KARDIO-KLARTEXT | Was ist eine CCS? Und wie diagnostiziere ich meine Patienten richtig? Ihr habt gefragt, die Antworten gibt's hier.
Im zweiten Teil der Kardiologie-Sprechstunde von DocCheck Experts ging es rund um das chronische Koronarsyndrom. Anders als das bisherige Chat-Format fand unsere Sprechstunde als Live-Stream via Zoom statt. Moderiert wurde das Ganze von unserem Medical Content Manager Mats Klas, der eure Fragen an unseren Experten Dr. Christopher Schneeweis gestellt hat. Die Antworten lest ihr hier oder schaut euch das Gespräch einfach als Video an.
Umgangssprachlich haben wir immer von koronarer Herzerkrankung gesprochen, also KHK. 2019 sind neue Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) herausgekommen, die das Ganze als chronisches Koronarsyndrom bezeichnen, weil wir einfach davon ausgehen, dass es ein chronischer voranschreitender Prozess ist bzw. ein inflammatorischer Prozess, der getriggert ist. Und deswegen hat man dem Ganzen den Überbegriff chronisches Koronarsyndrom gegeben. Nichts anderes gemeint als KHK. Und wenn man in die Leitlinien reinschaut, geht es auch um die Diagnostik der KHK.
Das ganz typische Krankheitsbild: Was die meisten vor Augen haben, sind akute Brustenge, retrosternales Brennen unter körperlicher psychischer Belastung, was dann möglicherweise auch ausstrahlt in sogenannte Head'sche Zonen. Das heißt in die Kieferregion, in den linken Arm oder vielleicht auch mal Übelkeit auslöst, weil es dann möglicherweise die Hinterwandarterie betrifft. Die Hinterwand liegt sehr nahe am Diaphragma und dadurch kann es auch zu Übelkeit kommen. Unter Belastung entstehender psychischer Stress und die folgende Beschwerdesymptomatik lässt dann nach, wenn der Stressfaktor einfach weggenommen wird und die körperliche Belastung abnimmt.
Kommen wir jetzt zu Besonderheit bei Frauen: Die Symptomatik ist nicht immer ganz typisch. Man kann nicht sagen, durch die reine Symptomatik kann man ausschließen, dass eine koronare Herzerkrankung zugrunde liegt. Auch bei Typ-2-Diabetikern ist es so, dass die möglicherweise gar nicht mehr diese Symptome haben müssen, sondern Luftnot bei Belastung vielleicht im Vordergrund steht oder Ähnliches. Auch das wäre eine mögliche Symptomatik.
Das kommt natürlich immer auf die akute Symptomatik an. Wenn jetzt jemand kommt und sagt „Ich habe das seit Wochen und jetzt aktuell habe ich keine Beschwerden“, dann kann man sicherlich eine schrittweise Diagnostik machen mit EKG und zumindest die Basis-Diagnostik, Anamnese und Risikofaktoren abschätzen. Aber wenn jetzt jemand mit einer instabilen Symptomatik, also erst Angina, Angina Pectoris, also diese Brustenge, oder mit ganz akuten Beschwerden kommt, dann muss man auch daran denken, dass es ein Infarkt sein kann. Und dann muss man natürlich eine direkte Diagnostik und EKG machen. Und viele haben mittlerweile schon in den Praxen Point-of-Care-Tests, sodass man gleich einen Troponin-Test nehmen kann als akuten Marker. Aber ansonsten würde man, wenn man den Verdacht hat, natürlich erst mal die Prätestwahrscheinlichkeit ermitteln. Das heißt, wie typisch ist die Symptomatik und wie alt ist der Patient.
Genau, dass die Erkrankung oder eine relevante koronare Herzerkrankung/ chronisches Koronarsyndrom vorliegt.
Diese Prätestwahrscheinlichkeit errechnet sich sogar wirklich nur anhand der Symptomatik, des Alters und des Geschlechts. Da würde man natürlich auf die Risikofaktoren schauen. Wir müssen immer ein bisschen mehr patientenspezifisch eingehen. Wenn jetzt jemand mit unspezifischen Symptomen kommt, aber der Vater mit 40 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben ist, dann muss man trotzdem auf den Patienten eingehen. Man möchte dem Patienten nicht ungerecht gegenüber sein. Aber wichtig wäre erstmal, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen. Und die weiteren diagnostischen Schritte sind dann Basis-EKG, Ultraschall der Ruhe und aufbauend darauf eine weitere Diagnostik.
Das Belastungs-EGK, also die Ergometrie, die verliert immer mehr an Bedeutung, weil sie in ihrer Sensitivität und Spezifität deutlich eingeschränkt ist. Und es geht mehr zu den bildgebenden Verfahren und da gibt es eine Vielfalt von Verfahren: das Koronar-CT, das MRT, die Szintigraphie oder auch die invasive Diagnostik oder Neuro-Verfahren, wie PET oder Ähnliches. Aber das ist natürlich abhängig von der Prätestwahrscheinlichkeit.
