Mit einem Schachbrett-Muster-ERG wurde bei Testpersonen mit ADHS ein verstärktes Hintergrundrauschen in der Netzhaut entdeckt. Sollte diese Aktivitätsveränderung spezifisch sein, steht womöglich ein Test zur Verfügung, mit dem ADHS im Gehirn diagnostiziert werden kann.
ADHS ist eine der häufigsten psychiatrischen Störungen, an der etwa zehn Prozent aller Kinder leiden. Viele davon begleitet die Erkrankung ihr Leben lang; rund vier bis zehn Prozent der Erwachsenen sind betroffen. Die neuronalen Grundlagen der Krankheit waren bislang unbekannt. „Wir fanden klare Hinweise, dass die mangelnde Aufmerksamkeit bei ADHS mit verstärktem Hintergrundrauschen in der Netzhaut einhergeht“, sagt Prof. Dr. Ludger Tebartz van Elst, Leitender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.
Die Forscher untersuchten je 20 erwachsene Probanden mit und ohne ADHS mit einem Schachbrett-Muster-Elektroretinogramm. Die Probanden sehen auf einem Bildschirm ein Schachbrettmuster, bei dem sich die hellen und dunklen Bereiche schnell vertauschen. Dabei wird die Aktivität der Ganglienzellen in der Netzhaut gemessen. Dieser Test wird heute bereits in vielen Augenkliniken eingesetzt, etwa zur Diagnose des Grünen Star. „Durch die Verwendung einer so gängigen Methode wie dem Muster-ERG wäre es recht einfach, sie auch bei ADHS in der Diagnose und therapiebegleitend einzusetzen“, sagt Prof. Dr. Michael Bach, Physiker und Leiter der Sektion Funktionelle Sehforschung an der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg. Netzhaut des Auges beim Blick durch den Fundus: Mit dem Muster-ERG wird die Aktivität der Ganglienzellen gemessen. Bei Personen mit ADHS zeigen die Zellen ein erhöhtes Hintergrundrauschen. © Michael Bach/ Universitätsklinikum Freiburg Eine reizunabhängige Aktivität, auch neuronales Hintergrundrauschen genannt, wurde bei ADHS schon lange vermutet, ist bislang aber nie belegt worden. „Die Ergebnisse stützen unsere Annahme, dass das Hintergrundrauschen der pathophysiologische Mechanismus ist, der dem ADHS zugrunde liegt“, so Prof. Tebartz van Elst. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass das Hintergrundrauschen bei Dopaminmangel in den Gehirnzellen verstärkt ist – ebenfalls ein Befund bei ADHS.
Sollte sich bestätigen, dass diese Aktivitätsveränderungen für ADHS spezifisch sind, könnten die Erkenntnisse auch für die Diagnostik und Beurteilung des Therapieerfolgs von Bedeutung sein. „Es wäre das erste Mal für ADHS und einer der wenigen Fälle bei psychiatrischen Erkrankungen überhaupt, wo durch ein physiologisches Signal eine Erkrankung objektiv gemessen werden könnte“, sagt Dr. Emanuel Bubl, Erstautor der Studie und Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. „Unsere Hoffnung ist, dass wir damit in Zukunft den Therapieerfolg, zum Beispiel von bereits jetzt häufig eingesetzten Arzneimitteln wie Methylphenidat oder von Psychotherapien, direkt messen können“, sagt Dr. Bubl, der die Studie initiiert hatte. Bislang wurden die Diagnose und das therapeutische Ansprechen in Gesprächen und psychologischen Tests ermittelt. Aus Tierstudien gibt es bereits Hinweise, dass Medikamente wie Methylphenidat ihre Wirkung entfalten, indem sie das Hintergrundrauschen reduzieren. Erste Folgeuntersuchungen der Freiburger Wissenschaftler deuten nun ebenfalls darauf hin, dass das neuronale Hintergrundrauschen bei ADHS-Patienten unter Therapie reduziert wird. Originalpublikation: Elevated Background Noise in Adult Attention Deficit Hyperactivity Disorder Is Associated with Inattention Ludger Tebartz van Elst et al.; PLoS ONE, doi: 10.1371/journal.pone.0118271; 2015