Für Deutschland gibt es erste Ideen zum Boostern. Doch wer sollte eine Auffrischung erhalten – und wann ist der richtige Zeitpunkt? Ärzte warten auf eine klare Ansage.
Wie lange eine vollständige Impfung vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützt, ist noch nicht genau bekannt. Auch die Delta-Variante mischt dem Geschehen bei und soll im August wahrscheinlich hierzulande bereits dominieren. Ausschlaggebend ist dabei der gesamte Impfschutz gegen die aufgetretene Variante. Eine mögliche Drittimpfung im Winter rückt immer mehr in den Vordergrund.
Demnächst soll die deutschlandweite Impfkampagne neu ausgerichtet werden, wie Business Insider berichtet. Aus Sorge einer vierten Welle durch die Delta-Mutation soll der Fokus in den nächsten Monaten vermehrt auf eine zweite Auffrischung gelegt werden. Demnach verlangen Bund und Länder Ende des Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres vor allem bei älteren Menschen eine Drittdosis als Booster. Dies gehe aus einem Beschluss der Gesundheisministerkonferenz (GMK) hervor, die am Montagnachmittag tagte. Dafür sollen die bisherigen Impfstrukturen umgebaut werden, Details zum Abbau der Impfzentren und zum Aufbau mobiler Impfteams findet ihr in diesem aktuellen Beitrag.
Jetzt geht es in der Impfstoff-Forschung darum, zu testen, wie effektiv das Boostern im Kampf gegen SARS-CoV-2 ist. Hier sind einige Fragen noch offen. Wer braucht einen Booster und wann ist für wen der richtige Zeitpunkt? Und: Welche Rolle spielt hier der verabreichte Impfstoff bzw. Impfstoff-Mix?
Eine anlaufende kontrollierte, verblindete, randomisierte britische Studie versucht etwa herauszufinden, welche Impfstoffe gegen COVID-19 als Auffrischimpfung am wirksamsten sind, abhängig von den erhaltenen ersten beiden Impfstoffdosen von AstraZeneca oder Pfizer/Biontech. Dazu sollen Kombinationen von sieben verschiedenen COVID-19-Impfstoffen untersucht werden. Falls mehr Impfstoffe verfügbar werden, können mehr COVID-19-Impfstoffe in die Studie aufgenommen werden. Auch in den USA wird im Rahmen einer Studie der National Instituts of Health (NIH) an Boostern geforscht. Mit ersten Daten sei hier Ende Sommer zu rechnen.
Pfizer/Biontech hatten ebenfalls zu Beginn des Jahres in einer Pressemitteilung angekündigt, die Sicherheit und Immunogenität einer dritten Dosis ihres Impfstoffes COVID-19 zu bewerten. Um auf mögliche zukünftige Strangänderungen vorbereitet zu sein, möchten sie einen variantenspezifischeren Impfstoff mit einer modifizierten mRNA-Sequenz regristrieren, die auf der Beta-Variante basiert. Damit möchten sie „schon heute die Grundlage schaffen, um die Herausforderungen von morgen zu meistern“, sagte Ugur Sahin, CEO und Mitgründer von Biontech.
Haus- und Fachärzte warten jetzt auf eine Ansage, für wen und wann Auffrischungen der Impfungen nötig sind. „Die Haus- und Fachärzte stehen natürlich auch für eventuelle Auffrischimpfungen gegen COVID-19 bereit. Sobald feststeht, für wen und wann Auffrischungen der Impfung nötig sind, können die Bürger in den Praxen geimpft werden – immer vorausgesetzt, es steht ausreichend Impfstoff zur Verfügung“, wie KBV-Chef Dr. Gassen kürzlich erklärte.
Kürzlich veröffentlichte The Lancet eine Preprint-Studie, die auf das Ansprechen auf eine dritte Dosis als Spätauffrischung 6 Monate nach Erhalt des ersten Boosters näher eingegangen ist. Eine signifikante Erhöhung des Antikörpertiters im Vergleich zur Reaktion 28 Tage nach Erhalt einer zweiten Dosis konnte dabei erfasst werden. Auch die Zellreaktion wurde nach einer dirtten Dosis verstärkt. Die Reaktogenität hingegn war nach einer späten zweiten Dosis oder einer dritten Dosis geringer als die Reaktogenität nach einer ersten Dosis. Laut Autoren induziert die dritte Dosis des Impfstoffs Antikörper auf ein Niveau, das mit einer hohen Wirksamkeit nach einer zweiten Dosis korreliert und die T-Zell-Antwort verstärkt.
"Es ist nicht bekannt, ob Booster-Impfungen aufgrund nachlassender Immunität gegen besorgniserregende Varianten erforderlich sind", betonte Associate Professor Teresa Lambe OBE, Hauptautorin dieser Studie. "Hier zeigen wir, dass eine dritte Dosis ChAdOx2 nCoV-19 gut vertragen wird und die Antikörperantwort deutlich verstärkt. Dies sind sehr ermutigende Nachrichten, wenn wir feststellen, dass eine dritte Dosis erforderlich ist."
