Immer häufiger setzen Berufstätige auf Hirndoping, um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Kein reines Lifestyle-Thema: In manchem Fall leiden sie an unentdeckten Krankheiten. Jetzt fordern Psychiater weitere Studien, um auf Basis valider Daten zu behandeln.
Neue Statistiken der DAK-Gesundheit: Experten haben jetzt Versicherungsdaten von 6,2 Millionen Menschen ausgewertet. Zeitgleich wurden 5.000 Berufstätige zwischen 20 und 50 Jahren befragt. Im aktuellen Gesundheitsreport 2015 schreiben sie, immer häufiger erhielten Patienten leistungssteigernde Substanzen. Gingen im Jahr 2008 noch 4,7 Prozent aller Versicherten mit einem entsprechenden Rezept in die Apotheke, waren es letztes Jahr schon 6,7 Prozent. Fluoxetin, Methylphenidat, Metoprolol oder Piracetam werden oft ohne übliche Indikation verordnet.
Entgegen der landläufigen Meinung schlucken nicht primär Top-Manager oder Kreative diese Pharmaka. Je unsicherer der Arbeitspatz und je einfacher die Arbeit, desto höher ist das Risiko für Hirndoping. Beispielsweise haben 8,5 Prozent aller Menschen mit einer simplen Tätigkeit Medikamente zur Leistungssteigerung oder Stimmungsverbesserung eingenommen. Bei Gelernten oder Qualifizierten waren es dem Report zufolge 6,7 Prozent, und bei Hochqualifizierten lediglich 5,1 Prozent. Vier von zehn Dopern gaben an, vor konkreten Anlässen wie Präsentationen oder Verhandlungen Medikamente einzunehmen. Gender-Aspekte spiele eine wichtige Rolle: Männer versuchen eher, berufliche Ziele besser zu erreichen und Energie für ihre Freizeit zu haben. Frauen wiederum nehmen Medikamente, damit die Arbeit leichter von der Hand geht und sie emotional stabiler sind, heißt es in der Studie. Grund genug für die DAK, Ärzten vorzuwerfen, sie würden allzu leichtfertig ihren Rezeptblock zücken.
Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. In einer aktuellen Veröffentlichung schreiben Barbara J. Sahakian und Sharon Morein-Zamir, die Grenzen zwischen medizinischer Anwendung und Leistungssteigerung würden sich häufig verwischen. Ihr Ansatz: Viele Erkrankungen, etwa Depressionen, Psychosen oder Zwangserkrankungen, gehen mit kognitiven Einschränkungen oder Antriebsschwäche Hand in Hand. Patienten versuchen, mit leistungssteigernden Substanzen Abhilfe zu verschaffen, ohne das Grundproblem anzugehen. Daraus leiten Psychiater zwei Forderungen ab: Ärzte sollten einerseits besser nach Grunderkrankungen fahnden. Andererseits leisten Neuroenhancer einen Beitrag, um die Adhärenz zu verbessern. Bleibt noch, dass Symptome, die heute noch in den Lifestyle-Bereich eingeordnet werden, vielleicht schon morgen zum Krankheitsbild gemacht werden.
Jetzt fordern Sahakian und Morein-Zamir weitere Forschungsansätze, um Neuroenhancer besser zu verstehen. Dazu gehören Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, aber auch pharmakogenomische Effekte.