Es klingt so einfach: Eine Impfung gegen Influenza könnte vor einem schweren Verlauf von COVID-19 schützen. Eine große Studie ist dem jetzt nachgegangen – wir haben für euch reingeschaut.
Ab Mitte August sollen die Grippeimpfstoffe für die Saison 2021/2022 zur Verfügung stehen – und sie werden vermutlich dringend benötigt. Denn nach einer vergleichsweise entspannten Saison 2020/2021 könnte das Influenza-Comeback in diesem Jahr besonders heftig ausfallen (wir berichteten).
Das liege zum einen daran, dass sich – bedingt durch Corona-Maßnahmen wie Lockdown, Desinfektion und Masken – weniger Herdenimmunität ausgebildet haben könnte als sonst, warnen Experten. Der Selektionsdruck, der dadurch entstehe, könne sich auch auf andere Erreger ausgewirkt und beispielsweise Grippeviren für den Menschen gefährlicher gemacht haben können. Zum anderen sei nicht zu unterschätzen, wie sehr SARS-CoV-2 die Aufmerksamkeit der Menschen beanspruche, auch über anderthalb Jahre nach Ausbruch des Virus. Selbst wenn die Schutzmaßnahmen auch gegen andere Viren und Bakterien helfen, gerate das Bewusstsein zu anderen Erkrankungen, wie der Grippe, darüber schnell in den Hintergrund.
Umso wichtiger sind Grippeschutzimpfungen, besonders für Risikopatienten und weitere anfällige Gruppen wie Schwangere und Immunsupprimierte. Dazu kommt ein interessanter Nebeneffekt: Eine Influenzaimpfung scheint zusätzlich vor schweren COVID-19-Verläufen zu schützen. Das zeigt jetzt eine große Studie zum Thema.
Mit 74.754 Probanden ist die in PLOS One erschienene Arbeit die größte ihrer Art. Kurz gesagt kommen die Autoren zum Ergebnis, dass eine Grippe-Impfung Patienten vor Hospitalisierung, Sepsis und Schlaganfall als Teil von COVID-19 bewahrte. Um diesen Effekt genauer fassen zu können, untersuchte ein Forscherteam um Susan Taghioff, Universität Miami, die Daten zehntausender Patienten aus der ganzen Welt im Rahmen einer retrospektiven Analyse. Die Wissenschaftler verwendeten dazu ein Electronic Medical Record (EMR) Netzwerk, in dem Daten aus über 56 Gesundheitsorganisationen zusammenliefen.
Das Team scannte so anonymisierte Patientenakten von über 70 Millionen Menschen, aus denen zwei infrage kommende Gruppen von je 37.377 Probanden gefiltert wurden. Auf sie trafen Faktoren zu, die das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs von COVID-19 erhöhten, wie Alter, Geschlecht, Raucherstatus und gesundheitliche Probleme wie Diabetes, Adipositas und COPD. Die eine Gruppe hatte innerhalb von 6 Monaten bis 2 Wochen vor einem positiven Test auf SARS-CoV-2 eine Grippeschutzimpfung erhalten, die andere nicht.
Die Forscher halten fest, dass SARS-CoV-2-positive Probanden, die im festgelegten Zeitraum vor der Diagnose eine Impfung gegen Influenza erhalten hatten, weniger oft eine Sepsis (p < 0.01, Risk Ratio: 1.361–1.450, 95 % CI: 1.123–1.699, NNT: 286) und einen Schlaganfall (p < 0.02, RR: 1.451–1.580, 95 % CI: 1.075–2.034, NNT: 625) über alle Zeitpunkte (30, 90 und 120 Tage nach dem Corona-Test) hinweg erlebten. In dieser Probandengruppe gab es auch weniger Einweisungen auf Intensivstationen (p < 0.03, RR: 1.174–1.200, 95 % CI: 1.003–1.385, NNT: 435), sie näherten sich nach 60 Tagen der Signifikanz (p = 0.0509, RR: 1.156, 95 % CI: 0.999–1.338).
Die Patienten mit Grippeimpfung hatten zudem seltener tiefe Beinvenenthrombosen in den ersten 60–120 Tagen nach ihrem positiven Corona-Test (p < 0.02, RR:1.41–1.530, 95 % CI: 1.082–2.076, NNT: 1.000) und mussten seltener notfallmedizinisch behandelt werden (p < 0.01, RR: 1.204–1.580, 95 % CI: 1.050–1.476, NNT: 176; 90–120 Tage nach Testergebnis).
Das Fazit der Autoren fällt eindeutig aus: Eine Influenza-Impfung scheint eine nicht zu unterschätzende Schutzwirkung auch gegen schwerwiegende Effekte einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu haben. Die Reduzierungen der Risiken für Sepsis, Schlaganfall, Thrombosen, Notfallbehandlungen und intensivstationäre Aufnahmen fallen signifikant aus.
Dies sei besonders für Patienten- und Bevölkerungsgruppen interessant, die nicht ohne Weiteres gegen COVID-19, wohl aber gegen Influenza geimpft werden könnten. Auch für den Fall, dass beispielsweise Corona-Impfstoffe fehlen, könnte der indirekte Schutz einer Impfung gegen Grippe helfen. Weitere Forschungsarbeit sei somit berechtigt und lohnenswert.
Bildquelle: Mat Napo, unsplash