Unnatürliche Flecken im Gesicht ziehen neugierige Blicke an – ganz besonders bei Kindern. Dass es nicht bei diesen Blicken bleibt, zeigen aktuelle Studien. Eine Kampagne des Kinderspitals Zürich geht gegen Diskriminierung und Trauma vor und zeigt Lösungswege auf.
In einem Interview wurde Franck Ribéry einmal gefragt, ob er nicht an eine Operation denke, um die entstellende Narbe in seinem Gesicht verschwinden zu lassen. Seine Antwort: „Nein. Ich kann ohne diese Narbe nicht leben. [...] Sie gehört zu mir, zu meinem Leben. [...] Als Kind wurde ich wegen der Narbe gehänselt, das war hart. Diese Narben und die Sprüche von anderen darüber haben mich stark gemacht und meinen Charakter geformt.“ Doch nicht alle Kinder mit Auffälligkeiten aufgrund von Krankheit oder Verletzung haben eine solche Stärke. Viele tun sich besonders schwer mit und in einer Welt, in der es nach Ansicht von Sozialexperten immer mehr auf Perfektion ankommt – in der Leistung und im Aussehen.
So ging es auch dem Vorschulkind Loris, das mit einem großen Feuermal geboren wurde: „Sechs fremde Kinder spielen im Sandkasten, als sich Loris zu ihnen gesellt – nur einen kurzen Moment später spielt Loris alleine im Sandkasten“, erzählen seine Eltern. „Noch ist Loris noch zu jung, um die Situationen einordnen zu können. Er findet es super, sämtliche Schaufeln und Förmli für sich alleine zu haben – doch irgendwann wird er diese Situation realisieren und sie mit viel Selbstbewusstsein meistern müssen.“
Wie kann man Kindern und Eltern helfen, mit solchen Vorkommnissen fertig zu werden? Am Kinderspital Zürich geht man mit betroffenen Kindern, den Behandlungsmöglichkeiten und der Forschung im psychosozialen und medizinischen Bereich an die Öffentlichkeit. Auf der Kampagne-Website „Hautstigma“ finden sich Erfahrungs- und Forschungsberichte und Hinweise auf weitere Kampagnen und Aktivitäten für Kinder mit Auffälligkeiten in Bereichen des Körpers, die sich nur schwer verstecken lassen. In zwei Studien dokumentierte Psychologin Ornella Masnari zusammen mit Markus Landolt und Kollegen aus Zürich und Freiburg, wie Heranwachsende und Eltern im Alltag leiden und wie sie von ihrer Umwelt eingeschätzt werden. 89 Kinder im Alter von neun Monaten bis sechzehn Jahren oder deren Familie beschrieben anhand von standardisierten Fragebögen oder Interviews, wie sie von Menschen in ihrer Umgebung angestarrt, ausgelacht oder gemieden wurden. Die Kinder hatten das Pech, nach einer Verbrennung auffällige Narben davon getragen zu haben oder durch ein Feuermal, Muttermal oder Hämangiom aufzufallen. Mehr als 80 Prozent berichteten von Mitleidsreaktionen, 40 Prozent von beleidigenden Bemerkungen und jedes vierte Kind wurde aufgrund seines Gesichts ausgelacht. Mit dem Alter und der Größe der Auffälligkeit nimmt das Ausmaß der Stigmatisierung zu, so Masnari im Journal of Plastic, Reconstructive and Aesthetic Surgery. In einer zweiten Studie zeigte die Wissenschaftlerin rund 350 Schülern zwischen acht und siebzehn Jahren 12 Bilder von Jugendlichen, einmal mit einer Auffälligkeit im Gesicht und parallel dazu ein Bild, in dem die Bildbearbeitung aus der Narbe fleckenlose Haut gezaubert hatte. Auch hier schätzten die Jugendlichen die Träger von optischen Auffälligkeiten weitaus negativer ein als ihre Pendants. Die Hemmung, mit einem solchen Kind zu spielen oder gar Freundschaft zu schließen, nimmt zwar mit dem Alter ab, war jedoch immer noch deutlich ausgeprägt.
