Das körpereigene Peptid EPI-X4 blockiert die Infektion mit dem HI-Virus, indem es an einen bestimmten Zellrezeptor bindet. Eine fehlerhafte Signalgebung an diesem Rezeptor ist zudem mit Erkrankungen wie Krebs oder Asthma assoziiert.
Um neue antivirale Peptide zu isolieren, durchsuchen Forscher des Ulmer Instituts für Molekulare Virologie um die AIDS-Forscher Professor Jan Münch und Dr. Onofrio Zirafi sogenannte Peptidbanken. Diese werden aus tausenden Litern Hämofiltrat hergestellt und enthalten alle Peptide, die im menschlichen Blut vorkommen. Jetzt haben die Ulmer Virologen eine besonders spannende Entdeckung gemacht: Sie konnten ein Peptid isolieren, das an den Zellrezeptor CXCR4 bindet. Dieser Rezeptor steuert wichtige Prozesse im menschlichen Körper wie die Organentwicklung, die Immunantwort oder die Zurückhaltung von blutbildenden Stammzellen im Knochenmark. Darüber hinaus ist CXCR4 eine Eintrittspforte des AIDS-Erregers in die Wirtszelle und somit ein interessanter Angriffspunkt für Wirkstoffe. Bei der folgenden Analyse stellte sich das als EPI-X4 (Endogenous peptide inhibitor of CXCR4) bezeichnete Peptid als Abbauprodukt von Serumalbumin heraus. Die Forscher konnten also ein völlig neues Konzept der Regulation bei dieser Klasse von Zellrezeptoren nachweisen: „Bisher ging man davon aus, dass Rezeptoren wie CXCR4 nur über spezifische Aktivatoren reguliert werden. Nun wissen wir, dass auch der Abbau eines Vorläuferproteins mit ganz anderen Funktionen zur Rezeptor-Hemmung führen kann“, erläutert Professor Münch. Dieser Fund sei sehr wichtig, da fast die Hälfte aller Arzneimittel auf die Regulation solcher Zellrezeptoren ziele. Und damit nicht genug: Die körpereigene Verbindung EPI-X4 könnte weit über die AIDS-Forschung hinaus bedeutsam sein. Eine gestörte Signalgebung am Zellrezeptor CXCR4 ist nämlich mit verschiedenen Krebsarten, chronischen Entzündungen, kardiovaskulären Erkrankungen und Immunschwäche assoziiert. Dank EPI-X4 lässt sich dieser Rezeptor gezielt ausschalten, um etwa die Krankheitsentstehung nachzuvollziehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. „Die Tatsache, dass das Peptid an CXCR4 bindet und den Rezeptor ausschaltet, ist noch viel spannender als die antivirale Wirkung“, sagt Onofrio Zirafi, Erstautor der Publikation. Im Mausmodell haben die Forscher bereits gezeigt, dass EPI-X4 Asthma hemmen und Stammzellen mobilisieren kann.
Der Eiweißbaustein eignet sich womöglich auch als Biomarker: Eine andere Forschergruppe hatte das Peptid bereits bei Patienten mit entzündlichen Nierenerkrankungen nachgewiesen – nicht aber die biologische Funktion aufgedeckt. Anhand von Urinproben nierenkranker und gesunder Probanden konnten die Autoren nun das diagnostische Potential von EPI-X4 erhärten. Originalpublikation: Discovery and Characterization of an Endogenous CXCR4 Antagonist Onofrio Zirafi et al.; Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2015.03.061; 2015