Wenn Patienten über Schlafstörungen klagen, sollte jeder Arzt hellhörig werden. Denn nicht nur der Lebensstil beeinflusst Schlaf – auch Medikamente können schuld sein. Unser Wirkstoff-Überblick.
Kopfschmerzmittel können Kopfschmerzen auslösen, Gichtmedikamente können einen Gichtanfall induzieren und Mittel gegen Schlafstörungen können dem Patienten den Schlaf rauben. SSRI wie Fluoxetin oder Citalopram gegen Insomnie im Rahmen einer Depression können genau dazu führen, dass der Patient nicht schlafen kann. Aber auch zahlreiche andere Arzneimittel wie Mittel gegen Parkinson oder gegen Epilepsie können Schlafstörungen auslösen.
Laut der S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen ist die nichtorganische Insomnie (ICD-10 F51.0) durch eine „fehlende Erholsamkeit des Schlafes gekennzeichnet sowie durch eine unzureichende Schlafqualität, ein verzögertes Einschlafen, gestörtes Durchschlafen und zu frühes Erwachen mit einer Häufigkeit von wenigstens dreimal pro Woche über den Verlauf eines Monats“ definiert.
Medikamentös induzierte Schlafstörungen werden unter der ICD-10-Kennziffer G 47 kodiert. Schlafstörungen sind nicht nur Ein-und/oder Durchschlafstörungen. Auch heftige Traumreaktionen, Schlafwandeln, Nachttremor werden in der Leitlinie als Parasomnien gelistet.
Bei welchen häufig eingesetzten Medikamenten es zu schlafbezogenen Nebenwirkungen kommen kann, zeigt folgende Tabelle.
Substanzgruppe/Substanz
Schläfrigkeit
Wachheit
Schlafstörung
Antihypertensiva
Methyldopa
+
–
(+)
Clonidin
Betarezeptorenblocker
Kalziumkanalblocker
ACE-Hemmer, AT-2-Blocker
Analgetika
NSAR
Opioide
Kortikoide
Mineralokortikoide
Glukokortikoide
Diurektika
Thiazide
Schleifendiuretika
Kaliumsparende Diuretika
Magen-Darm-Mittel
H2-Antagonisten
Dopamin-Antagonisten
Anticholinergika
+++ Sehr stark vorhanden, ++ stark vorhanden, + vorhanden, (+) gering vorhanden, – nicht vorhanden.
Quelle: DGSM-S3 Leitlinie nicht erholsamer Schlaf
Eine große Anzahl an Neurotransmittern steuern den Schlaf-Wachrhythmus: Acetylcholin, Dopamin, GABA, Glutamat, Glycin, Noradrenalin, Serotonin, Adenosin und weitere. Antidepressiva wie Desipramin machen u. a. zu Beginn der Therapie müde und träge. Es kann zu einer Downregulation der adrenergen Betarezeptoren kommen. Die Folge ist, dass der aktivierende Einfluss von Adrenalin fehlt.
Im weiteren Therapieverlauf kann es zu Schlafstörungen kommen. Das ist auch deshalb problematisch, weil sich nicht eruieren lässt, ob die Störung der Nachtruhe infolge der Depression oder durch das Antidepressivum ausgelöst wird. Auch die antiadrenergen und anticholinergen Eigenschaften des trizyklischen Antidepressivums beeinflussen den Schlaf-Wach-Rhythmus.
Auch einige Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) können zu Schlafstörungen führen. Fluvoxamin hat einen Einfluss auf die Pharmakokinetik des im Körper gebildeten Melatonins. Melatonin wird durch CYP1A2 und zum geringen Teil durch CYP2C19 zu 6-Hydroxymelatonin und N-Acetylserotonin enzymatisch metabolisiert. Fluvoxamin hemmt beide Abbauwege. Andere SSRI wie Paroxetin und Citralopram beeinflussen die Enzymaktivität nicht.
Amitriptylin, Doxepin, Fluvoxamin, Mirtazapin, Nortriptylin, Trazodon, Venlafaxin und Vilazodon lösen im Vergleich zu anderen Antidepressiva verstärkt Schlafstörungen aus, so eine Studie von Natter et al.
Das Arsenal der Antidepressiva ist groß. Nicht selten müssen diverse Pharmaka durchprobiert werden, bis die Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkung stimmt. Bupropion und Citalopram waren beispielsweise mit geringerer Wahrscheinlichkeit für Schlafstörungen verantwortlich.
Patienten mit einer Vilazontherapie klagen hingegen über beunruhigende Träume. Unter Bupropion, Citalopram und Duloxetin sind „seltsame“ Traumreaktionen beschrieben.
Trazodon und Mirtazapin unterdrücken im Vergleich zu vielen anderen Antidepressiva den REM-Schlaf nicht. Eine zu späte Verabreichungszeit und eine zu hohe Dosis sind die häufigsten Faktoren im Zusammenhang mit dem Versagen der Behandlung von Schlaflosigkeit mit diesen Arzneimitteln.
