Hätten wir das Problem mit den neuen SARS-CoV-2-Varianten nicht, wenn weltweit schneller und flächendeckender geimpft worden wäre? Vielleicht. Wissenschaftler schlagen jetzt die Low-Dose-Strategie vor.
Im Rahmen der Corona-Pandemie wurden auf der ganzen Welt gesundheitspolitische und soziale Maßnahmen ergriffen, um die Übertragung von SARS-CoV-2 zu kontrollieren. Klar ist aber: Es handelt sich in den meisten Fällen um Notfallmaßnahmen, die längerfristig nur schwer aufrechtzuerhalten sind. Inzwischen gibt es 15 Impfstoffe gegen COVID-19, die weltweit eingesetzt werden.
Engpässe bei der Versorgung mit Impfstoffen sind aber immernoch ein besonderes Problem für Länder mit niedrigem Einkommen. Diese haben zusammen nur 0,2 % aller weltweit gelieferten Impfstoffe für etwa 10 % der Weltbevölkerung erhalten. In einem offenen Brief im Journal Nature zeigen Wissenschaftler aus Hong Kong und den USA nun eine Lösung für das Problem auf. Die Fraktionierung von Impfstoffdosen könnte laut der Autoren eine mögliche Strategie darstellen, die bisher bezüglich des globalen Impfstoff-Mangels nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Dieser Ansatz sei von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in akuten Mangelsituationen schon oft angewendet worden. So wurde im Jahr 2015 eine Notimpfung gegen Gelbfieber benötigt, um Epidemien in Angola und der Demokratischen Republik Kongo einzudämmen. Es gab jedoch nur begrenzte Vorräte des Impfstoffs sowie einen 6-monatigen Mindestherstellungsprozess.
Die Strategic Advisory Group of Experts on Immunization der WHO überprüfte daraufhin die Nachweise zur Immunogenität und Sicherheit der fraktionierten Dosierung von Impfstoffen gegen Gelbfieber und empfahl eine Dosisfraktionierung bis auf ein Fünftel der Standarddosis. Das Vorgehen wurde 2016 in Angola und der Demokratischen Republik Kongo in die Praxis umgesetzt und Millionen von Menschen wurden mit der fraktionierten Dosis geimpft.
In den Jahren 2017–2018 wurde der gleiche Ansatz auch in Brasilien umgesetzt. Auch für inaktivierte Poliovirus-Impfstoffe sowie Meningokokken-Konjugatimpfstoffe sei der Vorgang der Fraktionierung von der WHO bereits empfohlen worden, insbesondere wenn es bei Ausbrüchen in ressourcenbeschränkten Gebieten zu Impfstoffengpässen kam.
Dosisfindungsstudien deuten darauf hin, dass fraktionierte Dosen von mRNA-Impfstoffen immer noch eine robuste Immunantwort auf COVID-19 hervorrufen können. In einer nicht-randomisierten, offenen Phase 1/2-Studie des Impfstoffs von Biontech/Pfizer führten Dosen von nur einem Drittel (10 μg) der vollen Dosis zu Antikörper- und zellulären Immunantworten, die mit denen der vollen Dosis von 30 μg vergleichbar waren. Hier lag der mittlere Titer neutralisierender Antikörper 21 Tage nach der zweiten Impfstoffdosis bei 166 für die Gruppe, die 10 μg erhielt. Der mittlere Titer der Gruppe mit 30 μg lag hier bei 161. An Tag 63 nach der zweiten Dosis lagen diese Titer bei 181 bzw. 133.
Auch beim mRNA-Impfstoff von Moderna konnten vierzehn Tage nach der zweiten Impfung junger Erwachsener mittlere neutralisierende Antikörpertiter von 1.733 µg/ml bei 50 µg des Impfstoffes und 1.909 µg/ml bei einer Dosis von 100 µg gemessen werden. Bei älteren Erwachsenen (≥55 Jahre) lagen die mittleren Antikörpertiter bei 1.827 µg/ml (50 µg Dosis) und 1.686 µg/ml (100 µg Dosis). Auch 28 Tage nach der zweiten Impfung blieben die Titer für beide Dosisstufen und in beiden Altersgruppen hoch.
