Ich sehe meine Aufgabe als Apotheker darin, Menschen über ihre Medikamente aufzuklären und zu beraten – ob sie wollen oder nicht. Und wenn es um Homöopathika geht, werde ich besonders deutlich.
Ich stehe seit einigen Jahren fast jeden Tag in der Apotheke im HV, dem Handverkauf, und berate meine Kunden. Doch nicht jeder Kunde möchte auch beraten werden. Möglicherweise hat er es gerade ziemlich eilig oder er nimmt sein Arzneimittel schon seit Ewigkeiten ein und denkt, er wüsste alles dazu.
Ich lese bei Twitter und Co. auch immer wieder, dass die Menschen genervt davon sind, wenn wir Apotheker sie immer und immer wieder zu ihren Arzneimitteln beraten wollen. Kann ich natürlich verstehen. Trotzdem versuche ich stets, ihnen ein bisschen was dazu zu sagen. Wenigstens das Wichtigste.
Mir fällt auch immer wieder auf, dass viele trotz langjähriger Einnahme ihrer Arzneimittel deswegen nicht unbedingt alles richtig dabei machen. L-Thyroxin ist hier ein schönes Beispiel. Die meisten nehmen es seit zig Jahren ein und haben dementsprechend wenig Lust auf eine Beratung. Erwähne ich trotzdem, dass die Tablette mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück eingenommen werden sollte und in dieser halben Stunde eben nicht nur nichts gegessen werden darf, sondern auch nichts getrunken werden sollte, kommt hin und wieder die Gegenfrage, ob Kaffee denn auch nicht in Ordnung sei. Natürlich trinken viele Menschen ihren Kaffee nicht schwarz, sondern immer mit schön viel Milch. Und da keiner genau abmisst, wieviel Milch er in den Kaffee schüttet, variiert die Menge an Calciumionen aus der Milch logischerweise jeden Tag.
Je mehr Calciumionen auf das L-Thyroxin treffen, desto weniger L-Thyroxin kommt folglich im Blut an, was wiederum erklären könnte, warum der Arzt so eine hohe Dosis verordnet hat. Weil eben nicht alles ankommt. Doch von nun an alles richtig zu machen, wäre auch keine gute Idee, denn sonst würde plötzlich zu viel L-Thyroxin ins Blut gelangen. Deshalb muss die Einnahme auf jeden Fall bis zum nächsten Arzttermin falsch fortgesetzt werden. Der Arzt stellt seinen Patienten dann erneut auf die richtige Dosis ein. Wenn ich so etwas mit meinen Followern teile, gibt es immer welche, die das bisher genauso falsch gemacht haben, wie die Person aus meiner Geschichte, und es von nun an aber besser wissen.
Wenn man so etwas in der Apotheke erlebt, weiß man, warum man seinen Job macht und weshalb er wichtig ist.
Mich motiviert dieses „Das-hat-mir-noch-nie-jemand-gesagt-Erlebnis“ tagtäglich in der Apotheke zu stehen und dort meine Kunden bestmöglich zu beraten und einiges davon in meiner Freizeit mit meinen Followern auf Social Media zu teilen.
Doch so sehr es mich freut, dass ich meinen Kunden etwas Neues zu ihrem Arzneimittel erzählen konnte, so sehr verwundert es mich auch, dass sie diese Information erst von mir erhalten haben. Und das, obwohl sie ihr Arzneimittel doch schon so lange einnehmen, dass sie eigentlich keine Beratung mehr brauchen sollten. Aber warum wurden sie denn nicht schon viel früher über Risiken, Nebenwirkungen und die richtige Anwendung aufgeklärt? In all den Jahren. Das ist für mich unverständlich.
Arzneimittel können — falsch eingenommen oder dosiert — ziemlich gefährlich sein. Deshalb gibt es eben diese Beratungspflicht für uns Apotheker. Und daran sollten wir uns auch halten und möglichst motiviert sein, unsere Kunden bestmöglich zu beraten. Das Minimum aber ist, dass wir überhaupt anbieten, den Kunden zu seinen Arzneimitteln zu beraten. Ich selbst habe in einigen Apotheken Rezepte eingelöst oder mal eine Packung Ibuprofen gekauft und war oft relativ enttäuscht davon, wie das dort ablief. Denn manche Kollegen legen das Arzneimittel einfach auf den HV-Tisch und das Einzige, was sie dazu sagen, ist, wie viel ich ihnen zu bezahlen habe. Das ist nicht ok.
Als ich damals frisch von der Uni kam und mein Praktisches Jahr in einer kleinen Apotheke ableistete, wurde mir gesagt, die Motivation vergehe mit der Zeit. Das sei nur nach dem Studium so, dass man ständig beraten wolle. Man stumpfe mit der Zeit ab. Ich sehe das allerdings immer noch nicht so. Zwar möchte nicht jeder Kunde eine Beratung und natürlich kann man nicht zu jedem Thema eine perfekte Beratung abliefern, aber man kann immer mal kurz recherchieren oder an den Arzt verweisen, wenn es unsere Kompetenzen überschreitet.
