähnten Bloomberg-Bericht entnehmen kann. Bill Enright gehört wahrscheinlich zu der ersten Handvoll Menschen, die nach einer Erstimpfung mit Johnson & Johnson bereits einen Booster mit dem mRNA-Vakzin von Biontech verabreicht bekamen.
Enright ist CEO des britischen Unternehmens Vaccitech mit US-Sitz in Maryland, das an der Entwicklung des britischen Impfstoffs von AstraZeneca beteiligt war. Da AstraZenecas Vakzin in den USA noch keine Zulassung hat, wurde er mit Johnson & Johnson geimpft – und nun also auch mit Biontech. „Die Leute fragten mich 'Warum bekommst du einen Booster?' Und ich sagte 'Weil es das ist, worum es in meinem Job geht.' Und die sagten 'Ok'“, erzählt Enright, der beide Impfungen in den USA erhielt. Nebenwirkungen habe er keine gehabt, berichtete er der Zeitung.
Was also, wenn sowohl der Patient als auch sein Arzt einen Vorteil in der Auffrischung mit einem mRNA-Vakzin sehen? Derzeit würde ein solches Vorhaben vermutlich ohnehin an der immer noch vorherrschenden Impfstoffknappheit scheitern. Aber angenommen, es stünde genügend zur Verfügung – was könnte bzw. dürfte ein Arzt dann tun? „Der Arzt hat gewisse Freiheiten und ist dazu in der Lage, die Situation und die Notwendigkeit realistisch einzuschätzen“, argumentiert Weber.
Das sieht auch die Dr. Alexandra Jorzig so. Sie ist Fachanwältin für Medizinrecht und Professorin für Gesundheitsrecht an der IB Hochschule Berlin. „Nach ärztlicher Aufklärung und individueller Risikoakzeptanz durch den Patienten soll grundsätzlich eine Impfung möglich sein“, so die Juristin auf Anfrage von DocCheck.
„Wichtig ist hierbei, dass der Patient umfassend darauf hingewiesen wird, dass es noch keine gesicherten Erkenntnisse zu den Nebenwirkungen und Risiken gibt. Ebenso auch keine ausdrückliche Impfempfehlung. Da J&J genauso ein Vektorimpfstoff wie AstraZeneca ist, müsste die Wirkung ähnlich gut sein und somit eine Kombi-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ermöglichen. Gesichert ist diese Erkenntnis jedoch nicht“, stellt Jorzig klar.
Allerdings weist die Expertin auf ein möglicherweise höheres Haftungsrisiko hin, das durch diese Sonder-Impfung entstehen könnte: „Es besteht dennoch das Risiko, dass es eventuell zu einem Haftungsproblem kommen könnte, da der Impfstoff von J&J nur einmal zu verabreichen ist. Warum dann also eine Zweitimpfung mit einem mRNA? Ich erachte das rechtliche Risiko hier höher als bei AstraZeneca, da hier eine Zweitimpfung zwingend ist. Wichtig ist hierbei wirklich die umfassende Aufklärung, damit der Patient zu einem solch informierten und damit mündigen Patienten wird, damit er selber entscheiden kann, ob er dieses Risiko eingeht“, fasst die Juristin die aktuelle rechtliche Lage zusammen.
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