Herdenimmunität durchs Impfen ist wahrscheinlich eine Illusion. Umso wichtiger werden Endemie-Konzepte – einschließlich effektiver COVID-19-Therapien. Wir haben uns angeschaut, was die aktuellen Kandidaten draufhaben.
Anders als die Impfstoffentwicklung ist die Entwicklung von Therapien gegen COVID-19 bisher keine riesige Erfolgsgeschichte – in allen Stadien der Erkrankung. Für die schwerkranken Patienten ist Dexamethason schon seit Sommer 2020 gesetzt. Damals zeigte das Glukokortikoid in der britischen RECOVERY-Studie, dass es bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten die Sterblichkeit senken kann.
Im Laufe des Herbst 2020 kristallisierte sich dann zunehmend heraus, dass auch der IL-6-Antikörper Tocilizumab bei schwerkranken COVID-Patienten segensreich sein kann. Er wurde bereits relativ breit eingesetzt, bevor dann im Februar 2021 erneut die RECOVERY-Studie eine Mortalitätssenkung „on top“ von Dexamethason demonstrieren konnte. Sowohl Dexamethason als auch Tocilizumab zielen auf die Modulierung der überschießenden Immunreaktion bei COVID-19-Patienten.
Das COVID-19-Medikament der ersten Stunde, Remdesivir, das die virale RNA-Polymerase und damit die Virusvermehrung hemmt, hat demgegenüber an Boden verloren. Es konnte keine überzeugende Sterblichkeitssenkung zeigen, wohl aber in der recht früh in der Pandemie durchgeführten ACTT-1-Studie eine signifikante Verringerung der Zeit bis zur Genesung von 15 auf 10 Tage. Es gab auch einen Trend zu niedrigerer Sterblichkeit, allerdings war die Studie dafür nicht gepowert. Auf den Intensivstationen spielt Remdesivir heute keine Rolle mehr. Es wird aber weiterhin punktuell in früheren Erkrankungsstadien eingesetzt, insbesondere bei stationären Patienten, die beginnen, Sauerstoff zu benötigen.
In ganz frühen Stadien wiederum machen seit Monaten die Antikörpertherapien lautstark auf sich aufmerksam. Aktuell hat die REGEN-COV Kombination beeindruckende Präventionsdaten bei Kontaktpersonen geliefert. Da sie jetzt als subkutane Injektion zur Verfügung steht, bieten sich in der anstehenden Delta-Welle interessante Einsatzszenarien für Höchstrisikokonstellationen im ambulanten Setting.
Dennoch: Mehrheitsmeinung ist, dass das bisherige Therapiespektrum für eine Welt des endemischen SARS-CoV-2 noch nicht ausreicht. Gibt es also weitere interessante Kandidaten? Beginnen wir erneut im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium. Hier ist die jetzt als SOLIDARITYplus neu gestartete SOLIDARITY-Studie angesiedelt, ein globales COVID-19-Therapie-Studienprogramm der WHO, das darauf abzielt, die Potenziale bereits zugelassener Medikamente im Hinblick auf COVID-19 zu überprüfen.
Anders als RECOVERY hat SOLIDARITY in der ersten Runde nur Negativergebnisse geliefert. Die antiretrovirale HIV-Therapie Lopinavir/Ritonavir fiel genauso durch wie Hydroxychloroquin, Interferon-beta und besagtes Remdesivir, wobei die Remdesivir-Daten noch nicht abschließend publiziert sind. Die SOLIDARITYplus Studie wurde erstmals im Mai angekündigt und startet in diesen Tagen mit der Rekrutierung. Evaluiert werden drei weitere immunologisch wirksame Medikamente, nämlich das durch die CML-Therapie „berühmt“ gewordene Imatinib, der TNF-alfa-Antikörper Infliximab und das in der Malaria-Therapie gesetzte Beifuß-Derivat Artemisinin.
Zu den drei Substanzen gibt es jeweils erste Daten, die sie als interessante Kandidaten ausweisen. Namentlich bei Imatinib gibt es Hinweise auf eine Verkürzung der Beatmungszeit. Allerdings hat eine kürzlich im Lancet publizierte, randomisierte Studie den primären Endpunkt verfehlt. Bei Infliximab begründet sich die Rationale unter anderem mit mehreren Rheuma-Kohorten, die Hinweise geliefert haben, dass Patienten unter Anti-TNF-alfa-Therapie in Sachen COVID-19 günstiger abschneiden.
Wie sieht es mit der Frühtherapie und damit den im engeren Sinne antiviralen Medikamenten aus? Das Spektrum der Kandidatenmoleküle ist sehr breit, allerdings dünnt es deutlich aus, sobald nach weiter fortgeschrittenen klinischen Studien gesucht wird. Das Unternehmen MSD steht mit Molnupiravir im Ring, ein Medikament das ursprünglich als Grippe-Medikament entwickelt wurde, dort aber nie eine Zulassung bekam.
Molnupiravir ist ein oral applizierter Prodrug des Nukleosidanalogons N4-Hydroxycytidin. Es induziert bei RNA-Viren Kopierfehler und hemmt so die Virusvermehrung, setzt also wie Remdesivir im Bereich der RNA-Polymerase an. Die bisherige Datenlage bei COVID-19 ist durchwachsen. Die Phase-III-Studie MOVe-IN bei hospitalisierten Patienten wurde beendet, weil sich kein überzeugender Nutzen andeutete.
Die Hoffnungen liegen jetzt auf der Phase-III-Studie MOVe-OUT bei nicht hospitalisierten Patienten. Primärer Endpunkt ist „Hospitalisierung oder Tod“. Im abgeschlossenen, ersten Teil der Studie gab es vier Studienarme mit Dosierungen von 200 mg bis 800 mg 2 x täglich und Placebo. Nach Zwischenauswertung werden jetzt Hochrisikopatienten mit Symptomdauer von maximal fünf Tagen rekrutiert, und sie erhalten 2 x 800 mg Molnupiravir.
Ob Molnupiravir hält, was sich Hersteller und Studienleiter versprechen, wird sich demnächst zeigen. Eine Notfallzulassung bei der FDA könnte bei entsprechenden Daten in der zweiten Jahreshälfte beantragt werden, so das Unternehmen, und eine weitere Studie zur Postexpositionsprophylaxe ist in Planung. Die US-Regierung zumindest hat bereits 1,7 Millionen Dosen auf Verdacht geordert.
Sehr spannend und seit Juli 2021 in einer Phase II/III-Studie bei Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion und erhöhtem Progressionsrisiko ist außerdem PF-07321332 des Herstellers Pfizer. Anders als Molnupiravir ist PF-07321332 ein spezifisch als SARS-CoV-2-Antiviral entwickeltes Medikament. Es hemmt die Hauptprotease des Virus, die so genannte 3CL-Protease. Sie ist am Zusammenbau des Virus in den Zellen beteiligt. Wie die Proteasehemmer in der HIV-Therapie wird die Substanz mit Ritonavir geboostert. Auch PF-07321332 wird oral eingenommen. Pfizer testet mit PF-07304814 außerdem einen SARS-CoV-2-Proteasehemmer für die intravenöse Therapie in klinischen Studien.
Bildquelle: Zachary Kadolph, unsplash