Stell dir vor, es gibt genug Impfstoff und keiner geht mehr hin. Bereits erste Impf-Ärzte erleben genau das. Apotheker erhalten erste Impfstoff-Stornos. Wird wirklich alles getan, um Ungeimpfte zu erreichen?
Noch herrscht in Arztpraxen und Impfzentren vorwiegend das Problem vor, mehr Impfwillige als Impfstoff zu haben. Doch es gibt bereits einige Orte in Deutschland, an denen es genau umgekehrt ist. Auch erste Impfstoff-Stornierungen scheinen Medienberichten zufolge in Apotheken einzutrudeln. Wie soll es in solchen Fällen weitergehen?
„Wir haben mittlerweile echt Schwierigkeiten, Restdosen loszuwerden, und zwar auch von BionTech. Ich lasse jetzt schon Freunde und Bekannte mit suchen, aber wir stoßen langsam an Grenzen“, sagt uns eine Berliner Ärztin in einem impfenden Facharzt-MVZ.
„Mein Eindruck ist, dass eigentlich alle, die einem dringenden Impfwunsch haben, bereits erstgeimpft sind. Wie ist es bei euch?“ fragt HNO-Arzt Dr. Christian Lübbers auf Twitter seine Kollegen. „OK, ich glaube die Pandemie ist vorbei! Habe heute nach 3 Stunden Suchen die erste Impfdosis Johnson in den Müll geworfen. Hier sind offensichtlich alle schon geimpft“, erzählt Hausarzt Dr. Christian Kröner.
„Mein Arbeitgeber hat Schwierigkeiten, Impfwillige zu finden. Nach 1.000 Impfungen für Mitarbeiter in 2 Wochen sind in der 3. Woche noch Impftermine frei und Familienangehörige dürfen nun kommen. Haben wir so viele Impfunwillige oder erreichen wir die Impfwilligen nicht?“, fragt ein User auf Twitter.
„Ich musste heute Dosis 11 und 12 Vaxzevria wegschmeißen“, berichtet eine Ärztin aus ihrer Landarztpraxis. „In einigen Impfzentren werden bis zu 40 Prozent der Impftermine nicht wahrgenommen“, heißt es etwa in einem NDR-Bericht über Teile Mecklenburg-Vorpommerns.
„Wir können die Impfwünsche problemlos erfüllen und haben Impfkapazitäten schon leicht reduziert. Deswegen sage ich ja: Wo sind die ganzen Ungeimpften?“ fragt Kröner. „Allen, die wollen, bis zum Sommer … da sollte Spahn Recht behalten haben. Da wäre doch jetzt locker für Ü12 was übrig …?!“ hakt eine Userin bei ihm nach. „Ist ja auch. Heute schon viele Kinder Ü12 geimpft“, antwortet der Hausarzt – und bietet Impftermin-Suchenden via Twitter an, in seine Praxis zu kommen.
Die regionalen Diskrepanzen in puncto Impfstatus könnten größer nicht sein, wie viele Kommentare im Thread deutlich machen. „Kenne bis auf ein paar Leute (darunter 5 Ärzte verschiedener Gebiete und KH) keinen Ungeimpften, dennoch hatte ich heute dankbare Patienten aus der Region zwischen Aschaffenburg und Würzburg, die 2 h hergefahren kamen, um einen Impfslot zu ergattern“, berichtet ein Arzt aus Wiesbaden. „Scheinbar ist es momentan je nördlicher, desto schwieriger […] Ist wohl wirklich regional sehr divers“, wirft jemand ins Gespräch ein.
Zwar klagen immer noch viele Menschen darüber, trotz hoher Anstrengungen keinen Impftermin zu bekommen. Doch hier sollte es realistischerweise in den nächsten Wochen und Monaten zu einer Entstauung kommen. So langsam könnten wir also in Deutschland langsam an einen Punkt kommen, wo die Zahl der täglichen Impfungen absinkt.