Aktuell wird über eine kürzlich in Nature publizierte Studie diskutiert, die der Frage nach der Dauer des Impfschutzes nach Erhalt der beiden Dosen eines mRNA-Impfstoffes von Biontech/Pfizer oder Moderna nachgegangen ist. Demnach soll der Schutz auch noch jahrelang anhalten und Auffrischungen seien nicht nötig. Dabei soll durch die Impfstoffe eine anhaltende Immunreaktion ausgelöst werden. Die Forscher entnahmen dazu bei 41 Personen über Monate hinweg Proben aus den Lymphknoten, die zeigten, dass 4 Monate nach der Impfung die B-Gedächtniszellen immer noch aktiv waren.
Der Studienleiter Ali Ellebedy, Immunologe an der Washington University in St. Louis äußerte sich gegenüber der New York Times: „Es ist ein gutes Zeichen, wie langanhaltend die Immunreaktionen durch diese Impfstoffe sind.“ Professor Carsten Watzl vom Leibniz Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund stimmt dieser Einschätzung zu. „Das ist sehr erfreulich. Aber ob und wie weit sich daraus eine lang andauernde Immunität ableiten lässt, ist offen“, betonte er dem gegenüber.
Die Autoren selbst verweisen auch auf Immunsupprimierte und Patienten, die eine dauerhafte Therapiebehandlung benötigen, da diese Gruppen nicht von dem langanhaltenden Schutz betroffen seien. Zudem betrachten die Forscher die aufkommenden Mutationen mit Besorgnis, da wohlmöglich ein dauerhafter Schutz nicht mehr gewährleistet werden könne.
Der Virologe Christian Drosten der Berliner Charité stellte hingegen in seinem Podcast klar: „Man muss nicht nachimpfen, weil irgendwelche Mutanten auftreten, sondern in erster Linie, weil Immunität gegen Schleimhaut-Viren nicht lebenslang hält. Wir sprechen hier nicht von einer Masern-Impfung“. Dabei sollten gerade Länder wie Deutschland – mit einem hohen Anteil älterer Bevölkerungsgruppen – lieber auf Nummer sicher gehen und im kommenden Winter „mehr als nur sehr umgrenzte Risikogruppen nachimpfen“.
Dass der Impfschutz nicht für immer bleibe, sei keine Besonderheit des neuartigen Coronavirus. „Ab dem Herbst oder Winter wird man zumindest den Risikogruppen eine einmalige Auffrischungsimpfung spritzen. Das werden dann wahrscheinlich Vakzine sein, die ein Update hinsichtlich der Immun-Escape-Varianten haben“, sagt der Virologe. „Solch ein Update für Mutationen ist relativ einfach auf Ebene eines zugelassenen Impfstoffes zu machen. Das sind eingeübte Prozesse, das kennen wir aus den Influenza-Impfungen. Das geht schnell.“
Klar ist: Wer am schnellsten eine Drittdosis benötigt, sind immunsupprimierte Menschen. Eine schwache Immunantwort auf einen vollständigen Impfschutz gegen SARS-CoV-2 wurde öfters bei Empfängern von Organtransplantationen beobachtet. Auch schwere Verläufe sind demnach aufgetreten, berichtet eine Publikation des New England Journal of Medicine. Die französische Gesundheitsbehörde hat bereits basierend darauf eine Empfehlung einer dritten Dosis bei immunsupprimierten Patienten ausgesprochen.
Die Forscher berichten von der humoralen Reaktion in einer Gruppe aus 101 Empfängern von Organtransplantationen, denen drei Dosen des mRNA-Impfstoffs von Pfizer/Biontech verabreicht wurde. Die ersten beiden Dosen wurden in einem Abstand von einem Monat verabreicht und die dritte 61 Tage nach Erhalt der Zweitdosis. Die Zeit zwischen Transplantation und Beginn der Impfung betrug etwa 97 Monate.
Die Seroprävalenz auf SARS-CoV-2 betrug unter den Probanden 0 % vor der ersten Dosis, 4 % vor der zweiten Dosis, 40 % vor der dritten Dosis und 68 % ein Monat nach der Drittdosis. Von den 59 Patienten, die vor der dritten Dosis seronegativ waren, waren 44 % ein Monat nach Erhalt der Drittdosis seropositiv. Alle 40 Probanden, die vor der dritten Dosis seropositiv waren, waren auch ein Monat später noch seropositiv. Ihre Antikörpertiter stiegen in diesem Zeitraum von 36 auf 2.676.
Patienten, die keine Antikörperantwort aufwiesen, waren älter, hatten einen höheren Grad an Immunsuppression oder eine niedrigere geschätzte glomeruläre Filtrationsrate als Patienten, die eine Antikörperantwort aufwiesen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, entwickelte keiner der Patienten COVID-19, nachdem sie alle drei Impfstoffdosen erhalten hatten. Auch keine unerwünschten Ereignisse traten im Rahmen der Impfung auf.
Erst kürzlich berichteten wir über eine Fallstudie zur Drittdosis bei Organtranplantations-Empfängern.
Kürzlich startete eine randomisierte, einfach verblindete, monozentrische Phase-II-Studie mit parallelen Gruppen, um die humorale Reaktion nach der dritten SARS-CoV-2-Impfung bei immunsupprimierten Patienten ohne Immunantwort nach der standardisierten mRNA-Impfung von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca zu beurteilen. Ziel der Studie ist es, die humorale und zelluläre Immunantwort nach Erhalt eines zweiten Boosters der Vakzinen bei Erwachsenen zu untersuchen, die mit Rituximab behandelt werden und keine Antikörper gegen die ersten beiden Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff entwickelt hatten.
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