Neue Schlagzeilen aus Hollywood: Nachdem sich Schauspielerin Angelina Jolie bereits Mitte 2013 beide Brüste hat amputieren lassen, folgten jetzt die Eierstöcke. Wie oft greifen Ärzte hierzulande zu derart radikalen Maßnahmen? Oder schließen sie diese Option kategorisch aus?
Wird Angelina Jolie (39) von der Sonderbotschafterin für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge bald zur Sondergesandten für präventive Eingriffe? Diese Frage stellen sich Ärzte immer häufiger. In der „New York Times“ berichtet die Schauspielerin jetzt, sie habe sich jetzt die Eierstöcke und Eileiter entfernen lassen – aufgrund eines kleinen, gutartigen Tumors. Medizinisch notwendig war dies nicht. Die anschließende histologische Untersuchung des entfernten Gewebes lieferte keinerlei Hinweis auf maligne Veränderungen – ein Ergebnis das Zweifel über die Notwendigkeit des Eingriffs aufkommen lässt. Schließlich sind die hormonellen Folgen einer Ovariektomie für eine 39-Jährige nicht unerheblich. Bereits vor zwei Jahren lag die Ehefrau von Brad Pitt (51) unter dem Messer. Damals hatte sie sich einer prophylaktischen Mastektomie unterzogen – letztlich aus Sorge: Jolie trägt das Brustkrebsgen BRCA1. Mutationen der Gene BRCA1 oder BRCA2 erhöhen das Brustkrebs-Risiko auf 50 bis 80 Prozent. Für Eierstockkrebs werden zwischen 20 und 50 Prozent angegeben. Jolies Mutter war mit 65 Jahren an Brustkrebs gestorben. Die Schauspielerin spricht offen über eigene Sorgen und entschloss sich deshalb erneut, eine präventive OP durchführen zu lassen.
Inwieweit Chirurgen vom neuen Hype profitieren, lässt sich schwer quantifizieren. Zahlen liegen nicht vor. Amerikanische Medien berichten jedoch von deutlich steigenden Anfragen bei spezialisierten Kliniken. Viele Patienten zahlen in den USA medizinische Leistungen nach wie vor aus der eigenen Tasche, was zu wirtschaftlichem Interesse führen könnte. Das zeigten in der Vergangenheit bereits umstrittene Ganzkörper-Tomographien zur Krebsvorsorge – als gezieltes Angebot für solvente Manager. Deutsche Krankenkassen hinterfragen entsprechende Notwendigkeiten genauer und berufen sich auf evidenzbasierte Leitlinien. Einem Urteil des Sozialgerichts Kassel zufolge müssen sie ohne strenge Indikation auch keine Kosten für präventive Eingriffe sowie für Rekonstruktionen übernehmen. Allein die Vermutung – zwei Verwandte waren an Brustkrebs erkrankt – reiche nicht aus, argumentierten die Richter. Dass ein Arzt beziehungsweise ein Psychologe zum Eingriff geraten hatten, war ihnen auch zu wenig. Sie forderten Gentests, um erblich bedingte Risiken zweifelsfrei nachzuweisen. Genau hier ist mit Bewegung zu rechnen: Die Aktie von Myriad Genetics, einem großen Anbieter derartiger Untersuchungen, stieg Mitte 2013 innerhalb kürzester Zeit um rund 30 Prozent. Dem Hersteller war es gelungen, von Angelina Jolies medialer Präsenz zu profitieren. Ähnliche Tendenzen erwarten Analysten jetzt erneut.
In Deutschland äußern sich Ärzte weitaus kritischer zur präventiven Chirurgie. Mehrere, für DocCheck stichprobenartig befragte Humangenetiker sagten, diese Option stünde nicht im Mittelpunkt, werde mit Patientinnen aber durchaus erörtert. Der Bedarf an Beratung ist groß: Laien hätten ihre Probleme, prozentuale Risikoangaben richtig zu deuten, heißt es weiter. Experten empfehlen schon lange, mit Veränderungen absoluter Fallzahlen zu argumentieren. Klar ist, dass Beratung und Therapieentscheidung in die Hand von spezialisierten Teams gehören, etwa Zentren für familiären Brust- und Eierstockkrebs. Als Basis dient die interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. Das Dokument rät zur Beratung und genetischen Testung, falls in der Familie bereits Erkrankungen vorgekommen sind – vor allem bei jüngeren Frauen. Entsprechende Kosten trägt die gesetzliche Krankenkasse. Zu präventiven Eingriffen heißt es im Dokument: „Frauen mit BRCA1- oder BRCA2-Genmutation sollte eine bilaterale prophylaktische Mastektomie angeboten werden. Eine prophylaktische beidseitige Salpingo-Oophorektomie (in der Regel um das 40. Lebensjahr) wird empfohlen.“ Man beachte das kleine Wörtchen „sollte“. Grundlage dieser Grad-B-Empfehlung sind klinische Studien, aber keine randomisierten, klinischen Studien.
Genetische Risiken reichen Kollegen hierzulande allein nicht aus, um generell zu operieren. Sie verweisen auf eine etwas ältere Studie der Standford University School of Medicine: Sylvia K. Plevritis fand hinsichtlich der Sterblichkeit keine signifikanten Unterschiede zwischen OP und Mammographie plus MRI. Ihre Arbeit basiert auf mathematischen Simulationen. Betroffene entscheiden sich nach der Beratung oft für „Watchful Waiting“-Strategien: eine Form der bestmöglichen Früherkennung. Die deutsche Leitlinie rät zu Tastuntersuchungen, Sonographien, Mammographien und MRTs in unterschiedlichen Abständen. Krankenkassenangaben zufolge liegt die Zahl an präventiven Brustentfernungen derzeit unter zwei Prozent, bezogen auf alle Mastektomien. Vorbeugende Gaben von Anastrozol, einem Aromatasehemmer, sind umstritten. In einer Studie gelang es zwar, die Karzinomrate von 5,6 auf 2,8 Prozent zu verringern. Gleichzeitig hatten 95 Prozent aller Frauen das Pharmakon ohne Mehrwert eingenommen – bei ihnen wäre nie Brustkrebs aufgetreten. Trotzdem litten sie an Nebenwirkungen wie Osteoporose oder Hitzewallungen. Ob sich die Mortalität unter Anastrozol verringert, muss sich bei Nachbeobachtungen zeigen. So oder so ist die Behandlung für Patienten belastend. Vor diesem Hintergrund sind Angelina Jolies Entscheidungen als konsequent, vielleicht auch als radikal zu bewerten. Medizinisch falsch waren sie definitiv nicht.