Kaum ein Profi-Wettkampf ohne bunte Pflaster: Kinesio-Tapes sollen Schmerzen legal lindern. Mittlerweile bekleben auch einige Ärzte ihre orthopädischen Patienten. Was ich davon halte.
Schon immer war die westliche Welt von asiatischen Zaubereien – pardon, Heilkünsten – begeistert. Man denke nur an TCM-Drogen. Anfang der 1970er-Jahre traten in Japan kinesiologische Tapes, kurz Kinesio-Tapes, ihren Siegeszug an. Die Idee geht auf Dr. Kenzo Kase zurück. Er testete selbstklebende Bänder anfangs bei Sumo-Ringern. Niemand nahm davon so recht Notiz.
Doch ab den 1980er-Jahren wendete sich das Blatt. Plötzlich trugen etliche Athleten Tapes – und der Siegeszug der Heilmethode war nicht mehr aufzuhalten. Bei Olympiaden, bei Beach-Volleyball-Tournieren oder bei großen Fußballmatches bekleben sich heute Sportler mit Rang und Namen. Seit der Sommerolympiade 2012 sind Tapes zum Renner geworden. Sie sollen bei Verspannungen helfen oder Rückenschmerzen lindern. Aber wie?
Die Tapes bestehen aus Baumwollgewebe mit eingewebtem, elastischem Material. Sie sind dehnbar auf 130 bis 180 Prozent ihrer Länge. Ein Acrylkleber fixiert die Bänder auf der Haut. Tape-Zuschnitte sind in unterschiedlicher Form Teil der Anwendung, etwa I-, Y-, X-Zügel oder -Fächer. Es gibt spezielle Techniken und sogar eine „Kinesio-Universität“ in Hannover. Wow, Tapen kann man studieren.
Doch wozu sollen die unterschiedlichen Farben gut sein? Dazu ein wenig Esoterik. Unterschiedliche Farben sollen – je nachdem, welche Wellenlängen des sichtbaren Lichts sie absorbieren oder reflektieren, auch unterschiedliche Eigenschaften haben. Und „die Vorliebe bzw. die emotionale Bindung zu einer Farbe kann sich positiv auswirken“. Das heißt etwa: Blau soll kühlend wirken, Energie entziehen und entspannen. Rot hingegen steht für Kraft, Energie und Vitalität; Gelb für Harmonie und Heiterkeit. Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Jeder Hokuspokus braucht schließlich ein theoretisches Fundament.
Deutlich medizinischer klingt die Behauptung, durch Zugkräfte würden sich Kanäle unter der Haut bilden. Das führte zu einer stärkeren Durchblutung und zu einem besseren Lymphfluss. Außerdem würden Schmerzrezeptoren entlastet: sozusagen eine tragbare Dauermassage. Schreiben lässt sich viel, doch wie sieht es hinsichtlich der Evidenz aus?
Jetzt also mal die harten Fakten: Wer in der wissenschaftlichen Literatur nachliest, findet tatsächlich einige Studien zum Kinesio-Tapen, kurz KT genannt. Jetzt hat sich die Cochrane Collaboration mit Erkrankungen der Rotatorenmanschette befasst, sprich Schulterschmerzen aller Art. Grundlage der Arbeit waren Recherchen in diversen Datenbanken. Forscher schlossen randomisierte, kontrollierte Studien ein. Wichtige Endpunkte waren neben Schmerzen auch die Lebensqualität und die Funktionalität.
Insgesamt fanden die Cochrane-Autoren 23 Studien mit 1.054 Teilnehmern. Neun Studien (312 Teilnehmer) untersuchten die Wirksamkeit der KT im Vergleich zur Scheinbehandlung und vierzehn Studien (742 Teilnehmer) verglichen KT mit konservativen Therapien. Die meisten Teilnehmer waren zwischen 18 und 50 Jahren alt. In der Stichprobe befanden sich 52 Prozent Frauen.
Bei allen Studien war das Risiko von Verzerrungen in Bezug auf Durchführung, Auswahl, Berichterstattung, Abbruch und andere Faktoren hoch. Spoiler: „Auf der Grundlage der Daten in dieser Übersichtsarbeit scheinen […] Kinesio-Tapes wenig oder keinen Nutzen zu zeigen“, so die Autoren. Es gebe allenfalls Hinweise auf eine Verbesserung der Lebensqualität im Vergleich zu konservativen Therapien, wenn auch mit geringer Evidenz.
Noch deutlicher wird das Portal Evidenzbasierte Physiotherapie: „Eine Behandlung mit Kinesio-Tape ist unwirksam und nicht zu empfehlen.“ Auch Medizin transparent schreibt: „Viele Theorien, aber kein Nachweis.“
Zu den Details: Im ersten Schritt verglichen Cochrane-Forscher Kinesio-Tapings (KT) mit Scheinbehandlungen, sprich mit zu locker oder bewusst falsch angebrachten Klebestreifen. Ihre Ergebnisse im Überblick, jeweils bezogen auf vierwöchige Behandlungen:
Gemessen an konservativen Therapien fand die Cochrane Collaboration folgende Unterschiede, meist nach vier oder sechs Wochen:
Fazit: „Aufgrund der Evidenz mit sehr geringer Vertrauenswürdigkeit sind wir nicht sicher, ob KT im Vergleich zu konservativen Behandlungen den Gesamtschmerz, die Funktion, den Bewegungsschmerz und den aktiven Bewegungsumfang verbessert“, heißt es in der Analyse. KT könne die Lebensqualität verbessern – bei wenig vertrauenswürdigen Beweisen.
Damit deutet viel auf reine Placebo-Effekte hin. Prof. Jörg Königstorfer von der TU München, er untersucht Märkte im Sportbereich, hat bei Konsumenten mehrere Phänotypen identifiziert. Nutzer-Typen denken: „Was Profis hilft, muss auch mir was bringen.“ Andere denken: „Probieren wir das Taping aus; schaden kann es ja nicht.“ Die dritte Kategorie fühlt sich mit Tapes gut auf Wettkämpfe oder Trainings vorbereitet.
Nur bekommen Profisportler Massagen und Physiotherapien. Was am Ende geholfen hat, ist eine andere Frage. Angesichts der dünnen Datenlage wundere ich mich sehr, dass beispielsweise die DAK Kosten für KT in gewissem Umfang übernimmt.
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