Der Off-Label-Einsatz von Misoprostol zur Geburtseinleitung sorgte lange für heftigen Streit. Jetzt wurde ein orales Misoprostol-Präparat für diese Indikation zugelassen – endlich, wie ich finde.
Ursprünglich war das Prostaglandin-E1-Analogon Misoprostol (Cytotec® 200 µg) zur Prävention und Therapie von gastroduodenalen Ulzera gedacht, wird aber in Deutschland seit Jahrzehnten im Off-Label-Use zur Geburtseinleitung und bei anderen gynäkologischen Indikationen eingesetzt. Gefürchtet sind Nebenwirkungen wie uterine Überstimulation bis hin zur Uterusruptur während der Geburt.
„Misoprostol ist das wirksamste Medikament zur Geburtseinleitung bei einem unreifen Zervixbefund. Die Applikation von Misoprostol sollte oral erfolgen“, so die aktuelle Leitlinie zur Geburtseinleitung. Die orale Gabe gilt als nebenwirkungsärmer und effektiver als die vaginale Anwendung.
Eine Dosierung von ≥ 50 µg pro Tablette führt zwar im Vergleich zum Placebo zu mehr Überstimulationen, aber nicht zu einer höheren Verlegungsrate in die Kinderklinik.
Erstgaben von > 50 µg und Einzelgaben von > 100 µg sollten vermieden werden. Problematisch ist die optimale Dosierung, da eine erhöhte Dosis zwar eine bessere Effektivität hat, aber mehr Nebenwirkungen verursachen kann. Relevante Einflussfaktoren auf eine erfolgreiche Therapie scheinen der mütterliche BMI, die Parität, aber auch die geburtshilfliche Überwachungssituation zu sein.
Es muss gewährleistet sein, dass die applizierte Dosierung korrekt erfolgt: Eigenhändiges Zerstückeln von Tabletten ist aufgrund der Ungenauigkeit der Stabilität und Wirkstoffkonzentration zu vermeiden. Eine professionelle Herstellung durch eine Apotheke ist Voraussetzung.
Im März 2020 erschien ein Rote-Hand-Brief zum Thema. Aufgrund berichteter schwerer Nebenwirkungen ist Misoprostol nicht zur Geburtseinleitung zugelassen und eine Teilung der verfügbaren 200 µg-Tablette (Cytotec®) ist nicht zulässig.
„Das BfArM erreichen vermehrt Meldungen von schweren Nebenwirkungen (einschließlich exzessive uterine Tachysystolie, Uterusrupturen, reduzierter fetaler Herzrhythmus), die im Zusammenhang mit einer Anwendung von Cytotec außerhalb der Zulassung (sog. Off-Label-Use) auftraten“, so die Mitteilung.
In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Prof. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), haben die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und weitere 14 Fachverbände reagiert. Der erschwerte Zugang zu dem Mittel hätte eine Versorgungslücke zur Folge, heißt es darin.
Bereits vor 10 Jahren hat die WHO Misoprostol auf ihre „Essenzielle Liste“ gesetzt. Auf dieser Liste sind die effektivsten und sichersten Medikamente aufgeführt, um die wichtigsten Bedürfnisse für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu gewährleisten. Im Interesse einer modernen Versorgung in der Gynäkologie und Geburtshilfe ist ein uneingeschränkter Zugang zu diesem Wirkstoff notwendig. Misoprostol wird weltweit, neben der Geburtseinleitung, für folgende Indikationen in einer Dosierung von 200 µg eingesetzt:
Es gibt mittlerweile mehr als 80 Studien, die sich eindeutig für die hohe Effektivität und den klaren Nutzen von Misoprostol zur Geburtseinleitung aussprechen. Beobachtete Komplikationen traten wegen falscher Dosierung und falschem Applikationszeitpunkt auf, nicht primär wegen des Wirkstoffes. Ferner sind die günstigen Lagerungsbedingungen (nicht kühlschrankpflichtig) und die niedrigen Kosten (1 Tablette < 1 Euro) weitere Pluspunkte.