Ja, kann man. Denn diese Prätestwahrscheinlichkeit gibt einem schon Hinweis darauf, dass ein chronisches Koronarsyndrom vorliegen könnte. Dann würde man sagen, wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, würde man sogar keine weitere Diagnostik empfehlen, weil dann auch immer die Gefahr einer falsch-positiven besteht. Wenn man beispielsweise eine 30-jährige Patientin mit atypischen Beschwerden auf die Ergometrie setzt – wir wissen, dass Frauen häufig EKG-Veränderungen haben können unter Belastung, zwar nicht jede zweite, aber häufig, vor allen Dingen bei der Hinterwand II, III und aVF. Und dann hat man EKG-Veränderungen, dann muss man weiter handeln.
Man möchte auch verhindern, dass man jemanden überdiagnostiziert. Wenn man jetzt eine sehr niedrige Prätestwahrscheinlichkeit hat, geht man zu den bildgebenden Verfahren. Das CT ist eine sehr gute Ausschlussdiagnostik. Wenn wir einen prognostischen Stellenwert haben und damit eine koronare Herzerkrankung ausgeschlossen werden kann, also eine chronische Ablagerung der Herzkranzgefäße …
Genau. Sie gibt uns nur einen Status der Koronarien. Dann haben wir dynamische Verfahren, wie die Stressechokardiographie. Da muss man gucken, wie die Störbarkeit des Patienten ist. Das Stress-MRT, das PET und auch die Myokardszintigraphie sind die Verfahren, die die höchste Sensitivität/Spezifität haben. Was die KHK jetzt im Vergleich zum Herzkatheter mit Flussdrahtmessung hat, wären das PET und das Stress-MRT. Aber man muss wirklich differenzieren, welcher Patient welche Diagnostik braucht.
Mit der Prätestwahrscheinlichkeit. Man hat auch die Möglichkeit, gewisse Risikofaktoren vorher abzufragen. Es gibt auch Patienten, die möglicherweise Vordiagnostik haben. Wenn ein Kalkscore gemacht wurde, also ein CT ohne CT-Angiographie, und der Kalkscore sehr hoch ist, dann weiß man, der Patient hat Verkalkung. Man weiß nur nicht, wie ist die Ischämielast oder liegt überhaupt eine Ischämie vor. Dann brauchen wir ein bildgebenden Ischämie-Test.
Bei inkonklusiven Ergebnissen in der CT-Angiographie wird empfohlen, erst eine bildgebende Ischämie-Diagnostik zu machen, um dann festzustellen, ob der Patient eine invasive Diagnostik braucht mit möglicher direkter Behandlung, also Stenting oder chirurgische Lösung.
Kürzlich hatten wir den europäischen Kardiologen-Kongress und da sind neue Leitlinien zur Prävention vorgestellt worden. Insgesamt wurden vier neue Leitlinien vorgestellt. Ich glaube, für unseren Kontext sind die wichtigsten die für die Prävention. Man hat bis vor kurzem eigentlich ein Risikomodul benutzt, SCORE, um das Risiko für einen Infarkt bzw. für ein kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten zehn Jahren zu berechnen. Das berechnet sich anhand des Alters, Blutdrucks und der Cholesterinwerte, aber auch anhand der Lebensbedingungen, also in welchem Land derjenige lebt. Man teilt das dann ein in niedriges Risiko, mittleres Risiko.
Überraschenderweise sind wir im moderaten Risikoprofil in Deutschland. Das ist sicherlich eine Neuerung. Aber auch eine Neuerung wäre, dass man einen neuen SCORE II vorgestellt hat, als Nachfolger des initialen SCOREs. Und für ältere Patienten: SCORE-OP, also older patient. Da wird es ein bisschen genauer. Das ist jetzt meine Meinung, sie sind auch milder geworden. Insofern: Wann fangen wir eine Therapie bei einem vermeintlich Gesunden mit nur Hypercholesterinämie an? Es wird dann schon sehr patientenbasiert darauf geachtet, wie der Benefit des Patienten ist und wie die Einschränkung der Lebensqualität durch eine regelmäßige Medikamenteneinnahme über die nächsten 50 Jahre ist. Wir kommen immer mehr von einer globalen Medizin zu einer maßgeschneiderten Medizin.