Dieser Trend zeichnet sich auch in den USA und anderen Ländern bereits ab. US-Präsident Joe Biden wird sein gestecktes Impfziel voraussichtlich nicht erreichen – und zwar nicht aufgrund fehlenden Impfstoffs, sondern wegen mangelnder Impfbereitschaft, wie diversen Medienberichten zu entnehmen ist.
Auch hierzulande ist ein solcher Abwärtstrend zu beobachten, zumindest legen das die aktuellen Zahlen der Cosmo-Umfrage nahe. Unter den Ungeimpften sei die Impfbereitschaft weiter gesunken und liege mittlerweile bei 49 %. Hier wurde bereits die Hälfte der Befragten ausgeschlossen, da sie zu dem Zeitpunkt bereits mindestens eine Impfdosis erhalten hatten.
Insgesamt sinke die Impfbereitschaft unter den Ungeimpften tendenziell. Dies deute darauf hin, dass ein großer Teil der Impfwilligen bereits eine Impfung erhalten habe. „Es sinkt das Vertrauen in die Impfung; wer weniger Vertrauen hat, lässt sich weniger impfen. Es steigt die Wahrnehmung, dass man sich nicht impfen lassen muss, wenn es viele andere tun – das senkt die Impfbereitschaft. Unter den Ungeimpften steigt zudem die Wahrnehmung, dass die Impfung überflüssig ist, da COVID-19 keine Bedrohung darstellt.“
Es braucht im nächsten Schritt einen besonderen Fokus auf Milieus, in denen es entweder aufgrund mangelnder Aufklärung über SARS-CoV-2 oder Zugangsschwierigkeiten zu Impftstellen an der Impfung scheitert. Gerade was die Organisation von Terminen betrifft, könnten Sprachbarrieren oder Leseschwäche zentrale Probleme darstellen.
Jetzt ist Kreativität gefragt, um potenzielle Impflinge zu erreichen. Um in bestimmte Milieus durchzudringen, braucht es besondere Maßnahmen. Ein ungewöhnliches Beispiel dafür kommt aus den USA und Griechenland. Hier werden seit Kurzem 150-Euro-Gutscheine für die erste Dosis verteilt, um die Impfung attraktiver zu machen. Die FDP hält die Idee, Ungeimpften gewisse Anreize zu bieten, grundsätzlich für sinnvoll – zum Beispiel mit Impfungen in Freizeitparks oder Naturkundemuseen. Der Deal könnte so aussehen: Wer sich vor Ort impfen lässt, bekommt den Eintritt geschenkt und kann dann den Rest des Tages die Attraktionen oder das Museum nutzen, schlägt FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus vor.
Doch schon etwas weniger Bürokratie könnte dafür sorgen, mehr potenzielle Impflinge zu erreichen. Zwar finden einzelne Aktionen wie Massenimpfungs-Tage ohne Anmeldung in Köln oder Berlin Neukölln immer wieder statt, aber sie reichen bei weitem nicht aus, wie der enorme Andrang bei solchen Sonder-Impfungen gezeigt hat. Gerade hier wäre es wichtig, regelmäßige Termine anzubieten, die sich herumsprechen. Beim Impf-Personal sollte außerdem auf Menschen gesetzt werden, die Bezug zum jeweiligen Milieu haben, um Vertrauen aufzubauen und Kommunikationsschwierigkeiten vorzubeugen.
Wie ausschlaggebend das Wissen über COVID-19 und die Impfung sein kann, zeigt eine Passage aus dem Analyse-Teil der Cosmo-Umfrage: „Ca. 40 % gehen davon aus, dass eine Impfung auch andere schützt. Wer (unter den Ungeimpften) davon ausgeht, dass seine Impfung auch andere schützt, ist auch deutlich eher impfbereit. Personen, die die Impfung eher ablehnen, nehmen zwar wahr, dass es häufiger positive als negative Informationen (z.B. in den Medien) zum Thema Impfen gibt, sie finden die positiven Informationen jedoch nicht so überzeugend wie negative. Bei Geimpften ist es andersrum: Diese finden negative Informationen weniger überzeugend.“
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