Auch die standardmäßigen Schutzimpfungen wie die MMR-Impfung könnten zu einem deutlich milderen COVID-19-Verlauf führen. Offenbar trägt eine neu entdeckte Art von T-Zellen dazu bei.
Für die Kontrolle einer Virusinfektion gehören neben den Antikörpern auch T- und B-Zellen zu einer funktionierenden adaptiven Immunität. Antigenpräsentierende Zellen (APC) wie dendritische Zellen verarbeiten die eintreffenden Antigene und präsentieren sie CD4+- oder CD8+-T-Zellen. Diese werden aktiviert und zur klonalen Selektion mit anschließender Proliferation angeregt.
Während einer Infektion ist eine Hemmung der Replikation und Ausbreitung des Virus für den Krankheitsverlauf und das Überleben des Wirts von entscheidender Bedeutung. Den T-Zellen kommt hier eine besondere Bedeutung zu. CD4+-T-Helferzellen (Th) unterstützen die Bildung von antikörperproduzierenden B-Zellen und sondern proinflammatorische Zytokine wie Interferon gamma (IFNγ) ab. Parallel dazu werden heterogene antigenspezifische CD4+- und CD8+-T-Zellen mit Langzeitgedächtnis gebildet. Innerhalb von Geweben bilden die kürzlich entdeckten TEMRA-Zellen (effector memory re-expressing CD45RA T cells) eine schnelle, antigenspezifische und langanhaltende erste Barriere gegen eine Reinfektion. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass eine Induktion von TEMRA-Zellen durch Impfungen häufig mit einem erhöhten Schutz korreliert.
Um die genauen Prozesse hinter der heterologen adaptiven SARS-CoV-2-Immunität näher zu beleuchten, entwickelten amerikanische Wissenschaftler einen verfeinerten Ansatz zur Untersuchung antigenspezifischer T-Zell-Reaktionen und konnten so einen heterologen T-Zell-Pool identifizieren, der sowohl auf SARS-CoV-2 als auch auf die Antigene zweier am häufigsten beim Menschen verwendeten Impfstoffe – MMR (Masern-Mumps-Röteln-Schutzimpfung) und Tdap (Tetanus, Diphterie, Pertussis) – reagiert.
In einer aktuellen Studie wählten Forscher aus Bonn jetzt ein ausgefeiltes Verfahren, um die T-Zell-Reaktivität unter möglichst physiologischen Bedingungen zu untersuchen. Hierfür verwenden sie hoch aktivierte SARS-CoV-2- oder MMR/Tdap-Impfstoffantigen-gepulste neutrophile Granulozyten oder Monozyten-DCs aus dem Blut von SARS-CoV-2-infizierten oder gesunden Spendern und kultivierten sie anschließend mit autologen T-Zellen. Zunächst konnten die Forscher, wie erwartet, eine starke Aktivierung von Gedächtnis-T-Zellen beobachten, die spezifisch für das Nukleokapsid und das S1-Spike-Protein von SARS-CoV-2 sind. Interessanterweise bemerkten sie aber auch eine Reaktivierung von Gedächtnis-T-Zellen gegenüber Antigenen, die in den MMR- und Tdap-Impfstoffen enthalten sind.
Diese Aktivierung war bei infizierten Personen höher als bei Gesunden, und im Gegensatz zum Anstieg von IgG-Antikörpern konnte sie auch schon in einer frühen Phase der Infektion nachgewiesen werden. In Blutproben von Geimpften konnten die Forscher ebenfalls eine deutliche Zunahme von Gedächtnis-T-Zellen beobachten, die sowohl auf das S1-Spikeprotein als auch auf MMR- und Tdap-Antigene reagierten – ein Hinweis darauf, dass auch die COVID-Impfung zu einer Kreuzreaktivität auf andere Antigene führt. Die Blutproben waren 2,5 Monate nach Erhalt der zweiten Dosis des mRNA-1273 COVID-19-Impfstoffs von Moderna entnommen worden.
Die phänotypische Charakterisierung dieser reaktiven T-Zellen ergab außerdem eine große Population von CD4+-TEMRA-Zellen, welche über das molekulare Instrumentarium verfügten, um auch in periphere Gewebe einzudringen und hier eine adaptive erste Verteidigungslinie zu bilden. CD8+-TEMRA-Zellen reagierten ebenfalls auf alle Antigene, wenngleich sie bei COVID-19-geimpften Personen in geringerer Zahl vorkamen, als bei Genesenen.
Um herauszufinden, ob diese heterologe Immunität gegen SARS-CoV-2-, MMR- und Tdap-Antigene auch Auswirkungen auf einen COVID-19-Verlauf hat, werteten die Forscher retrospektiv klinische Daten von Kohorten mit 11.483 bzw. 36.793 infizierten Patienten aus, die zuvor mit MMR bzw. Tdap geimpft worden waren.
Die Analyse ergab einen um 38 % bzw. 23 % milderen COVID-19-Verlauf bei Personen, die zuvor gegen MMR bzw. Tdap geimpft worden waren. Die Autoren der Studie schließen daraus, dass frühere Ereignisse, wie Impfungen oder Infektionen also tatsächlich die Immunantwort auf SARS-CoV-2 verstärken können. Frühere In-vitro-Studien wiesen zwar bereits darauf hin, dass präexistente Gedächtnis-T-Zellen Antigene erkennen können, die mit SARS-CoV-2 verwandt sind, aber ob heterologe T-Zell-Klone physiologisch prozessierte Antigene erkennen, war bisher noch unbekannt. Dieses Wissen könnte in Zukunft essentiell für die Entwicklung effizienterer Impfstoffe und Impfschemata sein.
Zur Originalpublikation kommt ihr hier.
Bildquelle: Janine Robinson, unsplash