In Deutschland erhalten Corona-Genesene meist nur eine Impf-Dosis. Der Impfschutz sieht gut aus. Zweifel bleiben aber, ob das für alle Betroffenen und alle Impfstoffe gilt.
Immer mehr Studien legen nahe, dass ein Großteil der bereits mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen nach ihrer Genesung nur eine Impfung benötigen. Einige Länder, darunter Deutschland, haben dieses Vorgehen bereits in ihre Impfpolitik aufgenommen. So können knappe Impfstoffvorräte gestreckt werden. Bisher ist aber noch offen, ob sich die vorhandenen Studienergebnisse auf alle Personen und Impfstoffe übertragen lassen.
Studien wie diese oder diese zeigen, dass Menschen mit einer früheren SARS-CoV-2-Exposition dazu neigen, starke Immunantworten auf eine einmalige Impfung zu entwickeln. Bei einer durch die Infektion erworbenen Immunität erhöht eine einzige Impfdosis die Antikörperzahl auf ein Niveau, welches dem von zweimalig geimpften Personen entspricht – oder oft sogar noch höher ist.
In Frankreich, Deutschland und Italien wird, neben anderen Ländern, momentan deshalb nur eine Impfung für gesunde Menschen mit einer bestätigten früheren Coronainfektion empfohlen. Viele Wissenschaftler, die zur Immunreaktion auf die Impfung forschen, halten solche Richtlinien für einen vernünftigen Weg, um die begrenzten Impfstoffvorräten optimal zu nutzen.
„Dem aktuellen Zwei-Dosen-Impfschema bei bereits infizierten Personen zu folgen, wenn es Millionen von Menschen gibt, die auf ihre erste Dosis warten, macht einfach keinen Sinn“, wird Jordi Ochando, ein Immunologe der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York City in einem Nature-Artikel zitiert. Der Wissenschaftler hat die spanische Regierung bei den dort geltenden Impfrichtlinien beraten.
Zumindest eine Impfung sollte es aber schon geben. Zahlreiche laborbasierte Ergebnisse zeigten, dass Menschen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren, von der Impfung profitieren. Diese Erkenntnis veranlasste die WHO und andere nationale Gesundheitsbehörden dazu, diesen Personen eine Impfung zu empfehlen. Mit einer einmaligen Impfung nach der Genesung sei sichergestellt, dass auch ein voller Schutz da sei, erklärte Prof. Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), am Samstag in einer Diskussionsrunde. „Es kann Menschen geben, die haben Antikörper im Blut, aber diese Antikörper schützen gar nicht.“ Andere hätten einen Schutz, obwohl keine Antikörper bei ihnen nachzuweisen seien. Geimpfte Genesene hätten in jedem Fall einen wirklich sehr guten Immunschutz.
Eine Impfung ist für Genesene demnach auf jeden Fall sinnvoll. Weniger Klarheit herrscht jedoch darüber, ob auch eine zweite Impfung nötig ist. Denn die Forscher wissen immer noch nicht, ob die einmal-Dosis für bereits Infizierte nicht am Ende einige Personen mit nur suboptimalem Schutz zurücklassen könnte. Auch ist noch nicht klar, ob solche Programme für alle Arten von Impfstoffen wirksam sind.
In einer Veröffentlichung vom 14. Juni liefern die Autoren einige neue Daten dafür, dass zuvor Infizierte keine zweite COVID-Impfung benötigen. Ein Team von Forschern aus New York City untersuchte hierfür 26 Personen, die sich früh im Verlauf der Pandemie mit dem Virus infiziert hatten. Alle von ihnen erhielten anschließend mindestens eine Dosis der mRNA-Impfstoffe von Pfizer-BioNTech oder von Moderna. Die Forscher analysierten die Antikörperreaktivität gegen die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) von SARS-CoV-2, ihre neutralisierende Aktivität sowie die Anzahl der RBD-spezifischen B-Gedächtniszellen der Probanden.
