Augenärzte wollten einem Glaukom-Patienten mit dem Herzmedikament BC 007 helfen. Dabei entdeckten sie zufällig, dass sich auch andere Symptome des Long-Covid-Patienten verbesserten.
Augenärzte der Uniklinik Erlangen beschäftigen sich seit Jahren mit Autoantikörpern gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, welche im Blut von Glaukom-Patienten zu finden sind. Die vermehrten Autoantikörper können unterschiedliche Körperstrukturen angreifen und bspw. die Augendurchblutung signifikant verschlechtern. „Das bringt teils schwerwiegende Folgen mit sich“, erklärt Augenärztin Dr. Bettina Hohberger. Das interdisziplinäre ärztliche und wissenschaftliche Team fand bei Blutuntersuchungen heraus, dass Patienten nach einer Corona-Infektion ebenfalls mehrere dieser Eiweißstoffe aufweisen. „Wir kennen einen dieser Autoantikörper bereits von der Glaukom-Erkrankung und wissen von seiner schlechten Wirkung auf die Augendurchblutung“, erläutert Dr. Hohberger.
Als ein Glaukom-Patient von seinen Beschwerden nach überstandener Corona-Infektion berichtete, wollte ihm das Team der Augenklinik Hilfe anbieten. Mit einem Präparat, das die schädlichen Autoantikörper bindet und somit unschädlich macht, wollten die Mediziner vorrangig die Durchblutungsstörungen durch den Grünen Star verbessern. Ursprünglich wird das Medikament BC 007 bei Patienten mit schweren Herzerkrankung eingesetzt. Das Augenarzt-Team entdeckte dabei, dass die veränderte Durchblutung nicht auf das Auge begrenzt war, sondern der gesamte Körper profitierte.
Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs mit dem Berliner Medikament erhielt der 59-Jährige das Präparat per Infusion und blieb drei Tage stationär am Uni-Klinikum Erlangen. „Bereits innerhalb weniger Stunden zeigte sich eine Besserung. Bei seiner Entlassung fühlte sich unser Patient schon deutlich erholter als vor der Verabreichung und seine Autoantikörperwerte bestätigten diesen Eindruck“, schildert das Ärzteteam den Verlauf. Auch die Konzentrationsschwierigkeiten verschwanden, die Leistungsfähigkeit des 59-Jährigen stieg wieder an und der Geschmackssinn kehrte zurück. „Insgesamt hat sich die Durchblutung der Kapillaren, die wir am Auge messen können, deutlich verbessert.“ Das Team der Erlanger Augenklinik geht deshalb davon aus, dass die Long-COVID-Beschwerden des Patienten dank der verbesserten Durchblutung verschwunden sind.
Ob der Wirkstoff BC 007 auch anderen Betroffenen hilft, soll bald in einer klinischen Studie überprüft werden. In Zusammenarbeit mit der Intensivstation, auf der seit dem Frühjahr 2020 auch Corona-Patienten behandelt werden, untersuchte das Forschungsteam der Augenklinik die Durchblutung der Kapillaren bei COVID-19-Patienten. Den Blutfluss machten sie mithilfe einer innovativen, schmerzfreien und nicht-invasiven Methode sichtbar: der OCT-Angiografie (optische Kohärenzangiografie). Nur im Auge und am Nagelfalz – dem Übergang zwischen Nagelbett und Finger – ist es möglich, den Blutfluss sichtbar zu machen, ohne beispielsweise Kontrastmittel zu injizieren.
Im Rahmen der klinischen Studie können die Augenärztinnen und -ärzte des Uni-Klinikums Erlangen diese Untersuchungsmethode seit 2020 gezielt Patientinnen und Patienten nach ihrer COVID-19-Infektion anbieten. Erste Auswertungen zeigen: Noch Monate nach der Erkrankung ist die Durchblutung innerhalb der Netzhaut deutlich eingeschränkt, auch wenn Betroffene keine Sehbeschwerden haben. Die klinische Studie mit Patienten nach einer COVID-19-Infektion wird weiterhin fortgeführt. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Erlanger Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin und dem Team um Dr. Wallukat werden nun gezielt Mechanismen untersucht, die zu der eingeschränkten Durchblutung führen können und den Wirkmechanismus des erfolgreichen Heilversuches erklären können.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
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Bildquelle: Benjamin Rascoe, unsplash