In Großbritannien gibt es offiziell keine Corona-Beschränkungen mehr. Doch trotz düsterer Prognosen sinken derzeit die Zahlen. Warum das so ist, darüber rätseln Experten.
Erst am 19. Juli feierte man in Großbritannien den „Freedom Day“, den Tag, an dem alle Corona-Beschränkungen gefallen sind. Einige Wissenschaftler prognostizierten einen düsteren Sommer, denn die Infektionszahlen würden in der Folge explodieren. Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid rechnete für den Spätsommer sogar mit 100.000 Neuinfektionen täglich. Doch es kam anders: Seit rund einer Woche fallen die Zahlen konstant. Lagen die Neuinfektionen am 15. Juli noch bei knapp 60.715, zählten die Gesundheitsbehörden am 27. Juli nur noch 23.511.
„Der jüngste Rückgang der Infektionsfälle in England ist eine gute Nachricht, aber auch rätselhaft, wenn man bedenkt, dass die Beschränkungen schrittweise gelockert wurden“, kommentiert Dr. Stephen Griffin, Medizinprofessor der University of Leeds das Geschehen. Über verschiedene Gründe wird schon spekuliert.
„Hier sind sicherlich mehrere Faktoren im Spiel", erklärt Adam Finn, Pädiatrie-Professor der University of Bristol. „Dazu gehören die infektionsinduzierte Immunität, die impfstoffinduzierte Immunität und – ganz entscheidend – das Verhalten.“ Es gebe immer noch genug Nicht-Immunisierte, die diesen Trend auch wieder umkehren könnten. Vermutlich bemühen sich immer noch viele Menschen, sich zu schützen und andere nicht anzustecken, meint Prof. Finn.
Wenig überrascht vom Abwärtstrend zeigt sich Prof. Karl Friston, der sich auf Modellierungen während der Corona-Pandemie spezialisiert hat. „Aus Sicht der dynamischen Kausalmodellierung ist der jüngste Rückgang der Fallzahlen unauffällig. Diese Art der Modellierung sagt voraus, dass der derzeitige Anstieg der Infektionen etwa jetzt seinen Höhepunkt erreichen wird und bis zum Winter keine weiteren Anstiege zu erwarten sind.“
Derzeit warten die Briten, dass sich der Abwärtstrend bei den Neuinfektionen auch außerhalb Schottlands in den Kliniken bemerkbar macht. In England ist es dafür anscheinend noch zu früh. Die Anzahl an COVID-19-Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen, stieg zuletzt mit knapp vier Wochen Verzögerung zur Zahl der Infektionen an.
Klar ist aber bereits jetzt, dass die Zahl der Klinikeinweisungen und der Todesfälle während der Delta-Welle weit unter jenen liegen, die in den vorherigen Wellen erreicht wurden. Berechnungen zufolge war in den letzten Wochen das Risiko einer Krankenhauseinweisung wegen COVID-19 bei ungeimpften Menschen unabhängig vom Alter 11- bis 12 Mal höher als bei Geimpften. Die Impfungen wirken – auch das zeigt die britische Delta-Welle deutlich. Bei aller Delta-Furcht ist das eigentlich eine gute Nachricht.
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