In der anstehenden Delta-Welle können monoklonale Antikörper Todesfälle verhindern – wenn sie denn genutzt werden. Meine Meinung: Jeder, der Risikopatienten versorgt, ist in der Pflicht.
„Wir brauchen nicht nur Impfungen, wir brauchen auch effektive Therapien“ – das ist von Politikern wie Experten immer wieder zu hören, wenn es um das Corona-Management und um das viel zitierte „Leben mit dem Virus“ geht. Der Satz klingt so, als gäbe es keine Behandlungsoptionen, aber das stimmt nicht. Bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten sind Glukokortikoide und Tocilizumab etabliert. Beides ist aber in der ambulanten (Früh-)Versorgung von COVID-19-Patienten nicht indiziert.
Hier wären Frühtherapien gesucht, nicht zuletzt mit Blick auf die Delta-Welle, die gerade so richtig Fahrt aufnimmt und die auch wieder Hochrisikopatienten betreffen wird – geimpfte und ungeimpfte. „Frühtherapien gibt es nicht“, heißt es oft, aber das stimmt auch nicht. Es gibt eine Option, und zwar schon seit Herbst 2020. Die Rede ist von den monoklonalen Antikörpern gegen SARS-CoV-2. Die hat Deutschland, wie auch andere Länder, in größerem Umfang gekauft und stellt sie Ärzten zur Verfügung, die COVID-19-Patienten versorgen. Die Verteilung läuft über so genannte Stern- und Satelliten-Apotheken. Das RKI stellt zu dem ganzen Themenkomplex umfangreiche Informationen zur Verfügung.
Das Problem an den monoklonalen SARS-CoV-2-Antikörpern: Sie werden bisher viel zu selten eingesetzt. An der Charité Berlin hat man damit im Frühjahr 2021, als die COVID-19-Winterwelle noch rollte, etwas deprimierende Erfahrungen gemacht: „Wir hatten eine eigene Antikörper-Ambulanz eröffnet, die täglich von 8 bis 16 Uhr besetzt war, und wir hatten das auch über die KV Berlin bei den niedergelassenen Ärzten und im Internet publik gemacht“, sagt Dr. Frieder Pfäfflin, Oberarzt Infektiologie an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité.
Es kamen aber nicht genug Patienten, um diesen personellen Aufwand auf Dauer rechtfertigen zu können. „Am Ende hatten wir eine Patientenzahl im zweistelligen Bereich innerhalb eines Monats, da mussten wir reagieren und haben das Angebot wieder eingestellt“, so Pfäfflin, der auch Mitglied im Pandemiestab der Charité ist. Die Uniklinik steht Berliner Ärzten natürlich weiterhin als Ansprechpartnerin in Sachen Antikörpertherapie bei COVID-19-Patienten zur Verfügung. Die Antikörper werden jetzt aber wieder auf Station appliziert. Nach ambulanter Aufnahme erhalten die Patienten die Infusion über eine Stunde und werden wegen möglicher anaphylaktischer Reaktionen weitere zwei Stunden überwacht. Danach gehen sie wieder in die Isolation nach Hause, sofern medizinisch nichts dagegenspricht.
Konkret eingesetzt wird, seit Delta übernommen hat, von den Berlinern im Wesentlichen die Kombination aus Casirivimab und Imdevimab (REGEN-COV). Die Standarddosis liegt bei jeweils 1,2 Gramm. Das entspricht auch den Empfehlungen der COVRIIN-Arbeitsgruppe am RKI, die in Kurzform hier und im Detail hier abzurufen sind.
Zugrunde liegen diesem Vorgehen mehrere randomisierte, teils placebokontrollierte Studien bei ambulanten COVID-19-Patienten mit leichter bis moderater Erkrankung und hohem Risiko für einen schweren Verlauf, die überwiegend in den USA durchgeführt wurden. In der US-amerikanischen BLAZE-1-Studie wurde Bamlanivimab in Monotherapie bei 452 Patienten untersucht. Bamlanivimab mit und ohne Etesevimab wurde bei 577 Patienten evaluiert. Und zur REGEN-COV-Kombination liegt im frühtherapeutischen Setting eine Studie mit 275 Patienten vor. In der Gesamtschau zeige sich eine schnellere Reduktion der Viruslast als bei Placebotherapie und eine Reduktion der Notwendigkeit einer medizinischen Versorgung, so die COVRIIN-Gruppe.
