Jeder Krebspatient kennt sie: Sprüche von Menschen, die einem, gelinde gesagt, nicht weiterhelfen. Alles nett gemeint – aber selten war „Nett ist die kleine Schwester von Scheiße“ passender als in diesen Situationen.
Wichtig ist mir die folgende Vorbemerkung: Ich möchte hier niemanden angreifen oder gar hochmütig sein. Ich weiß, dass es sehr, sehr schwierig ist, einem kranken Menschen gegenüber den richtigen Ton zu treffen. Viele Aussagen beruhen auf Hilflosigkeit oder reinem Selbstschutz. Und schon gar nicht kann ich behaupten, dass ich selbst mich in der Vergangenheit immer „richtig“ verhalten habe. Ich möchte schlicht Denkanstöße geben.
Menschen mit Krebs sind – zu Recht – ziemlich empfindlich und nah am Wasser gebaut. Sie werden ganz plötzlich mit ihrer Verwundbarkeit und Endlichkeit konfrontiert, was zur Folge hat, dass sie von großen Ängsten bis hin zu Todesängsten geplagt werden, die es zu bewältigen gilt. Eine wie auch immer geartete Unbeschwertheit gibt es nicht mehr. Die hat erst einmal für längere Zeit Sendepause.
Das erfordert viel Kraft, Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Leben. Vieles, was vorher selbstverständlich war, wird bedroht oder zumindest in Frage gestellt. Alles ist ins Ungleichgewicht geraten. Dazu kommen Therapien, die nicht nur Auswirkungen auf das allgemeine Wohlempfinden, sondern auch das Temperament, den Charakter haben. Ein unbekanntes Ich drängt nach vorne und verwundert uns bisweilen selbst. Es kommt zu unkontrollierten Wutausbrüchen und unangekündigten depressiven Schüben. Hilflosigkeit macht sich breit, vor allem bei den Angehörigen. Viele von uns kennen das, wir sind häufig erschrocken über die eigenen Reaktionen und fühlen uns wie ferngesteuert. Das zu erkennen und dann noch zu vermitteln, fällt schwer.
Daher meine große Bitte an alle, die mitbekommen, dass ein – mehr oder weniger – vertrauter Mensch aus ihrem Umfeld an Krebs erkrankt ist: erst beobachten, sich rantasten und dann reden. Oder den alten Spruch umwandeln: Reden ist Silber, Zuhören ist Gold.
Man kann diese Dinge lernen. Es beginnt damit, einfach zu versuchen, sich ein wenig in die Lage des Betroffenen hineinzuversetzen. Viele Menschen halten allerdings diese gedankliche Nähe schon gar nicht aus, möchten nicht belästigt werden mit negativen Energien, ihre vermeintlich heile Welt schützen. Denn am Ende ist die Einordnung dieser Situation, wie bei vielen anderen Gelegenheiten auch, selbst reflexiv. Jeder fragt sich instinktiv im Stillen, wie sie oder er mit einer solchen Diagnose umgehen würde. Wie es ist, wenn der Krebs im eigenen Körper sitzt. Aber auch: Wie es dazu kommen konnte. Ob man es hätte verhindern können, die eigene Lebensführung eventuell sogar ungesund ist.
Das sind alles Gedankengänge, die ein unkomfortables Gefühl in einem auslösen. Am liebsten möchte man sie gar nicht erst haben. Daher – so denke ich – reagieren einige Menschen sehr ungeschickt bis unsensibel auf Menschen mit Krebs. Der Umgang mit einer Krebsdiagnose ist eine anspruchsvolle Lebenslektion, der man sich nicht gerne und schon gar nicht freiwillig aussetzt. Wir (die Betroffenen) hatten sie ja auch nicht bestellt und hätten sehr gerne auf diese Erfahrung verzichtet. Kurz: Es ist eben wirklich schwierig – für alle.
Um sich der neuen Situation anzunähern, lautet meine Empfehlung: 1. zuhören und 2. konkrete Hilfe anbieten. Gerne auch eine liebevolle Berührung oder Umarmung. Und natürlich darf man auch mal gemeinsam zu dem Schluss kommen, dass die Situation ziemlich großer Mist ist. Zusammen fluchen tut echt gut.
Aber auch, und das ist ganz wichtig: miteinander lachen! Dem ganzen Thema nicht so einen großen Raum geben. Über alltägliche Dinge reden, den anderen mit einbeziehen und nach wie vor auch als Ratgeber und Freund nutzen. Wir sind ja auch nach wie vor Menschen mit eigenen Gedanken zu bestimmten Themen und haben Meinungen, zum Beispiel zu politischen Dingen, Erziehung, Jobs, Reisen und so weiter – zum ganz normalen, alltäglichen Wahnsinn eben. Lernt hier von den Kindern! Die machen das nämlich genau so. Der Krebs spielt nicht die Hauptrolle, sondern das Leben.
