Kübelweise kaltes Wasser landete im Sommer 2014 auf spendenwilligen Köpfen. Mit der Ice Bucket Challenge wollten Prominente auf die Nervenerkrankung ALS aufmerksam machen. Zuvor war die Amyotrophe Lateralsklerose kaum bekannt. Was hat die Aktion gebracht?
„Was die Wahrnehmung der ALS betrifft, hat sich Entscheidendes getan“, sagt Professor Albert C. Ludolph, Ärztlicher Direktor der Neurologie am RKU - Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm. „Etwas überspitzt: Heute kennen viele die Krankheit, früher kannte sie kaum jemand.“ Ludolph spricht die „Frage der Spendenkultur“ an: „In den USA hat es deutlich mehr Spenden gegeben.“ In Deutschland werde die Wissenschaft eher als öffentliche Aufgabe angesehen. International betrachtet hat sich trotzdem so einiges getan.
Vor der Challenge gab es in der Gesellschaft durchaus viele Fehlvorstellungen. Die meisten, denen die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ein Begriff war, brachten die Krankheit mit Stephen Hawking (76) in Verbindung. Auch er leidet seit 1963 an der degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems. Allerdings handelt es sich bei ihm um die recht seltene chronisch-juvenile Form der ALS mit vergleichsweise langsamer Progression. In der Regel sterben Patienten drei bis fünf Jahre, nachdem sie die ersten Symptome bemerkt haben.
Mit einer Inzidenz von ein bis drei Patienten und einer Prävalenz von drei bis acht Patienten pro 100.000 Menschen gehört ALS zu den seltenen Erkrankungen und wird von Laien kaum beachtet. Genau das sollte sich schließlich Mitte 2014 ändern. Nach verschiedenen kleineren Projekten, die unterschiedliche Wohltätigkeitsorganisationen unterstützen, fokussierte sich die Ice Bucket Challenge im Sommer 2014 auf ALS. Der Profi-Golfer Greg Norman übergoss sich mit einem Eimer Eiswasser und nominierte, so die Regel, weitere Personen. Am selben Tag nahm der Golfer Chris Kennedy die Herausforderung an und forderte daraufhin seine Cousine auf, deren Ehemann Anthony an ALS litt, zur Teilnahme auf. Wer die Herausforderung nicht annahm, sollte eine größere Summe an eine Wohltätigkeitsorganisation seiner Wahl spenden. Empfohlen wurden 100 US-Dollar. Alle Tapferen begnügten sich mit etwa 10 US-Dollar. Danach sollten wiederum weitere Personen eingeladen werden. Auf diese Art verbreitete sich die Aktion im Schneeballprinzip. Über persönlich betroffene Teilnehmer verschob sich der Fokus in Richtung ALS. Beim Erfolg der Kampagne spielten Social Media Kanäle und teilnehmende Prominenz eine zentrale Rolle. Experten schätzen, dass es auf Facebook und Twitter rund 50 Millionen getaggte Videos gab.
Der Erfolg der Aktion blieb nicht aus. Mehrere Organisationen geben folgende Zahlen aus 2014 als zusätzliche Einnahmen durch die Kampagne an:
Weitere Kampagnen in den Jahren 2015, 2016 und 2017 brachten zahlenmäßig zwar keine großen Erfolge, schafften es aber, ALS im öffentlichen Bewusstsein stärker zu verankern.
Gelder flossen in Projekte zur Patientenversorgung, aber auch in Forschungsvorhaben. Zwei Jahre später zeigten sich bereits die ersten Erfolge. Dank des zusätzlichen Budgets identifizierten Humangenetiker eine bislang unbekannte Variante im Erbgut. NEK1-Defekte spielen allerdings nur in seltenen Fällen eine Rolle. Die Autoren vermuten, dass es nur bei jedem zehnten Patienten familiäre Häufungen gibt. Für ihre Untersuchungen nutzten Wissenschaftler unter anderem die Gendatenbank Project MinE: ein Projekt, das auch von Geldern aus der Ice Bucket Challenge profitiert hat. In einem weiteren Paper äußern Forscher die Vermutung, dass es bei ALS zu Fehlregulationen der Expression von TDP-43 kommen könnte. An Stammzellen von Mäusen konnten die Forscher beobachten, dass Zellen ohne TDP-43 nach wenigen Tagen sterben. Als die Forscher ein Protein ergänzten, das eine ähnliche Funktion wie TDP-43 erfüllte, erholten sich erkrankte Zellen wieder. Zwar ist der große Durchbruch noch nicht gelungen. Trotzdem ist jede neue Studie ein Puzzlestück, um ALS besser zu verstehen und Therapiemöglichkeiten zu optimieren.