Nach Corona ist vor Influenza – ein Grund mehr für die Grippeimpfung in der Apotheke. Baden-Württemberg geht jetzt den nächsten Schritt. Ich finde: Es wurde wirklich Zeit.
Nach den ersten Modellregionen in Nordrhein, dem Saarland, Niedersachsen und der Oberpfalz in Bayern geht nun auch langsam Baden-Württemberg in die heiße Phase über. Der Kammerpräsident Dr. Günther Hanke kündigte an, dass die ersten Grippeschutzimpfungen in drei Regionen mit etwa 400 teilnehmenden Apotheken im Herbst dieses Jahres stattfinden werden, nämlich in Mannheim, Ostwürttemberg und Plochinger Kranz. Geplant war der Impfstart eigentlich sogar noch früher, doch die Corona-Pandemie ließ die Präsenzveranstaltungen bisher nicht zu, in denen die Apotheker das Handwerk des Impfens erlernen sollten.
Dass diese Impfpläne nicht allen Ärzten gefallen, war im Vorfeld bereits klar. Doch ist der niedrigschwellige Zugang zu Apotheken etwas, das sich die Politik zunutze machen möchte. Die Grippeschutzimpfungen auch in Apotheken durchzuführen, wurde daher durch das zum 1. März 2020 in Kraft getretene Masernschutzgesetz möglich gemacht. Dort heißt es in § 132j zum Thema „Regionale Modellvorhaben zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen in Apotheken“:
Dabei geht es nicht darum, den Ärzten eine Einnahmequelle abzugraben. In anderen Ländern, in denen bereits seit Jahren auch in Apotheken gegen Grippe geimpft wird, zeigt sich deutlich, dass sich dort vor allem die Menschen impfen lassen, die sonst gar kein Impfangebot angenommen hätten. Die Quote derjenigen, die sich beim Arzt den schützenden Piks verabreichen ließen, ging nicht zurück.
Der beinahe reflexartige Aufschrei der Ärzteschaft, die im Gegenzug auf ein Dispensierrecht bestehen wollen, ist daher nicht gerechtfertigt. Auch Prof. Uwe May und Cosima Bauer vom Forschungsunternehmen May & Bauer stellten bei ihrer wissenschaftlichen Begleitung des bundesweit ersten Modellprojekts zu den Grippeschutzimpfungen in Apotheken ähnliches fest. Von September 2020 bis Januar 2021 wurden trotz eines zeitweiligen Mangels an Impfstoffen über 400 Impfungen von geschulten Apothekern durchgeführt. In einer Presseerklärung heißt es dazu:
An diesen Punkt wollen die teilnehmenden Apotheken aus Baden-Württemberg in den Modellregionen nun auch ab dem Herbst 2021 gelangen. Gegen entsprechende Pläne protestierte bereits der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe erfolglos und auch in Rheinland-Pfalz regt sich ärztlicherseits Widerstand gegen geplante Modellprojekte im eigenen Bundesland. Dort werden ebenfalls ab Herbst die ersten AOK-Versicherten in ausgewählten Apotheken geimpft. Die KV Rheinland-Pfalz argumentiert dagegen, dass das Impfen eine rein ärztliche Tätigkeit sei und auch bleiben solle und Hausarztpraxen ebenso breit aufgestellt und niederschwellig zugänglich seien wie die Apotheken vor Ort. Das Impfen in den Apotheken wäre unnötig und riskant.
Dazu bleibt nur, die Statistik zu bemühen. Die „Vaccine Safety Datalink“-Datenbank zeigt hier sehr deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit für eine anaphylaktische Reaktion nach Impfung extrem gering ist. Es kam bei 33 von 25.173.965 Patienten nach einer Impfung zu einer anaphylaktischen Reaktion. Werden die Risikopatienten, bei denen es häufiger zu einer solchen Reaktion kommen könnte, von einer Impfung in der Apotheke ausgenommen, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit noch einmal, dass es hier zu einer solchen Notsituation kommt. Doch selbst wenn: Ein Adrenalin-Autoinjektor, Antihistaminika und Kortisonpräparate sind in jeder Apotheke – auch wenn dort nicht geimpft wird – vorrätig und die Impfapotheker werden im Gebrauch geschult. Etwas, das übrigens auch ein Heilpraktiker zustande bringt, ohne dass darüber ähnlich laut geklagt wird.
Und noch eine Statistik ist hier relevant, wenn sich die Ärzteschaft über die zunehmende Impfbereitschaft der Apotheken beklagt: die Impfstatistik. Laut den Angaben des RKI werden die Zielvorgaben der EU, was die Impfquoten angeht, nicht annähernd erreicht. Bei älteren Menschen ist beispielsweise eine Impfquote von 75 % vorgesehen, in Deutschland liegt sie nicht einmal bei der Hälfte. So lange also die Ärzteschaft die vorgegebenen Zahlen nicht aus eigener Kraft erreicht, muss man sich nicht wundern, wenn durch die Politik andere Dienstleistungsanbieter aus dem Gesundheitssektor mit ins Boot geholt werden.
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