Welche Auswirkungen hat der Verlust der Endonuklease Smg6 des NMD-Kontrollmechanismus auf die embryonale Entwicklung? Stammzellforscher zeigen: Fehlt Smg6, können sich embryonale Stammzellen nicht mehr differenzieren.
Ein Mensch besitzt hunderttausende verschiedene Proteine. Benötigt eine Zelle ein bestimmtes Protein, so wird die in der DNA gespeicherte Information zur Produktion dieses Proteins in Boten-RNA umgeschrieben. Diese dient dann anschließend den Ribosomen als Bauplan für die Proteinsynthese. Aufgrund der komplexen biochemischen Vorgänge, die bei diesem „Dekodierungsprozess“ ablaufen, passieren jedoch auch Fehler, so dass Boten-RNAs mit defekten Protein-Bauplänen entstehen können. Daher besitzen unsere Zellen einen speziellen Kontrollmechanismus, der diese defekten Boten-RNAs erkennt und effizient abbaut. Dieser in eukaryotischen Zellen als „Nonsense-Mediated mRNA Decay“ (NMD) bezeichnete besonders wichtige Kontrollvorgang erkennt unerwünschte, vorzeitig gesetzte Stopcodons in der Boten-RNA und baut die schadhaften RNAs mittels einer Endonuklease (Smg6) ab. Das verhindert deren Expression in verkürzte Proteine und schützt so gegebenenfalls vor der Akkumulation von (möglicherweise) toxischen Polypeptidfragmenten. Die genetische Anpassung bei den Wirbeltieren lässt vermuten, dass der NMD-Kontrollmechanismus wichtig für die Entwicklung von Zellen und Geweben ist, obwohl der zugrundeliegende Mechanismus bisher kaum verstanden ist. Forscher des Jenaer Leibniz-Instituts für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) untersuchten daher in einer aktuellen Studie, welche Auswirkungen der Verlust der Endonuklease Smg6 des NMD-Kontrollmechanismus auf die embryonale Entwicklung hat. „Die Aufklärung der zellulären und molekularen Mechanismen, die die Selbsterneuerung und Differenzierung von Stammzellen regeln, ist grundlegend für das Verständnis der embryonalen Entwicklung und weist möglicherweise biomedizinische Implikationen auf“, berichtet Prof. Zhao-Qi Wang, Forschungsgruppenleiter am FLI.
„Für unsere aktuelle Studie generierten wir spezielle embryonale Knockout-Stammzellen, denen die Schlüsselnuklease des NMD-Mechanismus Smg6/EST1 fehlte“, erläutert Dr. Tangliang Li, Postdoc in der Arbeitsgruppe Wang. „Wir konnten zeigen, dass durch den Verlust von Smg6 die Differenzierung der embryonalen Stammzellen geblockt war.“ Ein Ergebnis, das bereits für andere Knock-out-Varianten für NMD-Faktoren in Mäusen und Zebrafischen nachgewiesen werden konnte. Die meisten NMD-Faktoren, wie z. B. Smg1, Upf1, Upf2, Smg5, Smg6, und Smg7, sind auch am Erhalt der Telomere beteiligt. Smg5, Smg6 und Smg7 sind Säugetier-Homologe des „Ever shorter telomere 1“ (Est1-Gen), das ursprünglich als Telomerase-assoziierter Faktor in der Bäckerhefe entdeckt wurde und dessen Verlust bei der Hefe eine Telomer-Verkürzung und Zellseneszenz bewirkt. „Das erschwert die Interpretation der phänotypischen Effekte, die aus der NMD-Inaktivierung resultieren“, merken die Jenaer Forscher kritisch an. „Weiterführende Studien ergaben jedoch, dass die geblockte Differenzierung der embryonalen Stammzellen allein durch die Smg6-Funktion im NMD-Mechanismus, die die Expression pluripotenter Gene regelt, nicht aber durch die Telomer-assoziierte Funktion, verursacht wird“, berichtet Prof. Wang.
„In der vorliegenden Studie konnten wir zeigen, dass Smg6 von essentieller Bedeutung für die embryonale Entwicklung ist, nicht nur wegen seiner Telomer-Funktion, sondern vor allem aufgrund seiner wichtigen Rolle als NMD-Faktor bei der Steuerung der Differenzierung embryonaler Stammzellen. Damit haben wir NMD als neuartigen Regulationsmechanismus bei der Differenzierung pluripotenter Stammzellen identifiziert, der auch andere Mechanismen der zellulären Neuprogrammierung und Steuerung der Zellidentität verbindet.“ Originalpublikation : Smg6/Est1 licenses embryonic stem cell differentiation via nonsense-mediated mRNA decay T. Li et al.; EMBO, doi: 10.15252/embj.201489947; 2015