Innerhalb von ein bis zwei Monaten nach der ersten Impfung war die Anzahl der B-Zellen bei den Studienteilnehmern im Durchschnitt fast um das Zehnfache gestiegen, und die Titer der neutralisierenden Antikörper hatten sich um das 50-fache erhöht. Diese Verbesserungen waren bei den zuvor infizierten Teilnehmern unabhängig davon zu beobachten, ob sie eine oder zwei Impfungen erhalten hatten. Tatsächlich erzeugte die einmalige Impfung bereits Titer, die denen von zwei zweimalig geimpften Menschen ohne vorherige Infektionen entsprachen – oder höher waren.
Was die Forscher außerdem sahen: In den 12 Monaten nach der Infektion waren die B-Gedächtniszellen der Teilnehmer nicht statisch gewesen. Stattdessen machten sie über das ganze Jahr eine Entwicklung durch, die sie schließlich in die Lage versetzte, noch stärkere und vielseitigere Antikörper zu bilden als die, die sie unmittelbar nach der Infektion produzierten.
Weitere Studien bestätigen diese Ergebnisse. Einige zeigten auch, dass eine einmalige Impfung die Produktion von Antikörpern und infektionsbekämpfenden T-Zellen gleichermaßen anregen kann. „Wir sehen alle so ziemlich das Gleiche“, so John Wherry, ein Immunologe an der University of Pennsylvania School of Medicine in Philadelphia. Auch Professor Dr. Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) teilt diese Meinung: „Wir wissen aus Studien ganz gut, dass da eine Impfung ausreicht“, betonte er am Samstag mit Blick auf Genesene. Eine zweite Impfung bringe keinen zusätzlichen Nutzen. Allerdings ließe sich aus der Anzahl der Antikörper nicht sagen, wie gut oder schlecht der Schutz sei.
Obwohl sich die meisten Forschungen zu diesem Thema bisher auf mRNA-Impfstoffe konzentriert haben, deuten vorläufige Erkenntnisse aus Studien in Großbritannien und Indien darauf hin, dass die Einzeldosis-Strategie auch mit dem vektorbasierten Impfstoff von AstraZeneca erfolgreich sein könnte.
Zunehmend folgen nun Länder und Regionen, denen es an Impfstoff mangelt, dem Ratschlag der Wissenschaftler – zumindest bei jüngeren Erwachsenen mit intaktem Immunsystem.
Aber nicht alle Regierungen sind bei diesem Ansatz mit an Bord. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel, wo es relativ viel Impfstoff gibt, empfehlen die Behörden immer noch zwei Dosen für alle. Die Wissenschaftler dort weisen darauf hin, dass manche Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, eine relativ schwache Immunantwort zeigen. Eine solche Reaktion ist besonders häufig bei Menschen, die keine COVID-19-Symptome entwickeln. „Es gibt eine große Bandbreite bei der Bildung und Haltbarkeit der Antikörper bei diesen Personen“, erklärt der Immunologe John Wherry. „Wenn man Entscheidungen auf der Grundlage früherer PCR-bestätigter Infektionen trifft, könnten einige Menschen übersehen werden.“
An dieser Stelle könnten diagnostische Antikörpertests einen Anhaltspunkt nach der ersten Impfung geben. Auch auf Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein könne getestet werden, einem Marker für die natürliche und die impfstoffinduzierte Immunität, plädiert Viviana Simon, Infektiologin am Mount Sinai. Sie war eine von acht Wissenschaftlern, die einen im Mai in EBioMedicine veröffentlichten Brief unterzeichneten. Genesenen nur eine Impfung zu geben, „würde viele dringend benötigte Impfstoffdosen freigeben. Mithilfe der zusätzlich verfügbaren Impfstoffe gäbe es keine Notwendigkeit mehr, die zweite Dosis für naive Personen aufzuschieben“, argumentieren die Wissenschaftler in ihrem Brief.
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