Im Grunde gibt es drei von mir identifizierte Gruppen, die mit ihren Bemerkungen ziemlich daneben liegen und mit denen jeder unvermeidlich konfrontiert wird. Diese Menschen spielen einfach mit unserer guten Erziehung und rechnen nicht damit, dass man ihnen eine geharnischte Antwort um die Ohren haut. Was oft genug angesagt ist. Manchmal hilft es schon, wenn wir Betroffene uns sagen, dass diese Reaktionen sicher auch auf Unsicherheit beruhen. Nur fehlt einem oft die Kraft für diesen durchaus nützlichen Filter.
„Das schafft die nicht. Die kommt bestimmt nicht wieder zurück ins Unternehmen.“
Einer der dicksten Hämmer wurde mir gleich zu Beginn von einer sogenannten Kollegin serviert. Danke für gar nichts! Oder wie meine Tochter damals entsetzt sagte: „Ne, Mama – das hat die nicht gesagt?!“
„Eine gute Freundin von mir hatte das auch. Leider ist die vor drei Monaten gestorben, aber das muss bei dir ja nicht so sein.“
Gar nicht gut, denn mit Verlaub, ich muss es so deutlich sagen: Mehr in die Fresse geht nicht. Nun, inzwischen habe ich verstanden, dass viele Menschen so etwas sagen, um dieses Thema für sich einordnen zu können. Auch lässt diese Aussage darauf schließen, dass der Absender den Verlust dieses Menschen noch nicht verarbeitet hat (Wissen aus einer Sitzung mit meiner Psychoonkologin). Allerdings geht es in so einer Situation um den anderen, um den, der an Krebs erkrankt ist. „Wir“ sind absolut nicht die richtige Adresse für die Schmerzbewältigung. Zuhören ist einfach viel, viel wichtiger, als das Kramen nach Beispielsfällen aus der Bekanntschaft/Verwandtschaft. Hier geht es nicht um: Höher, weiter, krasser …
„Das hat euch als Familie sicher näher zusammengebracht.“
Wer bitte braucht Krebs für den Familienfrieden? Oder anders: Der Umkehrschluss funktioniert einfach nicht. Niemand, aber auch wirklich niemand empfiehlt diese Krankheit, um Familienprobleme zu lösen, sich näher zu kommen, richtig? Anders herum wird eher ein Schuh draus. Denn wer das als Familie durchgemacht hat, kann froh sein, wenn alle noch beisammenbleiben. Die Belastung ist teilweise fast unmenschlich.
„Anderen geht es ja noch viel schlechter. Denk da mal dran.“
Ich frag mal zurück: „Wer soll das dann sein? Wie viel schlechter dürfte es mir aus dieser selbstgerechten Sicht denn noch gehen, bitte?“ Unglaublich bösartig. Raus aus dem Verteiler mit Menschen, die so unverschämt sind und das Mitgefühl eines Vorschlaghammers haben.
„Oh, du warst wieder Walken. Ich wünschte, ich hätte auch so viel Zeit für mich.“
Wir können sehr gerne tauschen, wäre hier die passende Antwort gewesen, aber sie fiel mir leider zu spät ein. Dieser Mensch, dem ich diese Aussage zuordne, interessiert sich nur für sich. Finger weg und aus dem Weg gehen.
„Ich habe schon mitbekommen, dass Sie sehr krank waren, aber sagen Sie mir bitte nicht, was es war.“
„Hatte ich auch nicht vor! Und bitte sprechen Sie mich nie wieder an.“ War meine Antwort. Die Kinnlade fiel und ich atmete durch.
„Gut, mit der Bearbeitung des Versicherungsanspruchs geht das auch nicht schneller, wenn Sie hier ständig anrufen. Bei einer Glasversicherung muss ja auch erst mal der Schaden ermittelt werden.“
Krass, krass, krass! Ich gebe freimütig zu, meine Contenance war genau hier zu Ende. Die Sachbearbeiterin, die mir diese Aussage zumutete, wurde ganz gepflegt von mir angebrüllt. In meiner Fassungslosigkeit hatte ich noch so viel Orientierung, den Namen der Abteilungsleitung zu verlangen und um Rückruf zu bitten. Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass er auch ziemlich erschrocken war und ich danach nur noch direkt mit ihm korrespondiert habe. Nur nochmal fürs Protokoll: Ich habe keinen Glasschaden!