Nicht alles zu wissen, ist völlig normal. Man lernt zwar vieles mit der Zeit, aber vergisst auch einiges davon wieder, vor allem dann, wenn es quasi nie Thema in der Beratung ist.
Das Pharmaziestudium bereitet einen zwar mehr oder weniger auf die Arbeit in der Apotheke vor, aber der Beruf fordert ein lebenslanges Lernen. Wer dazu nicht bereit ist, hat möglicherweise das falsche Studium gewählt.
Wichtig ist auch, dass wir uns Folgendes klarmachen: Wir sind keine studierten Verkäufer. Von daher müssen wir dem Kunden auch mal ein Medikament oder Produkt ausreden, wenn er sich damit keinen Gefallen tut. Sei es aus gesundheitlichen oder aus finanziellen Gründen. Leider hat viel zu vieles, was wir tagtäglich in der Apotheke verkaufen, keine nachgewiesene Wirkung. Man denke an die Homöopathie, an Schüßler-Salze, Bach-Blüten oder die Anthroposophie.
Und genau das war meine ursprüngliche Motivation, als ich mich als #DerApotheker bei Twitter angemeldet hatte: Aufklärung über die Homöopathie und über andere Pseudomedizin zu leisten.
Ich setze mich dafür ein, dass unser Beruf ernst genommen und vor allem respektiert wird. Aber um das zu erreichen, darf es nicht sein, dass wir unseren Kunden aktiv Placebos anbieten. Egal welchen Namen sie tragen mögen.
Es ist für mich unverständlich, wie sich jemand nach einem derart wissenschaftlichen Studium, wie wir es durchlaufen mussten, ernsthaft in die Apotheke stellen und als Lösung des Problems Zuckerkügelchen anbieten kann. Das ist absurd und unseres Berufs nicht würdig. Wie sollen wir respektiert werden, wenn man uns nicht ernst nehmen kann, weil wir die Wissenschaft ignorieren?
Wenn es nach mir ginge, gäbe es in der Apotheke nichts zu kaufen, das nicht eine bessere Wirkung als den Placeboeffekt anbieten kann. Als Kunde möchte man nicht zuhause feststellen, dass einem vom Fachmann seines Vertrauens etwas verkauft wurde, dessen Wirkung nachweislich nicht von einem Placebo zu unterscheiden ist. Dass das relativ häufig passiert, wurde mir schon mehrmals bei Twitter berichtet.
Bis es soweit ist, dass in den Apotheken nur Wirksames verkauft wird, werde ich meinen Kunden auch weiterhin davon abraten, ihr Geld zu verschwenden.
„Sie wissen, dass das homöopathisch ist, und keine nachgewiesene Wirkung hat?”
Auch, wenn das für uns ein entgangener Gewinn ist, so sind mir Ehrlichkeit und das Ansehen meines Berufes um einiges wichtiger. Und diese Kunden werden wiederkommen, weil sie die Ehrlichkeit zu schätzen wissen. Letztendlich zahlt sich das aus.
Meine Social-Media-Präsenz hat mich zu einem besseren Apotheker gemacht. Die Leute stellen mir viele Fragen und einige davon kann ich nicht ohne Weiteres beantworten. Dann recherchiere ich und lerne folglich Neues dazu. Das gleiche gilt für meine Artikel, die ich schreibe. Für einen Beitrag über Ibuprofen habe ich relativ viel recherchiert und dabei einiges gelernt. Ich habe dabei versucht, die meisten Fragen meiner Follower zu beantworten.
Das zahlte sich letztendlich aus, denn er wurde ungefähr eine halbe Million mal gelesen. Ich erwähne das deshalb, weil ich gefühlt genauso viele Nachrichten bekommen habe. Manche mit Lob, manche mit Kritik. Aber eben sehr viele, die mich dann für einen Ibuprofengott hielten und deshalb per E-Mail eine Beratung von mir wünschten. Doch ich bin weder ein Ibuprofengott, noch habe ich die Zeit, jeden in meiner Freizeit persönlich zu beraten.
Wenn ich in der Apotheke stehe, habe ich bei jedem Beratungsgespräch den Gedanken im Hinterkopf, ob das nicht vielleicht auch für meine Follower interessant wäre.
Was für den einen nämlich selbstverständlich ist, kann für den anderen eine neue, interessante Information sein. „Das hat mir noch nie jemand gesagt”
Meine Kunden und Kollegen wissen nichts von meiner geheimen Identität und das sollen sie auch nicht, denn dann müsste ich mich online massiv zensieren und darauf habe ich keine Lust. Außerdem ist es immer ein gutes Gefühl, wenn dir jemand einen Tweet oder einen Artikel zeigt, den er gut findet, aber nicht weiß, dass du ihn selbst geschrieben hast.
Dieser Artikel erschien erstmals in der UniDAZ, dem Studierendenmagazin der Deutschen Apotheker Zeitung.
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