Besonders in der Pubertät spielt beim Suchen nach der eigenen Identität das Aussehen eine herausragende Rolle. Dementsprechend hoch ist dabei auch die Empfindlichkeit bei Handikaps. Spott und Missachtung führen nicht selten dazu, dass sich der Betreffende zurückzieht und Kontakte meidet. Somit stellt sich Frage nach den chirurgischen oder auch pharmakologischen Möglichkeiten, um den Makel zumindest abzumildern. Frühe Behandlungen sind dabei aufgrund der elastischen Haut oft wirkungsvoller. In Studien wird etwa die Transplantation von körpereigenem Hautersatz aus dem Labor bei brandverletzten Kindern erprobt. Auch direkt am Körper lassen sich Hautstücke mit einem darunter eingepflanzten Hydrogelkissen expandieren und anschließend verpflanzen. Schließlich lassen sich mit Lappen-Techniken (Verschieben von Haut) betroffene Stellen abdecken und Narben verkleinern. Infantile Hämangiome reagieren auf Propanolol oder Kryotherapie. Eine medizinische Camouflage, die einem intensiven „Make-up“ in Hautfarbe entspricht, kann beispielsweise Feuermale abdecken. Vielfach noch schwieriger zu therapieren sind psychische Probleme bei Kindern. Besonders bei Verbrennungen führen bei rund einem Fünftel der Betroffenen ohne psychologische Betreuung zu dauerhaften posttraumatischen Belastungssyndromen. Flashbacks, Albträume, Schlaf- und Konzentrationsstörungen dauern über viele Monate und schlimmstenfalls über Jahre hinweg an. Kleine Kinder fürchten sich vor „Weißkitteln“, weil sie mit ihnen die Schmerzen in der ersten Zeit ihrer Behandlung in Verbindung bringen. Auch Eltern sind sich vielfach unsicher, ob ihre Kinder nach Monaten noch unter dem Erlebnis und seinen Folgen leiden. Für sie haben die Kinderärzte aus Zürich eine eigene App und die entsprechende Webseite in Form eines Fragebogens entwickelt. Sie hilft bei der Entscheidung, ob sie sich für die Bewältigung professionelle Unterstützung suchen sollten. Hilfen für Kinder mit Verbrennungen und deren Eltern in Deutschland bietet auch die Selbsthilfeorganisation „Paulinchen“ an, die regelmäßige Treffen organisiert und Kontakte zu Spezialisten bereitstellt.
„Früher wurde wenn immer möglich operiert“, erzählt Clemens Schiestl, Chirurg am Zürcher Kinderspital. Bei großen Nävi hatte man vor etlichen Jahren noch ein erhebliches Risiko befürchtet, dass sich aus ihnen ein Melanom entwickelt. Wahrscheinlich, so die aktuelle Wissenschaft, ist das nur sehr selten und dann vor allem bei Riesen-Nävi der Fall. Bei der Operation bleiben aber Narben zurück, oft muss mehrfach operiert werden – eine Tortur gerade für kleinere Kinder. „Operation oder nicht?“ bleibt daher immer eine individuelle Entscheidung, über die auch die psychische Stabilität und das Selbstbewusstsein der Kinder entscheidet.
Nicht nur „Hautstigma“ versucht daher, die Öffentlichkeit an den Anblick der Gesichter mit Auffälligkeiten zu gewöhnen und diese nicht als „abartig“ zu stigmatisieren. „Changing Faces“ in Großbritannien etwa provoziert mit Video-Clips, die wie ein Horrorfilm beginnen – und sich nach kurzer Zeit ins Happy End drehen. Aber auch mit Kinderportraits auf Plakaten sprechen sie nicht nur Empfindungen „makelloser“ Menschen an, sondern stärken damit auch Selbstbewusstsein der Abgebildeten. Wenn die Narbe oder der große Pigmentnävus im Gesicht als Teil der Persönlichkeit und nicht mehr als Entstellung gilt, dann haben Kampagnen wie „Hautstigma“ schon viel erreicht. Seit einigen Jahren fotografiert der renommierte Modefotograf Rick Guidotti nicht nur gut aussehende Topmodels, sondern auch Menschen mit Auffälligkeiten und präsentiert diese Portraits in Ausstellungen und Kampagnen. Chantelle Brown-Young ist inzwischen zu einem solchen Topmodel geworden und das Gesicht der spanischen Modemarke Desigual. Wegen der Weißfleckenkrankheit Vitiligo wurde sie in ihrer Kindheit in Toronto wahlweise als „Zebra“ oder „Kuh“ beschimpft. „Klarkommen oder daran kaputtgehen“ stand für sie damals zur Wahl. Sie brach zwar die Schule ab, bewarb sich aber als Model – und schaffte den Aufstieg nach ganz oben. Ihr Gesicht ist inzwischen nicht nur in der Modebranche bekannt – und beliebt.