An einer Umfrage zur Geburtseinleitung nahmen 51 von 127 Geburtskliniken in Bayern teil. Der Großteil der teilnehmenden Kliniken wies die Versorgungsstufe Perinatalzentrum Level 1 auf. Bei 71 % der Kliniken ist Misoprostol Geburtseinleitungsmethode der ersten Wahl. 47 % der Kliniken beginnen mit 25 µg Misoprostol und erhöhen anschließend auf 50 µg. Bereits mit 50 µg starten 44 % der Kliniken und fahren mit 100 µg fort. Elf Kliniken verzichten auf eine weitere Gabe bei Wehentätigkeit, 29 Kliniken fahren bei unregelmäßigen, nicht muttermundswirksamen Wehen mit der Applikation fort.
Bei einem vorausgegangenen Kaiserschnitt oder anderen Uterusoperationen wurde Misoprostol einheitlich nicht verabreicht. In 65 % wurde es auch bei Frühgeburtlichkeit eingesetzt. Alle Kliniken informierten über den Off-Label-Use schriftlich über einen klinikinternen Aufklärungsbogen.
Der Großteil der Kliniken hat sich nicht durch den negativen Medienreport verunsichern lassen, sondern ist dem seit Jahren bewährten Einleitungskonzept mit Misoprostol treu geblieben.
Ab September wird es Misoprostol in Tablettenform zu 25 µg (Angusta®) geben. Indikation ist die Geburtseinleitung. Damit soll eine exakte Dosierung ermöglicht werden und eine Zerteilung der vormals 200 µg-Tablette (Cytotec®) ist nicht mehr notwendig. Die empfohlene Dosierung beträgt entweder eine Tablette alle zwei Stunden oder zwei Tabletten alle vier Stunden. Die maximale Tagesdosis liegt bei 200 µg. Ausgenommen sind Patientinnen mit vorausgegangenen Uterusoperationen oder die eingesetzte Wehentätigkeit.
In Österreich ist das Präparat bereits verfügbar. Am Universitätsklinikum Linz wird gewichtsabhängig dosiert. Frauen mit einem BMI unter 35 erhalten am ersten Tag 50 µg bis zu dreimal täglich alle vier Stunden. Bleibt der Erfolg aus, wird an den Tagen 2 und 3 bis zu viermal 50 µg gegeben. Ist der BMI über 35, wird gleich mit der höheren Tagesdosis gestartet. Innerhalb von zwei Tagen erreichten 89 % der Frauen eine ausreichend reife Zervix, davon konnten 79 % vaginal entbunden werden. In jedem fünften Fall war eine Sectio nötig, es gab bisher keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko an uterinen Hyperstimulationen oder ungünstigerem Outcome bei den Neugeborenen. Weitere Studien zur Dosierung bei erhöhtem BMI seien geplant.
Misoprostol hat sich in der Gynäkologie und Geburtshilfe über viele Jahre bewährt und ist aus dem Standardrepertoire essenzieller Medikamente nicht mehr wegzudenken. Einerseits ist es von Vorteil, dass es nun endlich eine offizielle Zulassung zur Geburtseinleitung gibt und komplizierte Verfahren im Off-Label-Use der Vergangenheit angehören. Andererseits bleiben die anderen Indikationsbereiche, die im Brief an Spahn aufgeführt wurden, davon unberührt.
Es wird befürchtet, dass die neue Darreichungsform die Kosten in die Höhe treibt. An großen Kliniken wurden preiswerte 200 µg-Tabletten in den klinikinternen Apotheken professionell in die entsprechenden Portionen zerteilt. Die Applikation erfolgte zur Geburtseinleitung in den vorgeschlagenen Dosierungen. Bei den gynäkologischen Eingriffen konnten die erforderlichen höheren Dosen verwendet werden.
Der Effekt war groß, die Kosten gering.
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