Im Rahmen einer größeren Multicenterstudie berichteten Voysey et al. Ende letzten Jahres über eine Impfstoffwirksamkeit von 90 % (67–97 %) bei einer Untergruppe von Teilnehmern, die mit einer halben statt einer vollen Dosis des Vektorvakzins von AstraZeneca geimpft wurden. Die zweite Impfung erfolgte mit einer vollen Dosis nach 12 Wochen. In Nature schreiben die Wissenschaftler hierzu: „Obwohl nur eine kleine Anzahl von Teilnehmern in dieser Untergruppe eingeschlossen war, ist die untere Grenze von 67 % für die Wirksamkeitsschätzung sehr beruhigend.“
Auch an der T-Zell-Front gibt es Anhaltspunkte, dass eine deutlich reduzierte Dosis des Impfstoffs ausreichen könnte. In der open-label Phase-I-Studie mit Modernas Impfstoff mRNA-1273 konnte bei 35 Probanden auch bei einer Impfstoff-Dosis von 25 μg (aktuell verwendet werden 100 μg) eine solide funktionelle T-Zell und Antikörper-Antwort über einen Zeitraum von 7 Monaten induziert werden.
Obwohl noch weitere Komponenten der Immunantwort zur Wirksamkeit der Impfstoffe beitragen können, seien die ersten Daten zur Dosisfindung zumindest ein Hinweis auf das Potenzial einer Fraktionierung von Vakzinen, so schreiben es die Wissenschaftler in ihrem Brief. Sie geben aber auch zu bedenken: „Die Dauerhaftigkeit des Ansprechens nach fraktionierten Dosen sollte hierbei weiter erforscht werden.“
Als potenziellen Nachteil von Dosiseinsparungsstrategien werden oft Bedenken über die Entwicklung von Impfstoffresistenzen angeführt. Allerdings scheinen Impfstoffe, die vor klinischen Erkrankungen schützen, auch die Übertragung zu reduzieren – woraus man schließen könnte, dass eine Ausweitung der Teilimmunisierung dazu in der Lage ist, die Inzidenzen insgesamt zu verringern. Wie in einer kürzlich erschienenen Arbeit beschrieben, sollte eine geringere Prävalenz die Entstehung und Verbreitung neuer SARS-CoV-2-Varianten verlangsamen – und nicht beschleunigen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Dynamik innerhalb des Wirtes diese Effekte auf Populationsebene überwinden kann. Die Wissenschaftler schreiben dazu in Nature: „Im Gegensatz zu einigen chronischen Infektionen, wie z. B. der Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus, selektiert eine Infektion mit SARS-CoV-2 bei gesunden Menschen nicht ohne weiteres nach Varianten, die dem Immunsystem entgehen.“ Eine solche schnelle Selektion sei nur bei immungeschwächten Menschen beobachtet worden, die möglicherweise einen besseren Zugang zu Impfstoffen hätten, wenn die Dosen in der Allgemeinbevölkerung fraktioniert würden.
Ein weiteres mögliches Problem im Zusammenhang mit der Fraktionierung von Impfstoffen könnte das Zögern der Bevölkerung sein, wenn fraktionierte Dosen als minderwertig angesehen würden. Die in Großbritannien und anderswo angewandte Strategie, die Verabreichung der zweiten Dosis des Impfstoffs hinauszuzögern, hat sich jedoch bisher bewährt. Auf diese Weise konnte einer größeren Anzahl von Menschen zumindest einen Teilschutz geboten werden.
Auf ClinicalTrials.gov finden sich mehrere laufende Dosisfindungsstudien, die wichtige Erkenntnisse für eine Fraktionierungsstrategie liefern können. Da sich die meisten Dosisfindungsstudien auf Immunantworten mit relativ kleinen Stichprobengrößen konzentrieren würden, wären auch größere Studien zur Abschätzung der Wirksamkeit fraktionierter Dosen sinnvoll, so schreiben es die Autoren des Briefes.
Sie sehen einen klaren Vorteil in dieser Impfstrategie und schreiben, dass sich besonders mRNA-Impfstoffe aufgrund ihrer höheren Wirksamkeit gut für eine Fraktionierung eignen. „Viele Teile der Welt mit niedrigen Impfraten können von einer Fraktionierung profitieren“, erklären die Wissenschaftler. Natürlich würden die Impfraten nicht nur durch die Antigenversorgung eingeschränkt, sondern auch durch die Verfügbarkeit von Impfpersonal und klinischem Material, wie z. B. Spritzen. Nichtsdestotrotz bleibe die Antigenversorgung die größte Einschränkung für Impfstoffe gegen COVID-19.
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