Forscher haben ein neues Modell erstellt, das den zeitlichen Ablauf der Gentranskription darstellt. Für Stoffwechsel- oder sogar Krebserkrankungen könnte das Modell Ansätze zur Behandlung liefern.
Das Auslesen der Erbinformation gehört zu den wichtigsten Prozessen in Körperzellen. Unterlaufen bei der Gentranskription und der daraus folgenden Proteinproduktion Fehler, können unter anderem Krebserkrankungen entstehen. Ein Forschungsteam hat daher ein detailreiches Modell der Gentranskription erarbeitet. Das Modell beruht auf Einblicken in spezielle Zelllinien mit einer hochsensitiven Mikroskopiertechnik.
Bei der Genregulation werden Abschnitte der DNA ein- und ausgeschaltet. Im Zuge der so genannten Proteinbiosynthese werden solche Erbgutabschnitte in mRNA umgeschrieben und schließlich in Proteine umgesetzt. Ein Promoter entscheidet dabei zu welcher Zeit und in welcher Menge das vom Gen codierte Protein gebildet wird. Wie sich das Binden und Loslassen dieses Transkriptionsfaktors an den Promotor auf die Gentranskription auswirkt, war die Ausgangsfrage einer Ulmer Forschungsgruppe. „Obwohl wichtige Zellprozesse von bestimmten Proteinmengen abhängen, haben Genregulation und somit auch Transkription eine starke zufällige Komponente: Ist das Gen aktiviert, werden kurzfristig viele RNA-Moleküle hergestellt und pulsartig freigesetzt. Ist es ausgeschaltet, findet hingegen keine RNA-Produktion statt. Dadurch kann sich die Proteinmenge in genetisch gleichen Zellen stark unterscheiden“, erklärt Prof. Christof Gebhardt. Die zugrundeliegenden Mechanismen waren bis dato noch nicht ausreichend bekannt.
Um ein tieferes Verständnis der Gentranskription und insbesondere ihres zeitlichen Ablaufs zu erlangen, haben die Ulmer Biophysiker Schlüsselkomponenten analysiert –nämlich die Such- und die Bindezeit des Transkriptionsfaktors an den Promotor. Hierfür entwickelten sie spezielle Zelllinien, die ein Reportergen, einen modifizierten Transkriptionsfaktor und Hilfsproteine für die Konzentrationsregulation sowie RNA-Visualisierung enthalten. In diesen Zellen konnte die Such- und Bindezeit des Transkriptionsfaktors gezielt variiert und die daraus resultierende Transkription des Reportergens nachvollzogen werden.
Dazu nutzten die Forschenden ein spezielles Mikroskop mit hoher Sensitivität, um einzelne Moleküle in den lebenden Zellen sichtbar zu machen. Die Variation der Bindezeit wurde mittels Einzelmolekül-Fluoreszenzmikroskopie in lebenden Zellen gemessen. „Um den Ablauf der Gentranskription nachzuvollziehen, benötigten wir zudem einen Nachweis über die produzierte RNA: Dies erfolgte über Einzelmolekülbildgebung in chemisch fixierten Zellen, wodurch wir die Transkriptionspulse zählen konnten. Alternativ wurde die RNA direkt in den lebenden Zellen sichtbar gemacht“, erläutert Erstautor Achim Popp.
Im Ergebnis beeinflussen sowohl die Binde- als auch die Suchzeit des Transkriptionsfaktors die Aktivierung eines Gens: Je länger ein Transkriptionsfaktor am Promotor bindet und je schneller er die Bindestelle findet, desto häufiger wird das Gen angeschaltet. „Insgesamt hat die Bindezeit jedoch einen noch größeren regulatorischen Einfluss auf die Gentranskription als die Suchzeit“, konkretisiert Gebhardt. Diese erstmals nachgewiesene regulatorische Asymmetrie hat es den Forschenden ermöglicht, ein neues Modell der Gentranskription aufzustellen: Dabei schaltet das Binden eines Transkriptionsfaktors das Gen nicht sofort an – es müssen weitere Schritte erfolgen. Zu jedem dieser Übergänge können die Forschenden nun Wahrscheinlichkeiten pro Zeiteinheit angeben, so genannte kinetische Raten.
Sie zeigten zum Beispiel, dass ein einzelner Transkriptionsfaktor über ein Jahr braucht, um eine bestimmte Bindestelle am Promotor zu finden. Da es in jeder Zelle tausende Transkriptionsfaktoren einer Sorte gibt, reduziert sich die durchschnittliche Suchzeit bis zum Andocken auf ungefähr 40 Minuten. Das neue Modell ermöglicht also ein besseres Verständnis der molekularen Mechanismen – und insbesondere der zeitlichen Aspekte – der Gentranskription. Darauf basierend könnten sich eines Tages sogar neue therapeutische Ansätze bei Stoffwechselerkrankungen oder Krebs ergeben.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm.
Die Originalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: National Cancer Institute, unsplash