„Seit der Erkrankung kannst du sicher besser Prioritäten setzen.“
Das konnte ich vorher schon recht gut. Und mit dem Aufräumen meiner Kontakte fange ich noch heute an. Danke für den Tipp.
„Ach, die Therapie haben sie bei mir auch versucht. Hat leider nicht funktioniert.“
Auch Mitpatienten können grausam sein. Nun, was soll man dazu sagen? Tief Luft holen, mit der Stationsleitung sprechen und raus aus dem Zimmer. Weiteren Kontakt meiden.
„Ich weiß, was du durchmachst, meine Tante hatte das auch. Wird ein harter Weg.“
Ach ja? Und wie hilft mir diese Aussage jetzt? Gar nicht! Aufmunterung sieht anders aus.
„Das wird schon wieder.“
Ich sage mal so, es handelt sich nicht um einen handelsüblichen Schnupfen oder ein gebrochenes Bein. Woher willst du das denn wissen, wenn es noch nicht mal die Experten sagen können? Und was ist, wenn nicht? Was ich meine: Besser ist, man verkneift sich diesen Satz. Eine Einladung zum Kaffee wäre hilfreicher.
„Ich könnte das ja nicht.“
Ich weiß schon, ist lieb gemeint. Der Absender zollt dir Respekt für den Umgang mit diese Sch … situation. Aber, hei, hat man eine Wahl? Abbestellen ist nicht.
„Die Hannelore Elsner hat das schon richtig gemacht. Die hat niemanden mit ihrer Krebserkrankung belästigt.“
Solche Menschen sollten einen auch nie wieder belästigen. Lasst sie einfach stehen und wünscht ihnen noch ein schönes Leben. Anmerkung: Ich habe festgestellt, dass gerade Promis sich oft solche oder ähnliche Kommentare gefallen lassen müssen. Sie haben anscheinend zu funktionieren und ihrer Rolle gerecht zu werden. Krankheiten sind da nicht vorgesehen. Wie unmenschlich.
„Ich bete für dich.“
Obwohl ich gläubig bin, tue ich mich damit etwas schwer. Aber anderen gibt dieser Satz vielleicht Trost. Ich hatte immer latent ein mulmiges Gefühl: Puuuh, der Sensenmann steht aber direkt vor meiner Tür und der Betende hat ihn schon gesehen.
„Sie haben aber schön abgenommen!“ oder „Du hast aber eine Typveränderung durchgezogen! Die kurzen Haare stehen dir.“
Da muss man fast ein bisschen lachen. Ich tat es jedenfalls. Hier lag offensichtlich keine böse Absicht vor, fühlt sich aber dennoch komisch an. Guter Reminder, Gewichtsverlust nicht reflexartig lobend anzusprechen, wenn man nicht weiß, was dahintersteckt.
„Sie haben Krebs, das sehe ich sofort!“
Glückwunsch! Hintergrund: Ich saß im Wartebereich vor dem ersten EKG in der Klinik und hatte statt Perücke eine Mütze auf. Ein Mann setzte sich neben mich und musterte mich von oben bis unten. Dann sagte er: „Sie hat es auch erwischt, Sie haben Krebs, nicht wahr? Das sehe ich sofort.“ Ich darauf: „Ne, ich habe gute Laune!“ Er war völlig verdutzt. „Und wissen Sie was, damit das auch so bleibt, setzte ich mich jetzt da vorne hin und Sie bleiben besser hier.“
„Hilf uns, wie wir helfen können.“
Dazu sage ich nur: intellektuelle Fehlleistung! Da hat der Absender aber sehr lange drüber nachgedacht. Wahrscheinlich Deutsch-Leistungskurs oder Feuilleton-Leser. Nach diesem gedrechselten Satz kam nie wieder irgendein Wort, ein Angebot.
„Das muss jetzt aber auch gut sein, das mit deinem Krebs.“
Okay, ich habe es mir überlegt, ich bestelle diesen bescheuerten Krebs einfach ab, reicht. Ich weiß, das war anders abgeschickt … aber ausgesucht hat man sich diese missliche Lage nicht.
„Du musst Geduld haben.“
Eigentlich völlig richtig. Dieser Satz nutzt sich nur leider rasend schnell ab. Kann niemand mehr hören aus der Cancer-Community. Würden wir ein Unwort des Jahres bestimmen müssen, wäre dieses sicher weit oben.
„Krebs kann ja auch eine Chance sein.“
Für was denn bitte? Gibt es denn so Art Krebskarriere und man bekommt dann mehr Gehalt oder darf auf eine fantastische Reise? Welche Türen fliegen denn da auf? Und auch: Wie schrecklich muss mein bisheriges Leben gewesen sein, dass ich darin jetzt eine Chance sehen kann … ?