Zucker ist da nicht so eindeutig abgehandelt, sondern die Prävention bei Patienten mit Diabetes. Aber die sind im größten Teil eher unverändert, weil Diabetes wirklich ein hoher Risikofaktor ist. Aber gerade Hypercholisterinämie, da achtet man schon darauf, dass man die Risikofaktoren kontrolliert. Aber vielleicht nicht gleich sofort bei gesunden Patienten bzw. jungen, gesunden Patienten mit einem Statin. Viele denken immer, man muss gleich ein Statin nehmen, was in vielen Fällen auch gute Therapie ist. Aber die neuen Leitlinien tragen dem Ganzen Rechnung. Wie sieht das aus, wenn man den 30-Jährigen mit einem LdL von 125 jetzt die nächsten 70 Jahre ein Statin verordnet? Wie ist seine Wahrscheinlichkeit, dass er davon profitiert und wie ist die Nebenwirkungswahrscheinlichkeit, Quality of Life oder Ähnliches?
Klassische Risikofaktoren sind Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie. Bei der Hypercholesterinämie gehört noch Lipoprotein (a) dazu, wobei man das nicht standardmäßig bei jedem Patienten testen muss. Und familiäre Disposition, das sind die Risikofaktoren. Und das sind natürlich Dinge, die man immer jeden Patienten fragen sollte. Und häufig wissen das die Kollegen auch, wenn der Patient beim Hausarzt in Behandlung ist. Aber da ist sicherlich gerade Bluthochdruck eine Erkrankung, die gar nicht so schnell diagnostiziert wird, weil man den Bluthochdruck nicht merkt, sondern es eher ein Zufallsbefund ist. Und das ist ein wahnsinniger Risikofaktor.
Genau, da gibt es ein gutes Flow-Chart in den Leitlinien, wie man welchen Patienten mit Bluthochdruck und Risikofaktoren behandelt. Also wie man die gesunden Patienten ohne irgendwelche Erkrankungen behandelt mit möglicher Hypercholesterinämie. Wie behandelt man aber auch Patienten mit Risikofaktoren wie Diabetes und Bluthochdruck? Die behandelt man ganz scharf, weil die schon zwei Hauptrisikofaktoren haben für eine KHK. Wie behandelt man Patienten mit einer bereits etablierten Erkrankung? Das sind dann auch Hochrisikopatienten, die kriegen das Maximum an Therapie. Da unterscheiden sich die Therapiearme und deswegen ist es ganz wichtig, die Risikofaktoren abzufragen. Von keiner medikamentösen Therapie bis hin zur maximalen medikamentösen Therapie ist dann im patientenbasierten Risikoprofil alles drin.
Das Risiko ist natürlich höher bei jemandem, der schon einen wirklichen Infarkt hatte. Dann ist das Risiko für einen Rezidiv höher. Die Therapie unterscheidet sich auch. Primärprophylaktisch ist Aspirin oder ASS jetzt an und für sich noch nicht wirklich das Medikament der Wahl, was man einfach primärprophylaktisch jedem Patienten geben würde. Einem Patienten mit einem stattgehabten chronischen Koronarsyndrom würde man es definitiv geben. Und es gibt auch schon Indikatoren, aber das ist sehr patientenbasiert: Wie hoch ist die Rezidiv-Wahrscheinlichkeit? Was war für ein Eingriff notwendig? Wie ist die koronare Anatomie? Das geht dazu hin, dass man teilweise zusätzliche Blutverdünner-Medikamente gibt, um diesen Patienten möglicherweise vor einem zweiten Ereignis zu schützen.
Duale Plättchenhemmung im akuten Ereignis, da gibt es ganz klare Leitlinien. 12 Monate prinzipiell. Dann muss man differenzieren vom akuten Ereignis hin zu einem bzw. kein NSTEMI oder STEMI. Dann muss man differenzieren, wenn es dann eine elektive PTCA ist. Aber letztendlich ist das Ganze im Wandel. Es wurden jetzt auf dem Kardiologenkongress auch Daten vorgestellt, dass es scheinbar mit kurzer doppelter Plättchenhemmung safe ist bei einer Stent-Implantation. Aber das ist alles noch Studienlage, das sind noch keine Leitlinien.
Man muss das Risikoprofil der Patienten sehen. Eine doppelte Plättchenhemmung ist das, was viele gut vertragen. Aber wir haben auch viele Patienten, die älter sind, Vorhofflimmern haben und da sind wir dann nicht mehr bei der doppelten Plättchenhemmung, sondern wir sind bei oralen Antikoagulanzien plus doppelter Plättchenhemmung für entweder kurze Zeit, eine Woche, ein bis drei Monate oder bis zu sechs Monaten. Und da muss man natürlich immer abwägen. Da gibt es unterschiedliche Scores, HAS-BLED-Score, und Ähnliches. Wie hoch ist die Blutungswahrscheinlichkeit des Patienten und wie hoch ist der Benefit? Das kommt auf die Koronaranatomie und die Komplexität der Läsionen und der Behandlung an.