Zusätzlichen Rückenwind bekam die Casirivimab/Imdevimab -Kombination durch die in einem postexpositionellen Präventions-Setting angesiedelte Covid-19 Phase 3 Prevention Studie, die vor zwei Wochen publiziert wurde. Hier nahmen 753 Haushaltskontakte von nachgewiesen SARS-CoV-2-infizierten Menschen teil, und die Behandlung erfolgte als subkutane Injektion. In der Verum-Gruppe traten weniger symptomatische und asymptomatische Infektionen auf, die Symptome waren kürzer und die Viruslast geringer.
Ein bisschen anders ist das Vorgehen bei den stationären Patienten mit mehr als 7 Tagen Abstand zu Symptombeginn, die oft Sauerstoff über die Nasensonde benötigen. Hier warten die Berliner Infektiologen auf das Ergebnis der Antikörper-Serologie, und nur Antikörper-negative Patienten werden tatsächlich behandelt.
Das basiert auf den bisher nur als Preprint verfügbaren Ergebnissen der RECOVERY-Studie, in der Patienten mit mehr als 7 Tagen Abstand zum Symptombeginn nur dann von den monoklonalen Antikörpern profitierten, wenn keine SARS-CoV-2-Antikörper im Serum nachweisbar waren. In diesem Setting werden die monoklonalen Antikörper höher dosiert als bei der frühzeitigeren Gabe, und sie werden in Kombination mit der Standardtherapie verabreicht.
Vor dem Hintergrund all dieser Daten kann die Frage der Wirksamkeit einer frühen, monoklonalen Antikörpertherapie als weitgehend beantwortet gelten. Die Frage, die sich mit Blick auf die nächsten Monate stellt, lautet: Wie kommen diese Medikamente zu den Infizierten, die ein hohes Risiko für schwere Verläufe haben? Wie können durch bessere Verteilung der Medikamente möglichst viele Menschenleben gerettet werden? Viele der Patienten, die derzeit über die Universitätskliniken monoklonale Antikörper erhalten, sind eher jünger und stammen nicht selten aus universitätsnahen Ambulanzen, die zum Beispiel Transplantatpatienten versorgen.
Das ist eine wichtige Zielgruppe, aber es ist natürlich bei Weitem nicht die einzige. Je stärker sich die Delta-Welle ausbreitet, umso mehr werden die großen Risikogruppen der ersten Wellen wieder an Bedeutung gewinnen, die Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen, aber auch die Großeltern, die noch zuhause wohnen.
Die meisten dieser Menschen sind geimpft, aber die Immunität kann mit der Zeit schwinden. Eine Ansteckung und auch eine Erkrankung sind unter diesen Umständen möglich. An der Charité sieht man das genauso: „Wir behandeln auch geimpfte Hochrisikopatienten mit monoklonalen Antikörpern, es sei denn, wir wissen sicher, dass die Patienten Antikörper im Blut haben. Dann verzichten wir darauf“, sagt Oberarzt Pfäfflin.
Theoretisch kommt niedergelassenen Ärzten mit Blick auf SARS-CoV-2-Infizierte in Pflegeheimen und unter „ambulanten Großeltern“ eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen nicht selbst behandeln, aber sie können dafür sorgen, dass die Anlaufstellen auch aufgesucht werden. Das ist freilich oft gar nicht so einfach, da die positiven Testergebnisse von den Testzentren kommen. „Hausärzte wissen das mitunter gar nicht, oder kriegen es erst mit Verzögerung mit“, so Pfäfflin.
So gesehen wäre vielleicht auch eine bevölkerungsbezogene Informationskampagne eine Überlegung wert. Und wahrscheinlich sollten auch Heimbetreiber stärker eingebunden werden. Das Problem: Wenn, dann muss das jetzt schnell gehen, sonst ist es wieder zu spät. Ob die subkutane Applikationsform die Akzeptanz der Behandlung steigern wird, ist noch offen. In Deutschland ist sie derzeit noch nicht verfügbar. Sie könnte in Pflegeheimen eventuell Behandlungen ohne Aufsuchen des Krankenhauses ermöglichen. Aber auch hier gilt: Die Zeit drängt, denn Delta wartet nicht.
Bildquelle: Ellen Auer, Unsplash