Inzwischen muss ich diese Einstellung relativieren. Denn es ist tatsächlich so, dass die Erkrankung auch Kräfte freisetzt, die du vorher nicht kanntest. Es kann auch passieren, dass du endlich die Dinge machst, die du schon immer machen wolltest. Ich zum Beispiel wollte immer Autorin werden. Habe aber, wie die meisten, die diesen Wunsch in sich tragen, nur davon geredet und das Projekt nicht mal ansatzweise konkretisiert. Heute verstehe ich es, meine Zeit mehr für mich zu nutzen. Menschen, die an Krebs erkranken, haben tatsächlich – wenn es gut läuft und man mal zum Aufatmen kommt – die Möglichkeit, alles auf den Prüfstand zu stellen. Manchmal merkt man sogar, dass man schon eine ganze Weile in die falsche Richtung gelaufen ist. Nicht umsonst ist es laut Statistik so, dass 80 % der Erkrankten sich von ihrem Partner trennen. Nicht umgekehrt.
Dazu kommt, dass man sich mit der Einsicht anfreundet, mehr Verantwortung für sich, seine Taten und sein Leben zu tragen. Kurz, man reift tatsächlich schneller. Dennoch meine ich, dass Menschen, die das nicht erlebt haben, diese Aussage nicht treffen sollten. Das hat sonst Abreißkalenderqualität und fühlt sich sehr zynisch an.
„Ich wünsche Ihnen alles Gute, aber seien wir ehrlich – bei den meisten ist die Krankheit doch zurückgekommen.“
Das baut richtig auf. Solche verbalen Irrläufer sind unerträglich.
Schwierig: „Wie geht es Dir?“
Ist so ein bisschen wie oben, das mit der Geduld. Denn als Betroffener weiß man oft nicht, was man dazu sagen soll. Und: Kann der Fragende die ehrliche Antwort auch tatsächlich vertragen? Ein schönes Beispiel dazu war einmal die Begegnung mit einer Bekannten, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie rief mir von der anderen Straßenseite – augenscheinlich ziemlich in Eile – zu: „Na, lange nicht gesehen, wie geht's dir? Alles gut?“ Als ich darauf zurückrief „Nein, leider nicht“, ging sie weiter. Dann wurde sie langsamer und legte noch mal nach: „Alles gut zu Hause?“ Ich auch darauf: „Nö, geht überhaupt nicht gut.“ Erst dann blieb sie kurz stehen, zögerte etwas und warf mir zu: „Wir können ja mal telefonieren.“ Und weg war sie. Auf den Anruf warte ich bis heute. Natürlich ist diese Frage in den meisten Fällen lieb gemeint, aber wer das fragt, sollte die Antwort auch aushalten können.
Der Knaller: „Ihre Scheiße interessiert mich nicht!“
Wow, das ist heftig. Vorausgegangen war folgende Situation. Ich stand mit meinem kleinen Sohn an der Wursttheke. Nachdem ich dran war, stellte sich eine Frau nach mir an und wurde ganz unruhig. Dann schleuderte sie auf einmal raus: „Geht das hier mal schneller, ich habe vielleicht Hunger!“ Ich darauf: „Na, Sie sollten sich mal über Ihr Zeitmanagement Gedanken machen.“ Die Antwort wurde mir dicht vor meinem Gesicht zugebrüllt: „Ich bin vielleicht schwanger!“ Wie aus einem Reflex heraus rief ich: „Ich habe vielleicht Krebs!“ Alles um uns rum wurde schlagartig ruhig.
Der Fleischverkäufer hatte immer noch eine Scheibe Putenbrust auf seiner Wurstgabel und schaute uns verdutzt zu. Die Frau polterte weiter: „Ihre Scheiße interessiert mich nicht!“ Für mich blieb dann logischerweise nur folgende Replik übrig: „Mich Ihre Scheiße auch nicht! Kriegen Sie mal Ihr Leben in den Griff!“ Schüchtern fragte der Mann auf der anderen Seite der Theke: „Ist das alles?“ und mein Sohn zupfte an meiner Jacke und flüsterte „Mama, lass uns gehen, bitte.“ Ich sagte stolz und mit kerzengerader Haltung: „Ja, das ist alles. Danke.“ Ich packte meinen Wurstsack in den Einkaufskorb und schob mit ihm und Kind an der Hand davon. So ruhig war es in diesem Laden noch nie.
Weitere Anwärter auf das Worst of
Mein Rat: lieber konkret werden. Hier ein paar Beispiele:
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Das Zellenkarussel.
Bildquelle: Mika Baumeister, unsplash