Bisher wenig erforschte Nervenzellcluster im Gehirn von Mäusen zeigen, dass sie beim Erlernen und Verlernen von Furcht eine Art Türsteherfunktion innehaben. Je nachdem, wie die eintreffenden Sinnesreize beschaffen sind, kann es positives oder negatives Feedback geben.
Emotionale Reaktionen werden vom Gehirn in vielen Fällen erst gelernt. Das geschieht über Konditionierung: Eine Reaktion wird mit einem Reiz verknüpft, der diese Reaktion normalerweise nicht auslösen würde. Bei Pawlows berühmtem Hund etwa wurde immer eine Glocke geläutet, wenn er Futter bekam. Bald begann dem Hund der Speichel zu tropfen, wenn er nur die Glocke hörte. Ähnlich lernt das Gehirn, auf bestimmte Reize hin Furchtreaktionen zu produzieren. Dieser Mechanismus ist speziesübergreifend gleich, was darauf beruht, dass er sich evolutionär als nützlich erwiesen hat: Tiere haben gelernt, vor bestimmten Dingen auf der Hut zu sein, sich davor zu erschrecken und instinktiv das Richtige zu tun: Abstand halten. Weniger hilfreich ist der Automatismus der Furcht dagegen für Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder anderen Angststörungen leiden und dabei Schweißausbrüche, Panikattacken oder Schlaflosigkeit entwickeln. Denn einmal antrainierte Furcht kann modifiziert und abgeschwächt werden. Im menschlichen Gehirn ist ein vergleichsweise winziger Bereich für die emotionale Bewertung von Sinneseindrücken verantwortlich: Diesen „emotional tag“ bekommt die Wahrnehmung von der Amygdala verpasst, einer Region des Temporallappens. Innerhalb der Amygdala wird auch Furcht erlernt und das Furchtgedächtnis modifiziert. Wenn bestimmte Kombinationen von Sinnesreizen die Amygdala erreichen, werden exzitatorische Neuronen in der Basolateralen Amygdala (BLA) angeregt. Diese senden einen Impuls in die zentrale Amygdala, von wo die Angstreaktion in andere Hirnbereiche geschickt wird. Geschieht das oft hintereinander, verstärkt sich die Erregbarkeit und Vernetzung dieser Neuronen.
Die Tübinger Wissenschaftler um Ingrid Ehrlich untersuchten nun bestimmte an die BLA angelagerte Nervenzellcluster, die sogenannten medial-paracapsularen intercalierten Zellen (mpITCs). Sie konnten nachweisen, dass die mpITCs nicht nur exzitatorische Reize aus der BLA, sondern auch direkt Sinnesreize empfangen. Die mpITCs senden daraufhin je nach eintreffendem Sinnesreiz einen inhibitorischen Impuls an die exzitatorischen Zellen in der BLA und gleichzeitig an die Zentrale Amygdala. Je nachdem, wie die eintreffenden Sinnesreize beschaffen sind, kann die Inhibition durch die mpITCs verschieden ausfallen. Sie sind damit eine Art Relaisstation, die positives oder negatives Feedback gibt – eine Instanz, die auf die Unmittelbarkeit und Stärke einer erlernten Angstreaktion großen Einfluss ausüben kann. Kurz gesagt: Die mpITCs sind die Türsteher der Furcht.
Was bedeutet das nun für Angsthasen? „Wie bei allen Lernprozessen sind auch das Furcht-Lernen und die Extinktion sehr kompliziert“, so Ehrlich. „Hätten wir nur einen simplen Mechanismus, könnte man bei der Entwicklung zukünftiger Behandlungsmethoden genau dort ansetzen. Aber so einfach ist es eben nicht.“ Doch die Wissenschaftlerin ist zuversichtlich: „Wir fangen gerade an, sehr viel zu verstehen, das bis vor Kurzem noch völlig unklar war.“ Originalpublikation: Sensory Inputs to Intercalated Cells Provide Fear-Learning Modulated Inhibition to the Basolateral Amygdala Ingrid Ehrlich et al.; Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2015.03.008; 2015