Der Trend geht in Richtung personalisierte Pharmakotherapie. Da Nebenwirkungen wie Schlafstörungen auch vom Blutspiegel abhängen, ist eine patientenorientierte Auswahl sinnvoll. Pharmakogenetisch unterscheidet man Slow Metabolizer, Ultrarapid Metabolizer und Intermediate Metabolizer. Zahlreiche Psychopharmaka werden über ein oder mehrere der hepatischen CYP-P-450 Enzyme metabolisiert. Verfügt der Patient genetisch bedingt über eine relativ geringe Menge an CYP-Enzymen, ist der Blutspiegel im Vergleich zu einem Intermediate Metabolizer höher und die Nebenwirkungen stärker ausgeprägt. Beim Ultrarapid Metabolizer hingegen ist die Wirksamkeit der Arzneimittel gemindert. Der Gentest untersucht, wie bei 16 gängigen Antidepressiva die Verstoffwechselung in der Leber stattfindet. Der Test, der ca. 400 € kostet, wird von den Kostenträgern meist nicht erstattet.
Der Wirkstoffspiegel im Blut lässt jedoch keine Auskunft darüber zu, wie viel Substanz die Blut-Hirn-Schranke überwindet. Hierzu wurde vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie der ABCB1-Test entwickelt. Dieser kann voraussagen, auf welches Psychopharmakon der Patient ansprechen kann. Diese Entscheidungshilfe führt zielsicherer zum Therapieerfolg.
Das ABCB-1-Gen kodiert das P-Glycoprotein, dass das Überwinden der Blut-Hirn-Schranke moduliert. Der Auswärtstransporter P-Glycoprotein schleust Arzneistoffe aus dem Gehirn hinaus. Der Efflux kann übrigens auch durch Zitrusfrüchte, Loperamid sowie Chinin (Tonic Water!) gehemmt werden.
Neben Psychopharmaka können zahlreiche andere Arzneimittel den Schlaf beeinflussen. Laut Fachinformation tritt unnormales Träumen sehr häufig bei Einnahme des Malariamittels Mefloquin auf. Auch das zur Raucherentwöhnung eingesetzten Vareniclin lässt die Monster aus dem Schrank kommen. Der HIV-Wirkstoff Efavirenz löst ebenfalls häufig abnorme Träume aus. Die Blockbuster Betablocker können heftige Traumreaktionen oder Schlafwandeln auslösen. Die Fachinformationen von Bisoprolol und Metoprolol weisen auf Albträume beziehungsweise eine verstärkte Traumaktivität hin.
Eine Schlafstörung der anderen Art, ist das Schlafwandeln (Somnambulismus). Auch Arzneimittel werden als Auslöser in Verbindung gebracht. Dazu zählen unter anderem die Z-Substanzen.
In den Fachinformationen von Zolpidem- und Zopiclon-haltigen Präparaten findet sich folgender Hinweis: Schlafwandeln und damit assoziierte Verhaltensweisen wurden von Patienten berichtet, die Zolpidem/Zopiclon eingenommen hatten und nicht vollständig wach waren. Auch über Schlaffahren wurde berichtet sowie über Telefonieren, Geschlechtsverkehr oder das Verzehren von Speisen in Trance. Der Betroffene kann sich nach dem Erwachen meist nicht daran erinnern, was nachts passiert ist.
Neben den Z-Substanzen werden noch andere Arzneistoffe verdächtigt, Somnambulismus auszulösen. Davor warnte bereits vor mehr als 10 Jahren das Arzneimitteltelegramm. Dazu gehören Antidepressiva wie Doxepin und Sertralin, Benzodiazepine wie Bromazepam und Flunitrazepam sowie Neuroleptika und Chloralhydrat. Laut Arzneitelegramm wurden aber auch Antibiotika wie Clarithromycin und Ciprofloxacin sowie Ketotifen, Pravastatin und Propranolol damit in Verbindung gebracht. Auch Chlorpromazin, Thioridazin, Perphenazin, Desipramin, Amitriptylin, Lithium, Chloralhydrat und weitere können dazu führen, dass der Patient auf dem Dach spazieren geht.
Führen Antidepressiva immer dazu, dass der Patient agitiert oder sediert ist? Eine Ausnahme bildet Agomelatin. Der Melatonin-Agonist ist das erste melatonerge Antidepressivum. Die Substanz reguliert den Schlafrhythmus über die MT1- und MT2-Melatoninrezeptoren.
In Studien konnten die Patienten mit Agomelatin-Therapie auch wieder besser einschlafen. Schlafunterbrechungen nahmen schon in der ersten Woche ab und der Tiefschlaf besserte sich, der REM-Schlaf wurde nicht beeinflusst. In einer Untersuchung bekamen 322 Patienten initial 25 mg/Tag Agomelatin oder 75 mg/Tag Venlafaxin. In der Studie von Yardimci et al. wird Agomelatin als „Multi-Target-Treatment“ beschrieben, weil die Substanz antidepressiv wirkt, den Schlafrhythmus normalisiert und bei postmenopausaler Osteoporose helfen kann.
Einen guten Überblick und Hilfe zur Diagnostik und Therapieentscheidung bietet die DEGAM-Anwenderversion zur S3 Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Mein Tipp: Therapiert proaktiv, fragt den Patienten nach Auffälligkeiten im Schlafrhythmus unter einer Pharmakotherapie. Denn meist macht der Patient seine Arzneimittel nicht für die nächtlichen Monster verantwortlich.
Bildquelle: Silvana Amicone, unsplash