Auch im Sommer infizieren sich immer mehr Kinder mit RSV. Die Niederlande verzeichnen derzeit einen starken Anstieg an Infektionen. Muss Deutschland sich jetzt bereit machen?
Viele Virusinfektionen blieben im letzten Winter dank der Eindämmungsmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie aus. Dazu gehören unter anderem die jährliche Influenza-Welle oder auch der typische und nicht ganz ungefährliche Anstieg an Infektionen mit dem Respiratorischen Syncytial-Virus (RSV).
Durch die weltweiten Lockdown-Maßnahmen, darunter auch Schul- und Kindergartenschließungen, waren die meisten Kinder saisonalen Viren nicht mehr so häufig ausgesetzt wie sonst. Dies beeinträchtigte auch die Entstehung der Herdenimmunität gegen RSV.
In Neuseeland beobachtet man aktuell einen starken RSV-Anstieg. Typisch sind jährliche Peaks in den dortigen Wintermonaten zwischen Juni und September, die im Jahr 2020 allerdings ausblieben. So reduzierten sich die Influenza-Fälle um 99,9 Prozent, RSV-Fälle gingen um 98 Prozent zurück, heißt es in einer Studie, die in Nature veröffentlicht wurde.
Mittlerweile wurden 3.232 Fälle von RSV gemeldet, wobei allein in der 28. Kalenderwoche 698 Fälle erfasst wurden. In den fünf Jahren zuvor lag der durchschnittliche Wert innerhalb von 29 Wochen bei 1.743 Fällen.
„Der exponentielle Anstieg ist sehr stark“, sagt Dr. Sue Huang, Virologin am neuseeländischen Institue of Environmental Science and Research und Autorin der Studie. „Das Fehlen von RSV im letzten Winter bedeutete, dass es eine junge Kohorte von Kindern aus dem letzten Jahr sowie eine neue Kohorte in diesem Jahr gibt, die dem saisonalen Virus nicht ausgesetzt waren.“
In einem Artikel in der Fachzeitschrift Infectious Diseases Now betonen die Autoren, dass eine geringere Exposition gegenüber mikrobiellen Wirkstoffen bei anfälligen Menschen, insbesondere bei Kindern, zu einem Mangel an Immunstimulation führen könnte. „Je länger diese Perioden geringer viraler oder bakterieller Exposition sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Epidemien“, heißt es im Artikel.
Anders als in Neuseeland sind die Corona-Inzidenzen in den Niederlanden sehr hoch. Daneben scheinen wegen der Lockerungsmaßnahmen auch vermehrt wieder Erkältungserreger aufzutreten. Die holländischen Krankenhäuser sind nun voll mit Kindern, die an RSV erkrankten. Da das Virus normalerweise nicht im Sommer wütet, waren die Krankenhäuser auch nicht auf derartige RSV-Ausbrüche vorbereitet. Die Krankenhäuser sind teilweise so überlastet, dass einige schwerkranke Kinder verlegt werden mussten.
Auch der Schweizer Kinderarzt Matthias Kopp beobachtet eine Häufung von RSV-Fällen nach dem Ausbleiben im Winter: „Während wir hier in Bern normalerweise etwa dreihundert Kinder in unserer Klinik betreuen, hatten wir im vergangenen Winter gar keine Kinder mit RSV bei uns. Das war auch in Deutschland so.“ Doch jetzt sei eine ungewöhnliche Entwicklung an RSV-Erkrankungen in den Sommermonaten zu verzeichnen. „Hier in Bern haben wir etwa die Aktivität wie während einer normalen Wintersaison. Auch in Zürich und in Genf gibt es viele Kinder, die wegen RSV in der Klinik behandelt werden müssen. Mittlerweile ist diese RSV-Welle auch in München angekommen.“ Jedoch scheinen diese Fälle nicht schwerer auszufallen, als diejenigen im Winter, sondern seien eigentlich nur zeitlich verschoben, berichtet der Kinderarzt.
Das Robert-Koch-Institut veröffentlichte am 22. Juli die „Vorbereitungen auf den Herbst/Winter 2021/2022“ und wies darin nochmals auf die Verschiebung saisonaler Erkrankungswellen hin. Dabei fordert das RKI eine „frühzeitige Vorbereitung auf ein verstärktes Krankheitsgeschehen, auch angesichts der zusätzlich zu erwartenden Belastung durch akute Atemwegsinfektionen, die aufgrund der kontaktreduzierenden Maßnahmen in der letzten Saison nicht in der Bevölkerung zirkulierten“.
Dabei weist das RKI auch auf einen parallelen Anstieg von Influenza hin, neben dem von SARS-CoV-2 und RSV, der auf eine reduzierte Grundimmunität zurückzuführen sei. Sie empfehlen daher zusätzliche „Präventions- und Versorgungsmöglichkeiten“, unter anderem die Influenza-Impfung, einen passiven Schutz gegen RSV sowie die Impfung gegen Pneumokokken und Meningokokken. Dies sollte insbesondere bei Kindern und in der älteren Bevölkerung vorbereitet werden.
Bisher gibt es noch keine Impfung gegen das RSV, jedoch laufen derzeit klinische Studien für einen Impfstoff für Erwachsene und Schwangere. Zur passiven Immunisierung steht für pädiatrische Risikopatienten ein gegen das F-Protein des RSV-Virus gerichteter monoklonaler Antikörper (Palivizumab) zur Verfügung. Dass es auch hierzulande zu RSV-Ausbrüchen kommt, ist nicht unwahrscheinlich. Das haben nicht nur die Ausbrüche bei unseren Nachbarn, sondern auch in den USA und in Australien bereits gezeigt (wir berichten).
Bildquelle: Etienne Girardet, unsplash