Recarbrio® ist ein Antibiotikum, das das Spektrum der antimikrobiellen Therapie erweitert. Was ist von dem neuen Mitspieler zu erwarten?
Recarbrio® erweitert als Antibiotikum das Spektrum der Carbapeneme. Die erste Zulassung erfolgte bereits durch die US-Behörde FDA im Jahr 2019. Mittlerweile wurde es auch durch die EMA zugelassen und ist somit auf dem europäischen Markt erhältlich.
Laut Angaben der EMA ist das Arzneimittel in Pulverform zur Herstellung einer Infusionslösung erhältlich. Es setzt sich aus 500 mg Imipenem, 500 mg Cilastatin und 250 mg Relebactam zusammen. Die Kombination aus Cilastatin und Imipenem war bisher eine Fixkombination auf dem Markt. Cilastatin ist ein spezifischer Deydropeptidase-I-Inhibitor und wird zusammen mit dem Carbapenem Imipenem zur Behandlung bakterieller Infektionskrankheiten eingesetzt. Imipenem ist dabei ein Reserveantibiotikum, das zur Therapie lebensbedrohlicher Infektionen eingesetzt wird, was die Anwendung bei Infektionen der Atemwege, Harnwege, des Abdomens, der Haut sowie der Weichteile umfasst.
Relebactam soll als β-Lactamase-Hemmer ohne β-Lactam-Struktur die Wirksamkeit des Imipenems verbessern. Durch die gleichzeitige Gabe des Relebactams erhöht sich die Wirksamkeit insbesondere gegen die meisten Arten der Enterobacteriacea sowie Pseudomonas aeruginosa.
„Die wichtigste Erweiterung des Wirkspektrums durch das Antibiotikum ist bei Pseudomonas aeruginosa, aber natürlich auch gegen andere multiresistente Erreger“, sagte Dr. Thomas Grünewald, Leiter der Klinik für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum Chemnitz, auf Anfrage unserer Redaktion. Es dient insbesondere zur Behandlung von Erwachsenen bei komplizierten Harnwegsinfektionen und Pneumonien. „Nach den vorliegenden Daten findet dieses Antibiotikum seinen Platz sicherlich bei nosokomialen Pneumonien sowie beatmungspflichtigen Pneumonien in der Firstline-Therapie“, ergänzt Dr. Nazifa Qurishi, Fachärztin für innere Medizin mit Zusatzqualifikation in der Infektiologie und Suchtmedizin.
Bei Patienten mit einer Überempfindlichkeit gegen Carbapeneme sowie bei schwerer Überempfindlichkeit wie anaphylaktischen Reaktionen und schweren Hautreaktionen gegen andere β-Lactam-Antibiotika, ist der neue Wirkstoff kontraindiziert. Schwerwiegende und manchmal auch tödlich verlaufende anaphylaktische Reaktionen sind bei Therapien mit β-Lactam-Antibiotika bereits beschrieben worden, weshalb vor Beginn einer Behandlung mit Recarbrio® eine ausreichende Anamnese des Patienten bezüglich des Einsatzes von Antibiotika durchgeführt werden muss. „Bei allen Carbapenemen ist das Allergierisiko sehr gering“, ergänzt Grünewald.
Aufgrund des erhöhten Risikos einer Lebertoxizität sollte zusätzlich die Leberfunktion während der Behandlung überwacht werden. Die Therapie werde jedoch bei Patienten mit schwer lebensbedrohlichem Zustand eingesetzt, bei denen die entsprechenden Werte sowieso beobachtet werden, so Grünewald. Zudem seien bei allen Beta-Lactamen und Monobactamen ein Vitamin-K-Mangel und Gerinnungsstörungen zu beobachten, worauf zusätzlich geachtet werden muss.
Innerhalb der Studien wurde die Clostridioides-difficile-assoziierte Diarrhö (CDAD) als Nebenwirkung erfasst. Diese kann in manchen Fällen zwar leicht ausfallen, jedoch auch in einer tödlich verlaufenden Kolitis enden. In diesem Fall ist eine sorgfältige Anamnese der Patienten empfehlenswert, da das Aufkommen einer CDAD mehr als zwei Monate nach der Anwendung der Antibiotika berichtet wurde. Wird CDAD vermutet oder bestätigt, sollte die Behandlung mit Recarbrio® abgesetzt werden.
Auch die gleichzeitige Gabe von anderen Medikamenten ist nicht immer empfehlenswert. So sollte Recarbrio® nicht mit Ganciclovir angewendet werden, es sei denn, der Nutzen überwiegt das Risiko. Bei der Anwendung mit Valproinsäure/Divalproex-Natrium sieht es ähnlich aus. Die blutgerinnungshemmende Wirkung von Warfarin kann bei gleichzeitiger Einnahme verstärkt werden. Bei derartiger Anwendung wird empfohlen, während und kurz nach der Gabe oraler Antikoagulanzien den INR-Wert zu überwachen.
Auch bei der Anwendung von Recarbrio® bei Schwangerschaft muss der Nutzen dem potenziellen Risiko für Fötus und Mutter überwiegen. Ein Risiko für gestillte Kinder kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden und muss bei der Therapie berücksichtigt werden.
Grünewald betont, dass mit dem neuen Antibiotikum kein Durchbruch zu erwarten ist. Bei dem Antibiotikum handele es sich um keine neue Klasse der Antibiotika, sondern um eine Erweiterung innerhalb der Carbapeneme. Es diene lediglich als weiteres „Mosaiksteinchen“ in der Antibiotikatherapie, auch vor dem Hintergrund der multiresistenten Erreger. Wichtiger sei in diesem Falle eine Prävention der Resistenzentwicklung. Die antimikrobielle Therapie sei zwar hilfreich, jedoch wird auch diese Substanz irgendwann „verbrannt“ sein. Man müsse demnach ein stärkeres Bewusstsein für die Resistenzentwicklung sowie für den „Gebrauch und Missbrauch“ der Antibiotika entwickeln, so Grünewald.
„Ich denke schon, dass dieses Antibiotikum eine gute Alternative zu den bisherigen Antibiotika bei multiresistenten Keimen darstellt. Denn in der aktuellen Resistenzlage ist jedes Antibiotikum, das vergleichbar bessere Ergebnisse in den Zulassungsstudien zeigt, willkommen“, so Infektiologin Qurishi. „Dennoch werden bei zunehmender Entwicklung von multiresistenten Bakterien weitere und noch potentere Antibiotika benötigt.“
Laut Grünewald kann zwar keine Lücke auf dem Arzneimittelmarkt geschlossen werden, jedoch sei Recarbrio® hilfreich bei der Spektrumserweiterung. Vorstellbar sei auch eine Anwendung des Bestandteils Relebactam mit anderen β-Lactamen und Arzneimitteln. Jedoch müssen dabei die Ausscheidungsfraktionen in Nieren und Leber sowie die Halbwertszeit der Kombinationen berücksichtig und geprüft werden.
Eine Kombination mit einer Phagentherapie bei Fremdkörperinfektionen oder Gelenkinfektionen sei Grünewald zufolge ebenfalls möglich. Jedoch handele es sich dabei dann um individuelle Heilversuche und keine Standardtherapie.
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